Abb. 4: »Das Lied der Deutschen« vom 1. September 1841, Arrangement für Singstimme, Klavier und Gitarre.
Campe musste sich des Erfolgs des Liedes sicher gewesen sein, denn er ließ es wenige Tage später als Flugblatt in einer Auflage von mehr als 400 Exemplaren drucken. Der Titel des Hamburger Erstdrucks vom 1. September 1841 lautete:
»Das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben, Melodie nach Joseph Haydn’s: Gott erhalte Franz den Kaiser, Unsern guten Kaiser Franz! Arrangiert für die Singstimme mit Begleitung des Pianoforte und der Guitarre (Text Eigentum der Verleger). 1. September 1841, Hamburg, bei Hoffmann und Campe, Stuttgart, bei Paul Neff. 4 bill. gr. 8º. Satz und Stereotypie von Fabricius (Preis 2 g. Groschen).«
Genauso erstaunlich ist, dass die öffentliche Uraufführung des Liedes nur einen Monat später stattfand. Die Hamburger Liedertafel unter Leitung ihres Gründers Albert Methfessel (1785–1869) sang es am 5. Oktober 1841 anlässlich eines Fackelzuges zu Ehren von Carl Theodor Welcker (1790–1869), Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Freiburg. Über dieses Ereignis, bei dem Hoffmann von Fallersleben anwesend war, berichteten die »Hamburger Nachrichten« am 8. Oktober:13
»Nach einem sehr unfreundlichen […] Tage war das Wetter ein paar Stunden nach Sonnenuntergang nach und nach ruhiger geworden, die Wolken hatten aufgehört, ihre nassen Gaben zu spenden, sie verteilten sich und der Mond zog hell herauf, um mit seinem milden Licht das Schauspiel, die öffentliche Würdigung eines Biedermannes, von anderen gleichgesinnten Ehrenmännern, das hier an den Ufern des schönen Alstersees vor den Augen von Tausenden stattfand, zu beleuchten. Kopf an Kopf standen nicht nur an der Straße vor dem Hause, sondern auch auf dem daran stoßenden Gänsemarkte und in den beiden Alleen des alten und neuen Jungfernstiegs die Massen der Teilnehmer, die zugleich Mitwirkende und Zuschauer waren.
Zuerst ward von dem ausgezeichneten Hornisten-Corps unseres Bürger-Jäger-Bataillons ein Marsch gespielt, dann beim Licht rot brennender Fackeln Hoffmann v. Fallerslebens ›Lied der Deutschen‹ nach der Melodie ›Gott erhalte Franz den Kaiser‹ gesungen, worauf Herr Dr. Wille den Herrn Hofrat Welcker im Namen Hamburgs begrüßte und ihm ein dreimaliges Hoch! brachte. Nachdem die Fackeln ihr Licht in Weiß geändert, ward von dem Herrn Professor Wurm eine kurze Anrede gehalten, in welcher er sich über die deutschen Verhältnisse überhaupt in kräftigen Worten aussprach. Hierauf dankte unser werter Gast mit gerührter Stimme aus dem offenen Fenster herab für die freundliche Aufnahme, die er in Hamburg, der freisten Stadt und dem ersten Handelsplatze Deutschlands, gefunden […] und brachte zum Schluss seiner Rede ein Hoch! auf das freie und einige Deutschland aus. Während nun von den Mitgliedern der Liedertafel Hoffmann von Fallerslebens ›Rückkehr aus Frankreich‹ gesungen ward, begab sich eine Deputation zu dem Geehrten hinauf und überreichte ihm ein in die deutschen Farben gebundenes Prachtexemplar des bei dieser Gelegenheit gesungenen ›Liedes der Deutschen‹, welches von dem Herrn Doktor Wille übergeben ward.«
Welcker, ein führender Repräsentant des badischen Liberalismus, war Redakteur der Zeitung »Der Freisinnige« und Mitherausgeber des »Rotteck-Welckerschen Staatslexikons«, eines deutschlandweit beachteten Standardwerkes zum politischen Wissen seiner Zeit. Welckers politische Haltung, die ihm mehrfach Pressezensur und Berufsverbot einbrachte, entsprach der seines Kollegen Hoffmann von Fallersleben. Welcker war 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung, der auch überregional bekannte Gelehrte, Dichter und Publizisten wie Ernst Moritz Arndt, Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Friedrich Ludwig Jahn (1778–1852), Heinrich von Gagern (1799–1880), Jacob Grimm (1785–1863) oder Ludwig Uhland (1787–1862) angehörten. In der »48er Revolution«, deren Teilnehmer voller Begeisterung das »Deutschlandlied« aufnahmen und verbreiteten, sollten sich kurzzeitig die politischen Forderungen des Wartburgfestes und des Hambacher Festes erfüllen. Auch wurden Schwarz-Rot-Gold, die Farben der liberalen Bewegung, zum Symbol der Revolution und der Nationalversammlung. Die dazu passenden patriotischen Lieder wurden vor allem in den konstitutionellen Staaten Süd- und Mitteldeutschlands über die wachsenden Männergesangsvereine kultiviert. Mitte des 19. Jahrhunderts existierten rund 1.100 dieser Vereine mit ca. 100.000 Mitgliedern. Die Sängerbewegung bildete die an Mitgliederzahl größte und auch territorial am weitesten verbreitete Organisation mit eindeutig nationalpolitischem Anspruch.14 Zum festen Repertoire dieser Gesangsvereine gehörten die Lieder »Lützows wilde Jagd« von Theodor Körner (1791–1813), »Rheinlied« von Nikolaus Becker, Max Schneckenburgers »Die Wacht am Rhein«, Ernst Moritz Arndts »Was ist des Deutschen Vaterland« oder Max von Schenkendorfs »Freiheit, die ich meine« sowie »Das freie Wort« von Georg Herwegh (1817–1875) – und August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens »Lied der Deutschen«. Die rasche Popularität des »Deutschlandliedes« ist auch dem renommierten und geschäftstüchtigen Verleger zu verdanken, der bereits mehrere Werke von Hoffmann verlegt hatte. Julius Campe, der zu den »geistigen Zentren des deutschen Vormärz« zählte,15 hatte zuvor schon Heinrich Heine (1797–1856), Ludwig Börne (1786–1837) und Friedrich Hebbel (1813–1863) unter Vertrag. Zwar hieß es im Erstdruck »Text Eigentum des Verlegers«, doch wie damals vielfach üblich, wurde das »Lied der Deutschen« unautorisiert nachgedruckt. Hoffmann selbst nahm es 1842 in seinen Band »Deutsche Lieder aus der Schweiz« auf.
Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 standen die Fürsten- und Landeshymnen sowie Heimatlieder der einzelnen Bundesstaaten im Vordergrund, etwa »Schleswig-Holstein meerumschlungen«, »Ich bin ein Preuße«, »Gott mit dir, du Land der Bayern«, »Heil dir mein Badnerland« oder »Heil dir, du schönes Siegerland« und das »Westfalenlied«. Mit der Reichsgründung am 18. Januar 1871 hatten die Deutschen endlich einen Nationalstaat, mit Berlin eine Hauptstadt und mit Wilhelm I., dem Deutschen Kaiser, auch ein Staatsoberhaupt. Die Reichsflagge wehte in den Farben Schwarz-Weiß-Rot, doch eine gemeinsame Nationalhymne existierte nicht. Bei offiziellen Anlässen erklang die seit 1795 übliche preußische Volkshymne »Heil dir im Siegerkranz«.
9 Zit. nach Fritz Andrée: Hoffmann von Fallersleben, 1972, Höxter, S. 49.
10 Hans Benzmann (Hg.): August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ausgewählte Werke in vier Bänden, Leipzig 1905, Bd. 3 (»Mein Leben«), S. 196.
11 Zit. nach Hamburger Abendblatt, 23.09.1991.
12 Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben, Bd. 3, S. 197.
13 Zit. nach Zeitschrift für Musik, Monatsschrift für eine Geistige Erneuerung der deutschen Musik, hg. von Gustav Bosse, Heft 5/1936, Regensburg 1936, S. 523.
14 S. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 2, München 1987, S. 402
15 Ebd., S. 537.
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Exkurs: »Heil dir im Siegerkranz«
Vorbild der preußischen Hymne war das »Lied für den dänischen Untertan, an seines Königs