Für mich gab's nur Jérôme - Katharina von Württemberg und Jérôme Bonaparte. Utta Keppler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Utta Keppler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711708552
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Marschtritt, auch einmal helles Gejubel von Kindern, die wohl dem Zug nachliefen.

      Katharina entschuldigte sich, sie müsse zu ihrer Vorleserin zurück.

      Das nächstemal, bei einem dieser Pflichtbesuche, kam sie zögernd und hatte sich vorgenommen, gleich nach der formellen Begrüßung ein harmloses Thema anzuschlagen; sie habe, sagte sie zu Mathilde, recht Interessantes über die Bonapartes gehört, von denen jetzt die ganze Welt widerhalle, da der Feldherr Napoleon die Italiener, die Österreicher, sogar den Papst in seine Gewalt gezwungen habe.

      Ein Konkordat sei geschlossen worden, meinte die Kurfürstin, und der Papst sitze irgendwo im Exil oder werde es bald tun müssen – diese räuberische südländische Sippe habe nur Fußtritte für Traditionen, und Katharina werde ihr, die in den Formen der High Church erzogen worden sei, keine Sympathien für den Papst zutrauen!

      Immerhin, sagte Katharina, sorge dieser Napoleon für seine Familie.

      Eine Weile saßen die beiden Damen wieder stumm voreinander. Katharina hatte einiges von Seegefechten und Schiffsbegegnungen, von irgendeiner ärgerlichen Geschichte über den jüngsten Bruder Napoleons, Jérôme, gehört und glaubte, der Engländerin mit einem Lob der Royal Navy Freude zu machen.

      Mathilde reagierte anders. Sie wurde unvermutet lauter: »Dieser Scharlatan! Der jüngste und dümmste der Napoleonsbrüder! Er ist mit seiner Brigg – mit neunzehn Jahren hatte man ihn zum Kommandeur gemacht! – nicht etwa befehlsgemäß nach Guadeloupe gesegelt, wohin er sollte, sondern nach dem englischen Dominique! Und bei diesem schon brüchigen Pakt … fair, wie Old England ist, hat man sich noch einmal an den bereits fraglichen Vertrag gehalten, hat Jérôme festlich empfangen, und danach ist er – dieser Blender und Schaumschläger – nach Neuengland gesegelt, nach Baltimore, nach den abtrünnigen Staaten von Amerika!«

      Katharina nickte. Allzuviel interessierte sie dieser sichtlich unzuverlässige Bursche nicht.

      Mathilde allerdings hatte sich einmal für das Thema erwärmt, nicht Jérômes wegen, dessen ganzes Wesen ihr zuwider war, eher, weil sie trotz aller Abneigung gegen den illegitimen, angemaßten, wildwüchsigen Kaiser seine Faszination spürte und die Gefahr für England und Europa mehr ahnte als sah – dieses völlig Neue, den Elan, die unverbrauchten Gedanken und die unvorhersehbaren Pläne.

      Es war die Rede davon, was sich dieser junge Fant, Jérôme, geleistet hatte, als er ein englisches Kriegsschiff angehalten und wie eine Handelsprise gestoppt hatte, als gelte die Blockade auch der bewaffneten englischen Macht. Sein Admiral wütete, man fürchtete, der offene Kampf werde ausbrechen, ehe noch Frankreich dafür gerüstet sei, und war froh, als England nicht zurückschlug. Später, als der Seekrieg zwischen den beiden Mächten wirklich erklärt war, leistete er sich ein echtes Bravourstück, das ihm rühmlich angerechnet wurde: Er steuerte die umstellte und – nach aller Voraussicht – verlorene Veteran durch ein unerhört kühnes Manöver in die Bucht von Concarneau und entzog sie so dem Zugriff der Navy …

      Indessen hatte sich sein »großer Bruder« 1804 selber die Krone aufgesetzt und den Papst dabei nur zusehen lassen. Man beobachtete erstaunt, wie er seinen ägyptischen Feldzug aufzog, ein tolles Unternehmen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt schien.

      Man erfuhr empört von der Hinschlachtung der zweitausend Türken, die er gefangengenommen hatte; ihrem Ehrenwort, nicht mehr zu kämpfen, war nach den früheren Erfahrungen nicht zu trauen, sie zu ernähren war ohne besseren Nachschub unmöglich – man trieb sie mit Schüssen ins Meer.

      Mathilde konnte sich in ihrem Barbarenhaß nicht genug tun, freilich lag das englisch-indische Beispiel noch zu fern. Sie wußte vom Befehl Peters des Großen, sein im Krieg durch die Pest bedrohtes Heer durch die Ermordung aller Pestverdächtigen zu retten.

      Katharina, bedrückt von allem Düsteren des Riesenreiches, in dem sie ihre früheste Kinderzeit erlebt hatte, sprach von der besseren Regierung der Katharina, und Mathilde ließ den Mord am Zaren, den die Zarin geduldet und geschürt habe, noch einmal auftauchen.

      Die junge Katharina mochte ihre Patin nicht beschmutzen lassen – ihr stand das majestätische Gemälde, das der Vater besaß, vor Augen, die herrscherliche schöne Frau im Purpur mit den bannenden dunklen Augen und dem vollen Mund …

      Mathilde hielt ihre Plantagenets und Tudors dagegen, den Löwenherz und Heinrich den Zweiten; nur auf die Frage nach den Lebenden, den Hannoveranern, schwieg sie gern: Der schwerkranke, geistig verdüsterte Georg der Dritte hatte wenigstens die beiden Pitts, seine fähigen Minister, die Schlimmeres verhüteten, ehe er an seiner unerkannten Porphyrinurie sterben durfte.

      Napoleon also! Das Thema Europas … Lükkenhafte Berichte kamen aus Ägypten, wo der General sich noch immer mit Türken und Arabern schlug, wenig Nachschub und Proviant hatte und einen Kleinkrieg führte, der ihm zwar Ruhm, aber auf die Dauer keinen Landgewinn bringen konnte.

      Dafür hatten seine Wißbegier, seine Ungeduld, die Raserei seines immer unbefriedigten Impetus ihn geführt, verführt zu Erkenntnissen, die beinahe hellsichtig waren.

      Erstaunliches erfuhr man in Europa über seine hingeworfenen Gedanken: Er sei, hieß es, durch den Fehler eines ägyptischen Führers an den »Quellen Mose« bei Suez von der Flut überrascht worden und habe beschlossen, das Land zu vermessen und einmal, in befriedeten Zeiten, einen Kanal dort zu bauen – er habe, angeregt durch die monumentalen Grabmäler, die Pyramiden, die seinen Hang zum Kolossalischen ansprachen, nach Leben und Kultur Ägyptens geforscht und ein Team von Gelehrten aufgeboten, die erstaunliche Ergebnisse einbrachten, denn die frühe Geschichte Ägyptens lag für die Europäer im dunkeln. Vor allem ihre Schrift interessierte Napoleon, von ihr erhoffte er Aufschlüsse über die Geheimnisse des Landes. Schließlich gelang es dem Orientalisten Champollion, den »Stein von Rosette« zu entziffern, auf dem in drei verschiedenen Sprachen ein Dekret niedergeschrieben war – ägyptisch, demotisch und griechisch –; die Hieroglyphen konnten in der Folge entziffert werden. Es verstand sich, daß medizinische und organisatorische Reformen dazukamen, daß der Eroberer das besetzte Land sich und seinen Ideen »anverwandelte«.

      Friedrich von Württemberg – oder Wirtenberg, wie es damals noch hieß – ließ sich nicht ungern auf solche Einzelheiten der Berichte ein, obgleich ihm die großen Linien napoleonischer Politik wichtiger und vielleicht sogar durchsichtiger waren als vielen seiner Mit-Rheinbundfürsten. Denn in kleinerem Maßstab war sein Charakter dem des großen Korsen sogar ähnlich, wenn ihm auch – abgesehen von den engeren Verhältnissen und ohne den ungeheueren Vorangang und Auftrag der Revolution – die Verpflichtung zum Neuerer fehlte. Friedrich war bei hoher Intelligenz und einem erstaunlichen Gespür für kaum zu formulierende Antriebe in der Wurzel ein Mann der Ordnung, der starren, versteiften Tradition, er glaubte an das göttliche Recht seines Fürstentums und an die gottverliehene Würde – oder zumindest, er ließ Land und Leute samt Mathilde und Katharina glauben, daß er daran glaubte …

      Ein bißchen Geschichte könne den Frauen nicht schaden, meinte er bei einem seiner raschen Besuche beiläufig; Katharina kannte ihn gut genug, um zu wissen, daß er diese Visiten nur halbherzig machte, mit halbherziger Teilnahme, nur selten mit einer aufflackernden väterlichen Zärtlichkeit für seine Tochter. Die Frau, immer unförmiger und unbeweglicher geworden, behandelte er mit der vorgeschriebenen Höflichkeit als Fürst und offizieller Gatte, bei Festen und Auftritten mit der Courtoisie des Herrn aus altem Haus.

      Katharina war ziemlich isoliert mit ihren Damen, der Hof sollte wenig Kosten machen und klein gehalten werden. Ein paar Briefbekanntschaften, flüchtige Ballplaudereien, einmal das Kompliment eines trockenen norddeutschen Prinzen, der sich mühsam zu gestotterten Höflichkeiten aufschwang. Die wenigen Gespräche mit dem Vater, der sogar gelegentlich über den Halbgott Napoleon und dessen italienische Abkunft aus der Toskana ein paar Worte verlor, waren eigentlich das einzige, was sie mehr als nur flüchtig interessierte. Die »Buonaparte« seien bei den Ghibellinen gestanden, den Waiblingern, und also eigentlich schwäbische Untertanen, behauptete er, und genauso die Buonarroti, was ›guter Stein‹ heißen könnte und zu dem Bildhauer Michelangelo passe.

      Er gönnte ihr selten solche Unterhaltungen, und sie hatte keine Mutter, nur Mathilde, die zu kühl war, um ihr nahzukommen.