Dem Licht entgegen. Liane Sanden. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liane Sanden
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711593417
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mir gestattet haben. Mister Meredith hatte keine Arbeit mehr für mich.“

      „Sind Sie schon lange da? Ich habe Sie gar nicht kommen hören.“

      „Vor wenigen Minuten. Gerade den Schluss des ersten Aktes habe ich miterlebt.“

      „Ach, da haben Sie die Ouvertüre versäumt. Schade — es war wunderbar. So plastisch und zusammengeschlossen. So streng und doch so jubelnd dabei. So — nun, wie eben nur ein deutscher Musiker sie wiedergeben kann.“

      Joachim sah voll Staunen Beates Gesicht. Heute abend, bei der Wegfahrt aus dem Hotel, war es so müde, beinah elend gewesen. So, als wäre irgendein Schmerz über Beate Meredith dahingegangen und von ihr noch nicht verarbeitet worden. Jetzt, in der Begeisterung über die Musik, war es weich gelöst. Die Augen leuchteten tief und eigen. Die Lippen und Wangen hatten einen wärmeren Schein. Glücklich sah sie auf einmal aus.

      Und auch Joachim war glücklich. Er vergass alles. Vergass, dass da im Mayr-Fair Meredith sass, dem diese Frau gehörte. Vergass, dass er selbst nichts war als ein kleiner Sekretär.

      Für ihn war nur noch Beate da. Stolz, glücklich ging er an ihrer Seite jetzt dem Foyer zu, registrierte heimlich jeden bewundernden Blick, der ihr galt. Dass auch mancher Blick für ihn bestimmt war, daran dachte er gar nicht. Und doch waren diese beiden Menschen, wie sie so nebeneinander gingen, wie geschaffen füreinander, Beate Meredith nur um ein Weniges kleiner als Joachim, beide sehr blond mit diesen hellen Gesichtern. Diesem ganzen Unaufdringlichen und Beherrschten, das von alter Rasse und alter Zucht sprach.

      „Darf ich Ihnen irgendeine Erfrischung besorgen, Mistress Meredith? Haben Sie Wünsche?“

      Beate lächelte.

      „Zunächst den einen, dass Sie das grässliche ‚Mistress Meredith‘ lassen. Ich mag die englische Anrede nicht.“

      „Also, dann gnädige Frau, darf ich Ihnen irgend etwas zu trinken besorgen, zu essen?“

      „Nein, danke! Wissen Sie, dieses Gedränge zum Büfett kommt mir nach einem solchen künstlerischen Erlebnis immer so schrecklich vulgär vor. Am liebsten möchte ich überhaupt in den Pausen gar nicht aus meiner Loge heraus.“

      „Aber dann hätten wir dort bleiben können.“

      Joachim sagte es ganz erschrocken. Beate grüsste gerade mit einem anmutigen Neigen des Kopfes eine grössere Gesellschaft eleganter Herren und Damen, die an der Freitreppe zu dem Foyer standen.

      „Mister Meredith wünscht, dass ich mich zeige.“

      Es kam sehr knapp. Das glückliche, warme Leuchten aus ihren Augen war wie fortgenommen.

      Joachim schwieg. Was sollte er auf diese Worte sagen? Wusste Beate, wie diese wenigen Worte wieder einmal ihr wahres Verhältnis zu Meredith enthielten? Warum nur — warum nur hatte sie diesen Mann gewählt? Ach, man würde auf dieses Warum niemals eine Antwort bekommen.

      Ein Klingelläuten scholl durch den Raum.

      Beate wandte sich zum Gehen.

      „Kommen Sie, es fängt gleich wieder an. Nun kommt mein Lieblingsakt. Ich kenne die ‚Meistersinger‘ auswendig, vom ersten bis zum letzten Ton beinah. Und immer wieder sind sie doch neu, schön und überwältigend.“

      „Wie alles, was wirklich aus der Kunst herausquillt.“

      Beate nickte.

      „Man kann es sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass Wagner so um die Anerkennung der Welt ringen musste. Dass man ihn verlacht hat. Verspottet. Dass er beinah am Unverstand seiner Zeitgenossen gescheitert wäre.“

      Leise sagte Joachim:

      „Das wirklich Wertvolle und Echte hat es immer schwer. Je grösser der Kampf, um so mehr eigentlich der Beweis dafür, dass es etwas Wertvolles ist, was sich durchsetzen will. So geht es mit Kunstwerken, so geht es mit wissenschaftlichen Taten, so geht es schliesslich auch mit den einzelnen Menschen.“

      Beate Meredith schwieg. Sie hatte den Kopf gesenkt.

      „Nur dass manchmal die Kräfte des einzelnen nicht mehr ausreichen, Herr von Retzow. Auch das Beste wird einmal müde und kann nicht mehr kämpfen.“

      „Das klingt so mutlos, gnädige Frau.“

      Beate schien wie aus tiefen Gedanken zu erwachen.

      „Das war nur eine allgemeine Bemerkung, Herr von Retzow.“

      Es kam schon wieder beherrscht und ruhig.

      Warum willst du dir niemals in dein Herz blicken lassen!, dachte er. Warum muss ich alles ertasten und weiss doch nichts von deinem wirklichen Leben? Ich möchte ja nichts sein als ein Freund, der immer für dich da ist, der nichts für sich wünscht, sondern nur alles für dich.

      Sie waren an der Loge angelangt. Ehrerbietig liess er Beate vor, schob ihr den Sessel zurecht.

      „Mein Cape“, sagte sie und zog die Schultern zusammen, als ob sie friere.

      Sorglich legte Retzow ihr den weissen, weichen Pelz um die Schultern. Seine Hand streifte dabei, ohne es zu wollen, ihre Schulter. Sie war kühl. Und dennoch schien Glut von ihr geradeswegs in seinen Körper und in seine Seele zu flammen.

      Nun wurde es dunkel. Die farbigen Kleider der Frauen, die hellen und dunklen Gesichter, die schwarzen Fräcke versanken. Alles Licht sammelte sich auf dem Orchester, das, halb verdeckt, unten wartete. Die letzten Instrumente wurden leise gestimmt. Jetzt kam der berühmte deutsche Kapellmeister. Schlank, gross, mit einem grauen Künstlerkopf. Beifall prasselte auf. Er verbeugte sich. Nun klappte sein Taktslock leise auf das Pult. Stille war. Die ersten Töne rauschten wieder auf.

      Beate Meredith sass ganz still. Sie schien ein einziges Lauschen. Und auch Joachim vermochte endlich sich zu sammeln. Alles in ihm wurde still. Er gab sich ganz der Magie dieser grossen Kunst hin. Die Töne webten um ihn und die geliebte Frau ein dunkles, weiches Band.

      Sie sprachen nicht mehr viel miteinander an diesem Abend. Schweigend verliessen sie das Theater. Schweigend stiegen sie in den Wagen, der vor dem Portal wartete. Beate sass still, die Hände leicht im Schoss gefaltet. Sie hatte einen ihrer langen, weissen Handschuhe nicht angezogen. Im Licht der vorüberfahrenden Laternen blitzten die kostbaren Ringe an ihren Fingern grell auf. Joachim hatte es noch nie so bemerkt wie jetzt, dass diese Ringe eigentlich gar nicht zu ihr passten. Sie erdrückten die Schlankheit dieser Finger fast. Sie waren wie ein plumper Fetisch an einem kostbaren Kunstwerk. Es war eigentümlich, dass alle Pracht und Eleganz irgendwie Verstellung schienen an Beate. Es war, als ob sich das Edle ihres Wesens empörte gegen all dieses, was Pracht und Ueberladung hiess. Er sah ihr Profil rein und herb, das Haar lag lind und schlicht über der klugen Stirn. Ihr Mund hatte etwas so Unerwecktes, Reines, und gehörte doch Meredith.

      Da war er wieder bei Meredith. Bei dem ewigen Fragen und Forschen: warum Beate und Meredith sich begegnen mussten! Es war mehr als Eifersucht, dieser Schmerz. Es war die Trauer, dass das kostbarste Kunstwerk in solchen Händen war.

      Sie waren nun bald vor dem May-Fair angelangt, da sagte Beate Meredith plötzlich:

      „Schön, dass man einen Augenblick schweigen konnte. Man braucht einmal eine Stunde der Stille. Sonst ist ja immer alles“ — sie seufzte auf — „wie ein Wirbel, in dem man fortgetrieben wird. Und morgen geht es schon wieder weiter. Wie ich mich nach Stille sehne!“

      „Ja, morgen reisen Sie in den Kaukasus, gnädige Frau“, erwiderte Joachim gepresst. „Mister Meredith sagte es mir heute abend. Ich weiss gar nicht, wie lange er fortzubleiben gedenkt.“

      „Kommen Sie denn nicht mit?“

      „Nein, gnädige Frau, ich habe für Mister Meredith Verschiedenes hier und in Deutschland zu erledigen. Wird es lange sein, dass Sie fortbleiben?“

      Beate Meredith zuckte die Achseln:

      „Das dürfen Sie mich doch nicht fragen. Ich habe keine Ahnung von den Geschäften meines Mannes. Möglich, dass es lange dauert. Möglich, dass wir auch bald weiterreisen.