Thilo Koch
Auf dem Schachbrett der Sowjetunion, die DDR
Saga
Auf dem Schachbrett der Sowjetunion, die DDRCoverbild / Illustration: Shutterstock Copyright © 1970, 2019 Thilo Koch und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788711836200
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Ein persönliches Vorwort
Es hat mich nie befriedigt, die deutsche Frage immer nur von deutschen Stand punkten aus zu betrachten. Was der Krieg von Deutschland übrig ließ, ist unauflöslich gebunden an die bestimmende Welt-Konfrontation des Vierteljahrhunderts seither, an den Ost-West-Konflikt. Man versteht also nicht, was Teilung Deutschlands und Wiedervereinigungsverlangen, Entwicklung zweier deutscher Staaten in den letzten zwanzig Jahren, Berlin-Frage, Ulbricht-Regime, Alleinvertretungsanspruch usw. sind, wenn man nicht all das auch von Washington und Moskau, London, Paris, Prag, Warschau aus betrachtet.
Ich lebte von 1945 bis 1960 in Westberlin. Es waren entscheidende Jahre und sicherlich die prägenden Jahre in meiner journalistischen Tätigkeit. Schon lange reizte es mich, die Deutschlandpolitik Moskaus einmal näher zu betrachten. Meine Jahre in Washington und die Zeit jetzt wieder in Deutschland ergaben den inneren Abstand, den eine solche Betrachtung fordert.
Wie es dem Journalisten geht – es ist kein wissenschaftlichzeitgeschichtliches Werk daraus geworden. Vielmehr entstand von August bis Dezember 1969 zunächst eine Fernsehsendung (NDR) und dann dieses hier vorgelegte Buch. Es wendet sich an Leser aller Generationen im heutigen Deutschland – erreichen kann es nach Lage der Dinge nur wieder die 60 Millionen hüben, nicht die 17 Millionen drüben.
Was ich mir im Text dieses Versuchs soweit wie möglich versagte, das Persönlich-Gefühlsmäßige – hier darf ich ein Wort dazu sagen. Ich bin drüben geboren und aufgewachsen, freilich zu einer Zeit, als die Provinz Sachsen noch ebenso selbstverständlich zu einem Deutschen Reich gehörte wie meine derzeige Wahlheimat Baden-Württemberg. Ich ging sehr frühzeitig aus der »Zone« nach Westberlin, weil ich schon 1945 überzeugt war, daß jeder Sieger seine Beute halten und nutzen würde.
Ohne jeden inneren Vorbehalt, ja in Dankbarkeit, bin ich heute ein Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Aber vergessen kann ich Kindheit und Jugend an Saale und Elster ebensowenig wie meine 15 Jahre an der Spree. Überblicke ich meine journalistische und schriftstellerische Arbeit, so galt sie zum größten Teil dem Problem der deutschen Teilung. Dies erklärt, warum es mir schwer wurde, eine politische Bilanz zu schreiben, die keine Wiedervereinigungshoffnungen mehr zuläßt.
Diese Schrift erscheint in einem Augenblick, da eine neue Bundesregierung es mit einer Politik der »besonderen Beziehungen« zum zweiten Staat deutscher Nation versucht. Es sieht, fürchte ich, nicht so aus, als würden diese besonderen Beziehungen Platz haben auf dem Schachbrett der Sowjetunion. Aber vielleicht sollten wir sehr langfristig denken, was die Entwicklung in Europa angeht. Nur: werden kommende Generationen von Deutschen hüben und drüben überhaupt noch besondere Beziehungen zueinander wollen?
Ich möchte hier einigen Persönlichkeiten dafür danken, daß sie aus ihrer profunden Erfahrung heraus zu einzelnen Aspekten des Themas im Rahmen meines Textes Stellung nahmen. Es sind dies, in der Reihenfolge, in der sie zu Worte kommen:
Kamil Winter, bis 1968 Chef der Fernsehtagesschau in Prag, heute in London lebend;
Johann Adolf Graf Kielmansegg, bis 1968 NATO-Oberbefehlshaber Europa-Mitte;
Dr. Klaus Dieter Arndt, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium der Bundesrepublik;
Wolfgang Leonhard, Autor von Büchern wie »Die Revolution entläßt ihre Kinder«, »Sowjetideologie heute« u. a. m.; Dr. Hans Walter Berg, Asienkorrespondent der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands (ARD) und vieler Zeitungen.
Zu danken habe ich ferner Michael Wolf Thomas, der den dokumentarischen Anhang des Buches besorgte. Schließlich danke ich meinen Freunden und Kollegen Peter Otto, Hans-Ullrich Barth, Helmut Reinhardt für ihre Hilfe beim Manuskript der diesem Buche vorausgegangenen Fernsehsendung.
Hamburg, im Dezember 1969 Thilo Koch
Auf dem Schachbrett der Sowjetunion: die DDR
Der Blick auf eine Mauer führt nicht zur Ensicht in die Dinge, die dahinterliegen. Wer mit dem Kopf gegen Mauern anrennt, bringt sie nicht zum Einsturz. Die Mauer quer durch Berlin, die tiefgestaffelten Grenzbefestigungen quer durch Deutschland machen es uns Deutschen im Westen schwer, zu verstehen, warum diese Ärgernisse politische Realitäten sind. Es ist auch nicht leicht zu verstehen.
Deshalb geht man im allgemeinen zur westlichen oder östlichen Tagesordnung über – in der Bundesrepublik oder in der DDR – und läßt diese Realitäten auf sich beruhen. Ein zur Routine gewordenes Propagandageräusch auf beiden Seiten trug dazu bei, besonders die jungen Deutschen mißtrauisch zu stimmen gegenüber Erörterungen der deutschen Frage. Umfragen erweisen, daß immer mehr junge Westdeutsche dafür sind, einen Schlußstrich zu ziehen und die DDR ohne Einschränkung, also auch völkerrechtlich, anzuerkennen.
DDR und Bundesrepublik wurden in diesem Jahr 1969 zwanzig Jahre alt. Das ist im Leben der Völker keine sehr eindrucksvolle Zeitspanne. Aber in unserem motorisierten Jahrhundert scheint auch das Geschick der Nationen rascher voranzustürmen. Was ist nicht alles dahingegangen über Deutschland in den vergangenen 70 Jahren: ein Kaiserreich, eine Republik, eine »tausendjährige Diktatur«, vier Besetzungen und Militärregierungen – und nun haben wir da zwei neue deutsche Staaten auf einem Territorium, das nur noch ein Torso, ein. verstümmelter Rumpf des ehemaligen Deutschen Reiches ist.
Wie kam es zu der Situation, vor der wir heute stehen? Was bedeutet diese Situation eines geteilten Volkes im Herzen Europas? Wie steht es um die Sicherheit, um die Zukunft dieses Gebietes? Ich glaube, daß eine Antwort darauf nicht gegeben werden kann, ohne Einsicht in die Absichten jener Weltmacht, die nach 1945 zur stärksten Kraft auf dem europäischen Kontinent wurde, deren Politik entscheidend dazu beitrug, daß Deutschland schrumpfte und geteilt wurde. Ein unvoreingenommenes Verständnis der sowjetischen Deutschlandpolitik tut not.
Ich möchte in diesem Versuch einer politischen Bilanz einmal soweit wie möglich von der Mauer abrücken und untersuchen, was die DDR »auf dem Schachbrett der Sowjetunion« für eine Figur abgibt, welche Funktion diese Figur im großen weltpolitischen Spiel Moskaus heute macht. Der in Ostberlin mit Pomp begangene 20. Jahrestag der Gründung der DDR ist zudem keine schlechte Gelegenheit für diesen Versuch einer politisch-navigatorischen Standortbestimmung.
Der Führer der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Leonid Breschnjew, erklärte am 20. Jahrestag der Gründung der DDR in Ostberlin: »Wir sind mit Ihnen sozusagen doppelt verbündet, durch den Vertrag zwischen unseren Ländern und durch den Warschauer Vertrag. Wer sich anmaßen sollte, die Festigkeit unserer Freundschaft sowie die Unantastbarkeit der Grenzen unserer Staaten zu prüfen, der muß im voraus wissen: er wird sofort und vernichtend zurückgeschlagen unter Einsatz der gesamten Macht . . . ich wiederhole, der gesamten Macht der Streitkräfte der Sowjetunion und der ganzen sozialistischen Gemeinschaft.«
Walter Ulbricht ergänzte: »Wenn wir zurückblicken auf unserem Weg, von der Beseitigung der Trümmer bis zum sozialistischen Aufbau, so sind wir uns bewußt, daß unsere großen Erfolge nicht möglich gewesen wären ohne die Befreiertat