Agnes hob den Kopf von Hans‘ Brust und stützte ihn über seiner Schulter auf dem Ellbogen auf. Mit der anderen Hand streichelte sie seine Wange, seinen Hals und seinen Nacken. Ganz leicht knetete sie die Schultern. Sie wusste, dass Hans dort oft Schmerzen hatte. Im Krämerladen musste er jeden Tag schwere Säcke tragen, Kisten und Fässer wuchten und umstellen. Das war für ihn mit dem kleinen Buckel sehr schwierig, und sein Rücken tat ihm oft weh. Ein bisschen Streicheln und Massieren liebte er daher sehr. Und es beruhigte ihn. Wie immer versagte dieser Trick auch jetzt nicht, und Hans redete weiter.
»W-weißt‘ Agnes, ich h-hab mit dem Pfarrer geredet. Da hat sich ein Z-zauberer a-angesiedelt in der K-klause hinterm Dorf. D-der ist ein A-al-alchemist, hat d-der Pfarrer gesagt. D-der macht aber n-nur wohlgefällige, g-gottesfürchtige Zauber, hat er g-gesagt. D-der muss bei einem g-großen F-f-fürsten gewesen s-sein, und d-der – d-der w-würde …«
Hans schwieg, erschöpft von der langen, mühevollen Rede. Agnes sagte immer noch nichts, wohl wissend, dass er dann verstummen würde und es sehr schwer für ihn wäre auszusprechen, was er zu sagen hatte. Sie streichelte wieder sein Gesicht und lächelte ihn aufmunternd an.
Hans atmete mehrmals tief durch, dann konnte er weiterreden. »Also, der Z-zauberer, der war b-bei einem g-großen H-Herrn. Aber da ist‘s ihm z-zu viel g-geworden, die Arbeit und d-die Verantwortung. D-deshalb ist er w-weggegangen und zu uns g-gekommen. D-der Pfarrer, der h-hat gesagt, jeder d-darf zu d-dem gehen, d-der ist g-gottesfürchtig. Agnes, d-der macht auch L-liebeszauber. Und F-f-fruchtbarkeitsz-zauber. D-der könnt‘ uns h-helfen, d-da bin ich s-sicher.«
Wieder brauchte der Hans eine Pause. Agnes schwieg immer noch und streichelte jetzt gedankenverloren seine Brust. Sie hatte auch schon gehört, dass sich da ein Fremder angesiedelt hatte, aber so genau hatte sie noch nicht gewusst, was es mit dem auf sich hatte. Auch wenn sie jetzt glaubte zu wissen, worauf ihr Geliebter hinauswollte, würde sie ihn nicht unterbrechen. Er musste Vertrauen zu ihr haben und dazu gehörte auch, dass sie ihn ausreden ließ, auch wenn sie insgeheim sehr ungeduldig war.
»D-der w-würde uns einen Z-Zauber machen, d-dass wir ein K-kind kriegen. D-der ist n-nicht teuer. Ein Stück St-Stoff und ein p-paar Eier w-will er. H-hat der Pfarrer g-gesagt. Agnes, w-w-wollen w-w-wir es versuchen? W-w-wollen w-w-wir hingehen? B-b-bitte, Agnes.«
Das war‘s also, was der Hans machen wollte. Agnes überlegte kurz und kam dann zu dem Schluss, dass es einen Versuch sicher wert war. Wenn es nicht klappte, dann war‘s auch nicht so schlimm. Dann würden sie es eben auf die altmodische Art weiter versuchen. So nickte sie.
»Dann gehen wir hin, Hans, am besten gleich. Noch sucht uns keiner, wir haben Zeit. Hast du den Stoff schon in deinem Ränzel?«
Hans nickte stolz. »D-den hab ich im Lager gefunden. D-der liegt schon l-lange rum. Vater w-weiß gar n-nicht mehr, dass der noch d-da war. Hat er v-vergessen. Aber d-die Eier?«
Agnes lachte und deutete auf ihren Korb. »Da. Da ist ein gutes Schock Eier drin. Ich hab die Nester von drei Hennen gefunden. Das muss reichen für den Zauberer. Los, gehen wir gleich, bei so was soll man nicht zögern. Und wenn‘s unsere Hochzeit beschleunigt …«
Hans nickte, und die beiden erhoben sich, strichen ihre Kleider glatt und entfernten gegenseitig Blätter, Gras und was sich sonst darauf angeheftet hatte. Dann nahm Agnes ihren Korb hoch und Hans sein Ränzel. Hand in Hand machten sie sich auf, den neuen Dorfzauberer zu besuchen und ihn um einen Fruchtbarkeitszauber zu bitten. Während sie schweigend nebeneinander gingen, wandten sie öfter die Köpfe zueinander und küssten sich.
Kapitel 3
Nach einem kurzen Spaziergang einen kleinen Pfad am Waldrand entlang kamen die beiden Liebenden zu der Hütte. Die war längere Zeit unbewohnt gewesen und schon ein bisschen verfallen. Aber jetzt war ihr anzusehen, dass sie einen neuen Bewohner hatte, der sich um die Instandsetzung kümmerte.
Anscheinend hatte der neue Besitzer der Hütte die beiden schon kommen sehen, oder er hatte es geahnt, nachdem der Dorfpfarrer ihm den Besuch von zwei Jugendlichen angekündigt hatte. Er und der Alchimist waren alte Freunde, sie waren zusammen aufgewachsen und dann gemeinsam ins Priesterseminar gegangen. Nur hatten sich ihre Wege getrennt, als der eine sich für die Alchemie entschieden hatte und der andere für die Kirche. Aber über all die Jahre hatten sie sich nie ganz aus den Augen verloren. Und als der Alchemist nach seinem schnellen und etwas unrühmlichen Abgang beim Fürsten hierhergekommen war, hatte der Pfarrer ihm die Hütte verschafft und schickte ihm hier und da sogar ein Mitglied aus seiner Gemeinde, das eines kleinen und gottesfürchtigen Zaubers bedurfte.
Natürlich hatte der Pfarrer sofort gewusst, was los war, als sich der Hans nach dem Alchemisten erkundigt hatte. Der Hans und die Agnes – das würde eine schöne Hochzeit werden, mit einer großen Feier, mindestens drei Tage lang, so war‘s hier Sitte. Viel gutes Essen und Trinken würde es geben. Da würde sich der Großbauer nicht lumpen lassen, wenn seine einzige Tochter und erklärter Liebling heiraten würde. Der Pfarrer liebte Hochzeitsfeiern und Taufen, und wenn die beiden jungen Leute unbedingt heiraten wollten, die Eltern sich aber sträubten – warum sollte man dann die Sache nicht ein bisschen beschleunigen?
So hatte er dem Hans genau erklärt, was er zu tun und mitzubringen hatte für den Fruchtbarkeitszauber. Nicht, dass der Herr Pfarrer an so was glaubte, aber wenn die Kinder es taten, dann half es ja vielleicht doch, und er kam damit zu einer schönen Hochzeitsfeier und einer anschließenden Taufe. Und sein alter Freund verdiente auch ein bisschen was und musste nicht hungern.
Der betagte Alchimist stand vor seiner neuen Behausung und schaute sich das Pärchen an, das sich jetzt doch ein wenig zögernd näherte. Ja, da wusste er schon, was los war. Ein Liebestrank, ein bisschen Fruchtbarkeitszauber … Auch wenn er neu war hier, hatte er schon davon gehört, dass die Tochter des Großbauern den Sohn des Krämers heiraten wollte. Na, er würde seinen Teil dazu tun. »Kommt nur ran, Kinder. Ich beiß euch nicht. Ich freu mich, wenn mich junge Leute besuchen. Ihr habt was auf dem Herzen, oder? Nur rein in die gute Stube, nur hinein.«
Dadurch ermutigt, betraten Hans und Agnes die Hütte des Alchemisten. Sie sahen sich kurz im Halbdunkel um. Ein Tisch, vier Hocker, eine Feuerstelle, ein paar Gefäße, Kräuter, die zum Trocknen an den Wänden hingen, die ganze Hütte sah recht aufgeräumt und sauber aus.
Der alte Alchemist hatte als Letzter seine Behausung betreten und die Tür hinter sich geschlossen. Er schaute interessiert auf die beiden und fragte sich, ob sie wohl daran gedacht hatten, die Bezahlung für ihn mitzubringen. Ein Stück Stoff oder ein paar Eier, so hatte er dem Pfarrer gesagt, würden seine Zauber schon kosten. Schließlich musste er auch von irgendetwas leben.
»Was gibt‘s Kinder, was braucht ihr denn? Und was habt ihr mitgebracht für mich?«
Schweigend machte sich Agnes daran, aus ihrem Korb ein bisschen Stroh zu nehmen, auf das sie dann die Eier aus den drei Hühnernestern legte. Der Alchemist schaute erfreut auf die angebotene Gabe. Das war ja Essen für drei Tage oder mehr!
»Wir brauchen einen Fruchtbarkeitszauber, Herr Alchemist. Ein Kindchen wollen wir, wir beide.«
Der Mann kratzte sich seinen langen weißen Bart und nickte dann. Genau, wie er es sich gedacht hatte. Das würde nicht schwierig werden.
Jetzt öffnete Hans sein Ränzel und zog ein großes Stück Stoff heraus. Guter, sauberer, schön gewebter Hemdenstoff. Der Zauberer traute seinen Augen kaum, so ein wertvolles Stück Stoff für einen einfachen Fruchtbarkeitszauber? Er kicherte zufrieden vor sich hin, räusperte sich dann und sagte laut: »Ihr seid‘s brave Kinder. Gute Kinder, das seid ihr. Und euer Kleines, das wird wunderschön werden, ganz sicher. Einen feinen Trank werde ich euch brauen, dann wird der Nachwuchs bald unterwegs sein. Ihr müsst nur fleißig beieinanderliegen, nachdem ihr das getrunken habt. Dann wird schon bald euer Wunsch in Erfüllung gehen.«
Zumindest das wusste der alte Zauberer: Je öfter die Paare miteinander Liebe machten, desto mehr Kinder kamen dabei heraus. Das hatte er oft genug beobachtet, und deshalb legte er allen, die wegen so einem Trank zu ihm kamen, ans Herz, oft und gerne miteinander