Allmählich ebbte der Lärm ab. Die erregten Mammuts beruhigten sich wieder. Sie wußten: So bald würden die Wölfe nicht mehr angreifen. Der Zusammenhalt der Herde hatte sich wieder einmal bewährt; ohne ihn wären die Babys verloren gewesen, denn eine Mutter allein kann sie nicht schützen. So hatte das Trompetensignal ihrer Mutter auch Manka gerettet. Doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis Manka sich wieder unter ihrem Bauch hervorwagte.
Manka lernt Schnorcheln
Windböen fegten über die Tundra. Zwischen treibenden Wolkenfetzen schimmerte nur selten noch ein wenig Blau. Am Himmel zogen die letzten Sommervögel südwärts: Wildgänse und Enten, Kraniche und Schwäne und die verschiedenen Arten der Regenpfeifer. Und wenn ein Regenschauer niederprasselte, troff das Wasser von den Zottelpelzen der Mammuts.
Als im September die Temperaturen weiter fielen, mischten sich schon vereinzelt Schneeflocken unter die Regentropfen. Noch war der Schnee wäßrig und blieb nicht liegen. Aber die Schneehühner wechselten schon das Gefieder von rostbraun in weiß. Und Polarfüchse und Schneehasen bekamen ihr tarnendes Winterfell.
Auch die Rentiere wanderten nach Süden, Kühe und Hirsche gemeinsam in einer Herde mit den jungen Kälbern. Und die herbstlich bunten Blätter der Zwergbirken ließen die karge Tundralandschaft in seltenen Sonnenstunden noch manchmal aufglühen.
Jetzt schloß die Mammutherde sich wieder enger zusammen. Die Mutterfamilien und Jungtiere folgten den Bullengruppen. Und wieder lief der alte Rasu an der Spitze.
Wenn die Nahrung knapper wurde, stiegen auch die Gefahren. Höhlenlöwen streiften umher auf der Jagd nach Beute. Wolfsrudel heulten in den Nächten. Und die riesenhaften Höhlenbären suchten nach den letzten Tundrabeeren. Auch sie konnten den Mammutbabys gefährlich werden.
Inzwischen war Mankas Bißwunde verheilt, der juckende, rissige Schorf abgefallen. Doch sie hatte nichts vergessen. Sie wußte nun, daß es auch für Riesentiere wie Mammuts Gefahren gab, selbst von kleineren Tieren. Nur war es auch für Mammutkinder schwer, zwischen bitterer Erfahrung und unbezähmbarer Neugier einen Mittelweg zu finden.
Als an einem hellen Herbstmorgen die Sonne noch einmal die Luft voll tanzender Mücken erwärmte und auch die Oberfläche der seichten Gewässer, stürmte Manka ungestüm über das verschlammte Ufer in einen träge fließenden Bach. Sie mochte Baden und Planschen im Wasser. Und sie ahnte wohl, daß es damit bald vorbei sein würde. Rundu und Singa rannten durch den Morast platschend hinter ihr her.
Doch der Bach war durch den Regen angeschwollen und tiefer, als Manka glaubte. Mit einemmal verlor sie den Grund unter den Füßen. Sie tauchte unter. Klatschend schlugen die Wellen über ihrem Kopf zusammen.
Augenblicke lang hörte sie nur dumpfes Brausen, sah nur sprudelnde Luftblasen und aufgewühlten Schlamm. Sie schluckte Wasser, bekam keine Luft mehr. Angst schnürte ihr die Kehle zu. Und irgend etwas Schweres drückte sie zum Grund hinab. Es war Rundu, der gestürzt und auf sie gefallen war, dann aber seitlich von ihr abrutschte.
Verzweifelt strampelte Manka mit den Beinen, fuchtelte mit ihrem Rüssel. Und dabei stieß ihre Rüsselspitze über die Wasseroberfläche. Prustend blies Manka eine Wasserfontäne hoch. Plötzlich bekam sie Luft, schnaufte und schniefte, sog mit dem Rüssel Luft ein wie durch einen Schnorchel. Und diesen schnorchelnden Rüssel sah ihre Tante. Gemeinsam mit ihrer Mutter hievte sie Manka entschlossen aus dem Bach.
Kurz danach kam auch Rundu aus dem Wasser. Er war dichter am Rand gewesen und hatte es allein geschafft. Und er hatte weniger Wasser geschluckt.
Noch ein wenig benommen stand Manka am Ufer, triefend vor Nässe. Die Lust zum Baden war ihr vergangen, jedenfalls im Moment. Sie hatte zu viel Wasser schlucken müssen, zu viel Angst gehabt. Und als nach einer Weile die Herde den Bach an anderer Stelle überquerte, hielt Manka sich ängstlich zwischen ihrer Mutter und der hilfsbereiten Tante.
Rasu und die Fallgrube
Unaufhaltsam zog die Mammutherde dem Süden zu: aus der an die Gletscher des Inlandeises grenzenden Tundrazone in die hügeligere Taiga. Es war ein weiter Weg bis zu den bewaldeten Ausläufern der Mittelgebirge.
Die erfahrenen Bullen und Kühe folgten zielsicher den uralten Mammutpfaden. Sie wußten: In den waldreichen Tälern waren sie den eisigen Winterstürmen nicht so schutzlos ausgeliefert wie in den baumlosen Ebenen der kargen Tundra mit ihrem Dauerfrostboden. Und dort gab es neben den Steppenpflanzen auch junge Laub– und Nadelbaumsprossen.
Neugierig beobachtete Manka die unbekannte Landschaft. Hier war sie ja noch nie gewesen, hatte noch keine Herbstwanderung mitgemacht. Mit ihren knapp vier Monaten kannte sie nur den Tundrasommer. Inzwischen war sie ein wenig gewachsen. Und jetzt konnte sie auch ihren kleinen Rüssel schon richtig benutzen. Schnüffelnd pendelte sie mit der Rüsselspitze über den Boden.
Zwischen niedergetretenem Gras und Gesträuch roch es fremdartig. Nicht nur Mammutherden waren hier durchgezogen. Auch Rentiere und Auerochsen, Wisente und Wildpferde, Riesenhirsche, Wollhaarnashörner und Moschusochsen wanderten auf den bequem flachgewalzten Mammutstraßen. Und ihnen folgten Höhlenlöwen, Säbelzahntiger, Wölfe und Höhlenbären auf der Suche nach Beute.
Doch es gab auch noch andere Wesen, die mit lauerndem Blick die Spuren der südwärts ziehenden Tiere beobachteten: seltsame, aufrecht gehende Wesen mit gedrungenen, fellbekleideten Körpern und spitzen Speeren in den Händen. Manka sah nur einmal flüchtig ein paar Späher von fern. Sie wußte noch nichts von der Gefährlichkeit der eiszeitlichen Jäger, von ihrer listenreichen Jagd.
Manka merkte nur, daß die Bullengruppe an der Spitze der Herde sich mit äußerster Vorsicht bewegte. Das mählich ansteigende Tal wurde an dieser Stelle ziemlich eng: an der einen Seite begrenzt von einem über Geröll plätschernden Wildbach vor unwegsamem Urwald, an der anderen Seite von einem felsigen Steilhang.
Mißtrauisch stapfte Rasu vornweg. Er kannte diesen Engpaß, war in seinem langen Leben diese Strecke schon oft gegangen. Hier war die Herde schon häufig in Gefahr geraten. Und Rasu vergaß nie etwas, das ihn einmal bedroht hatte. Er besaß ein ausgezeichnetes Gedächtnis. Und er hatte aus seinen Erfahrungen gelernt.
Wie meist trug er einen stattlichen Ast in seinem Rüssel, um sich sein dichtes Zottelfell zu kratzen, wenn es ihn juckte. Und es juckte ihn ziemlich oft. Auch jetzt wieder. Gerade hatte er sich ausgiebig gekratzt, dabei aber den Weg vor sich nicht aus den Augen gelassen.
Plötzlich blieb er stehen, legte den Ast ab, trompetete lautstark und nahm den Ast wieder auf. Die riesige Herde stand wie angewurzelt, lauerte auf die von Rasu signalisierte Gefahr.
Vorsichtig begann Rasu, mit dem Ast im Rüssel auf den Boden zu stoßen. Noch klang das Klopfgeräusch wie gewohnt. Doch nicht lange. Schon nach wenigen Schritten blieb der dumpfe Ton des aufstoßenden Holzes aus. Es klang irgendwie hohl. Und der Ast stieß mit deutlich vernehmbarem Rascheln durch welkes Gestrüpp und loses Gras ins Bodenlose.
Rasu wußte genau, was das bedeutete. So tarnten die Eiszeitjäger ihre Fallgruben. Und schon manches unerfahrene Mammut war darin eingebrochen und hatte sich an den eingerammten Pfahlspitzen tödlich verletzt. Das hatte Rasu früher schon ein paarmal hilflos mit ansehen müssen. Seine Erfahrung und seine Vorsicht aber retteten ihn und seine Gefährten. Nur: Der Weg war versperrt.
Entschlossen riß Rasu mit dem Rüssel die losen Äste und Zweige von der Grube. Jetzt konnte jeder die Gefahr erkennen. Dann stapfte er gemächlich in den Wildbach und über das nasse Geröll seitlich an der Fallgrube vorbei. Und die Herde folgte ihm durch das eiskalte Bergwasser.
Als Manka an der Grube vorbeikam, streckte sie neugierig ihren kleinen Rüssel über das tiefe Loch, sah die spitzen Pfähle, schnupperte den fremden Geruch. Es roch nach Mensch. Und sie spürte eine dumpfe Angst.
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