Das konnte Manka schon fast allein. Sie war nur noch etwas taumelig vom Schlaf. Und kaum stand sie aufrecht, suchte sie eifrig nach ihrer Morgenmilch. Geduldig ließ ihre Mutter sie trinken, bis sie satt war. Nur, das dauerte eine Weile. Erst dann fühlte Manka sich zufrieden.
Jetzt begann auch ihre Mutter ihre Morgenmahlzeit. Wie alle Elefanten futterten auch die Mammuts einer Herde immer gemeinsam, abgestuft nach der Rangordnung. Die Ranghöchsten besetzten die ergiebigsten Stellen. Und nur langsam bewegten sich die einzelnen Tiere weiter, wenn sie einen Fleck abgegrast hatten.
Neugierig beobachtete Manka das Treiben der Großen. Ihr Bruder riß gerade einige Birkenzweige ab, zerkleinerte sie sorgfältig und schob sie sich mit dem Rüssel in den Mund. Ihre Mutter hielt sich mehr an das üppig wuchernde Gras, bündelte es mit ihrem Rüssel und klopfte die anhaftende Erde an ihren Säulenbeinen ab, bevor sie es gemächlich zwischen ihren Mahlzähnen zerkaute.
Das interessierte Manka. Sie drängte sich an ihre Mutter und betrachtete neugierig ihre halbgeöffneten Kiefer, die seltsam breiig-grüne Masse.
Davon etwas abhaben wollte sie noch nicht. Sie war ja noch ein Milchkind und satt von ihrer Morgenmilch.
Zutraulich tappte sie zu ihrem Bruder, der sich ausgiebig an einem Birkenstamm scheuerte. Ihm juckte das Fell. Ranko war mit seinen vier Jahren nur knapp einen halben Meter größer als sie selbst, hatte aber schon kleine Stoßzähne. In seinem zottigen Fell hafteten Grashalme und Blätter. Und er begrüßte seine kleine Schwester mit einem Quietschlaut.
In diesem Augenblick ertönte rasch näher kommendes Stampfen. Im Eilschritt rannte ein anderer junger Mammutbulle auf die beiden zu. Manka erschrak. Doch der junge Bulle wollte gar nichts von ihr, er wollte mit dem gleichaltrigen Ranko raufen. Und Ranko reagierte sofort.
Kampfbereit hob er seinen zotteligen Kopf und schwang seinen Rüssel über die Stirn. Mit abgestellten Ohren näherten sich die beiden. Doch bevor sie mit ihren Rüsselansätzen aufeinanderstießen, fühlte Manka sich von einem viel größeren Rüssel vom Kampfplatz gezogen.
Es war ihre Mutter, die sie vor dem Ungestüm der beiden Raufbolde bewahren wollte. Aufatmend lief Manka neben ihr her, blickte aber zwischendurch immer wieder zurück. Dabei sah sie, wie die beiden jungen Bullen ihre Rüssel um den Kopf des anderen schlangen und mit durchgestemmten Beinen den Gegner zurückzudrängen versuchten. Das sah ziemlich gefährlich aus, war aber nur Spiel. Und Manka war sehr froh, als sie mit ihrer Mutter auf eine Gruppe großer Kühe traf, die zwei andere Mammutbabys umringten.
Die beiden Kleinen schnupperten aufgeregt. Und auch Manka schnupperte neugierig. Die beiden waren nur wenige Tage vor Manka geboren worden, also Babys wie sie. Ihre Mütter hatten die drei Kleinen zusammengeführt, um gemeinsam einen Kindergarten von Mammutbabys zu bilden. Sie sollten zusammen in der Herde aufwachsen und miteinander spielen. So ließen sie sich auch leichter beaufsichtigen.
In dieser Gesellschaft fühlte Manka sich wohler als bei den älteren Jungbullen. Und beschützt von den Großen, wanderten sie dicht beieinander in den Morgen.
Unverhofftes Bad
In den nächsten Tagen blieb es sonnig. Die Mammutherde war weiter in die baumlose Tundra gezogen, vorbei an Seen und Tümpeln, an düsteren Mooren und blütenübersäten Sumpfrändern, über flechtenbedeckte Steinhalden und durch seichte Flüsse und Bäche. Vogelschwärme zogen am klaren Himmel. Im Frühsommer bot die sonst karg wirkende Kältesteppe reichlich Nahrung. Das wußten die alten, erfahrenen Mammuts. Unbeirrt folgten sie den uralten Wanderwegen.
Erst als am Horizont die gewaltige Eisbarriere der von Norden vordringenden Gletscher aufschimmerte, bogen die Leittiere nach Süden ab. In dieser lebensfeindlichen Eiswüste gab es für sie kein Überleben.
Die weiten Ebenen, die man später das Norddeutsche Tiefland nennen würde, waren damals vor rund vierzigtausend Jahren, in der Würm-Eiszeit, von einem dicken Eispanzer überzogen. Und von den Alpen im Süden schoben sich die Berggletscher nordwärts. Alles Leben in Tundra und Taiga war zwischen zwei sich langsam bewegenden Eisströmen gefangen. Dazwischen aber gab es Raum genug für zahllose Tiere und auch für Menschen.
Manka sah kaum etwas von dem eisigen Horizont. Sie spürte nur den kalten Wind, der von den zerfurchten Gletschern herüberwehte. Doch ihr dichtes, wolliges Fell schützte sie vor der Kälte. Und die kleine Gruppe, in deren Mitte sie langsam über die Tundra wanderte, bot ihr Geborgenheit.
Inzwischen kannte Manka die einzelnen Mitglieder des Kindergartens: Rundu und Singa, die beiden Mamrnutbabys, und ihre Mütter, Rundus dreijährige Schwester Malu, die kinderlose Tante, die bei der Geburt geholfen hatte, und Singas vierjährigen Bruder Kolo, der immer mal wieder mit Ranko raufte.
Im Moment benahmen die beiden jungen Bullen sich recht friedlich. Ranko lief sogar dicht neben Manka und half seiner kleinen Schwester fürsorglich über die Unebenheiten des Geländes, während Mankas Mutter sie von der anderen Seite stützte.
Überall zwischen dem wuchernden Grün lagen kleinere und größere, von den Eismassen rundgeschliffene Felsbrocken, die vom letzten Gletschervorstoß zurückgeblieben waren. Und nicht immer konnte die Mammutherde dem Moränenschutt ausweichen. Zum Klettern aber waren die Mammutbabys noch zu ungeschickt. Dann schob Mankas Mutter ihren mächtigen Rüssel vorsichtig unter Mankas Hinterteil und hob sie auf das Hindernis. Und Ranko schob ihr stützend seinen Rüssel unter den Bauch.
Manka gefiel es auf einem der flechtenüberzogenen Felsbrocken. Von hier aus bekam sie einen besseren Überblick. Neugierig sah sie sich um.
Vorn an der Spitze der Herde liefen sichernd ein paar einzelne große Bullen, angeführt vom alten Rasu. Danach folgten Gruppen von Kühen mit halbwüchsigen Jungen. Der Kindergarten mit Manka befand sich in der Mitte. Und hinter ihnen kamen Gruppen von Jungtieren. Den Schluß bildeten wieder einzelne große Bullen.
In der Ferne jedoch zeichneten sich Umrisse von Tieren ab, die Manka noch nicht kannte. Dort zog in gewundener Reihe eine Rentierherde durch die Tundra. Und unweit der vorderen Mammutbullen trottete gemächlich ein mächtiges Wollhaarnashorn mit Kind. Von anderen Tieren sah Manka nichts; sie wichen der Mammutherde aus.
Mit einemmal bekam Manka einen sanften Stoß. Ihre Mutter und Ranko trieben sie behutsam weiter: herunter von dem Felsbrocken. Doch als Manka mit ihrer Hilfe das Steingewirr schnaufend überklettert hatte, stand sie vor einem neuen Hindernis. Und diesmal war es Wasser.
Zögernd beäugte Manka den träge fließenden Schmelzwasserbach. Unter der dünnen Grasnarbe am Uferrand schimmerte eine dicke Eisschicht. Entschlossen watete Mankas Mutter in den flachen Bach und erstieg das jenseitige Ufer. Sie wußte, daß Manka das noch nicht allein schaffte, wandte sich ihr zu und versuchte, sie mit dem Rüssel vorsichtig hochzuziehen.
Manka aber geriet in ihrer Ungeschicklichkeit mit den Füßen an das glatte Eis, glitt ab und rutschte spritzend halb ins Wasser. Die nasse Kälte erschreckte sie. Und sie begann heftig zu zappeln.
Im gleichen Augenblick spürte sie von hinten einen anderen Rüssel, der sie hochhob. Die Tante hatte energisch mit zugepackt. Und mit vereinten Kräften zogen die beiden Großen die tropfnasse Manka aufs Trockene.
Noch etwas verdutzt über das unverhoffte Bad stand Manka am Ufer. Da platschte es direkt hinter ihr, Wasser spritzte über sie hinweg. Rundu war ebenfalls in den Bach gefallen, nur noch weiter hineingerutscht. Hilflos trompetete er seine Angst über die Tundra. Doch auch er wurde von seiner Mutter und seiner größeren Schwester rasch ans Ufer befördert. Und die wärmende Sonne trocknete den beiden Kleinen das Fell.
Begegnung am Pingo
Von Osten her begann es zu dämmern. Die Sonne blieb noch hinter fahlem Grau verborgen. Und viel heller wurde es auch nicht. Ein trüber Tag hüllte die Tundra in mageres Licht. Leichter Nieselregen näßte