Petra begrüßte Micks Mutter. Dann führten sie und Mick die Stuten in den Stall, um abzusatteln. Pia folgte ihnen. Sie war so klein, daß sie sich auf die Zehenspitzen stellen mußte, um in die Boxen zu schauen.
„Ach, wie lieb!“ sagte sie andächtig, als sie sah, wie Polkas Fohlen zu trinken begann, während Petra die Trense gegen das Halfter austauschte.
Dann lief sie zur nächsten Box, um sich auch Donnas Fohlen anzusehen. Petra band es am Halfter der Stute fest.
„Bist du soweit?“ rief Mick ihr zu. „Dann können wir sie jetzt auf die Koppel bringen.“
Petra nickte. Sie führte Polka zur Stalltür und hörte, daß Mick ihr folgte.
Petra drehte sich um. Da saß Pia ohne Sattel auf dem Rücken der Fuchsstute und hielt sich an der Mähne fest. Mick ging nebenher, das Halfter in der Hand, und das Fohlen folgte mit übermütigen Sprüngen.
Als sie von der Koppel zurückkamen, trafen sie Gerda und Micks Mutter im Haus. Rolf war auf dem Hofplatz und longierte einen Zweijährigen.
„Wir wollten nur mal wieder nach dir sehen, mein Junge“, sagte Micks Mutter, als sie ins Wohnzimmer kamen.
„Oh, mir geht es gut“, versicherte Mick hastig. „Wie wär’s, Pia, möchtest du nicht auch reiten lernen?“
„Ja, schon“, sagte Pia scheu. „Aber nur, wenn du das Pferd führst!“
Gerda stand auf. „Entschuldigen Sie mich“, sagte sie. „Ich muß jetzt die Betten für die Reitschüler beziehen. Aber bleiben Sie doch bitte sitzen. Kannst du vielleicht Kaffee kochen, Petra? Ich habe das Wasser schon aufgesetzt.“
„Ach, das mach’ ich schon“, erwiderte Mick, ehe Petra antworten konnte. „Schließlich sind es meine Gäste“, fügte er mit einem flüchtigen Lächeln hinzu, ehe er in der Küche verschwand.
Petra sah ihm überrascht nach. Freilich waren es Micks Gäste; und sie wollten sich schließlich mit ihm unterhalten, nicht mit ihr.
„Arbeitest du hier künftig immer mit den Pferden, oder ist das nur ein Ferienjob?“ fragte Micks Mutter.
„Oh, nach den Ferien muß ich wieder nach Hause.“
„Dann gehst du noch zur Schule?“
„Ja, aufs Gymnasium.“
Pia, die still neben ihrer Mutter gesessen hatte, stand auf und ging zu ihrem Bruder in die Küche.
„Du findest es sicher schön, im Sommer auf dem Land zu sein“, meinte Micks Mutter.
„Ich lebe das ganze Jahr über auf dem Land“, erklärte Petra. „Aber hier ist’s wirklich herrlich. Ich möchte auf Strandängen auch ein Pferd kaufen, aber sie sind alle so schön, daß mir die Wahl schwerfällt.“
Aus der Küche erklang Pias helle Stimme. Sie war offenbar eifrig damit beschäftigt, ihrem Bruder etwas zu erzählen.
„Willst du später mal einen Beruf ergreifen, der mit Pferden zu tun hat, oder hast du andere Zukunftspläne?“ fragte Micks Mutter.
„Eigentlich habe ich noch nicht so viel darüber nachgedacht, was ich nach der Schule machen will“, gab Petra zu. „So eilig ist das ja auch nicht. Ich habe noch zwei Jahre Zeit, es mir zu überlegen.“
Sie war ein wenig verwundert über das Interesse der fremden Frau. Oder fragte sie nur aus Höflichkeit? Über irgend etwas mußten sie schließlich sprechen, nachdem Mick in der Küche verschwunden war. Plötzlich fiel Petra ein, daß nun wohl sie an der Reihe war, Fragen zu stellen und sich interessiert zu zeigen.
„Und Mick? Will er später mal einen Beruf ergreifen, der mit Pferden zu tun hat?“ fragte sie.
Für den Bruchteil einer Sekunde kam es ihr so vor, als hätte Micks Mutter diese Frage nicht gern gehört.
„Oh, er hat sich auch noch nicht entschieden“, erwiderte sie in leichtem Ton. „Jedenfalls nicht, soweit ich es weiß. Oder hat er vielleicht mit dir darüber gesprochen?“
Petra schüttelte den Kopf. „Nein, das hat er nicht.“
Nun kannte sie Mick noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden lang, und da fragte sie seine eigene Mutter nach seinen Zukunftsplänen! Petra fand das reichlich seltsam; doch ehe sie länger darüber nachdenken konnte, kam Mick mit einem Tablett voller Geschirr wieder ins Wohnzimmer.
Nimm Saphir!
Am nächsten Tag half Petra mit, eine eifrige Scarlet und einen etwas mißtrauischen Saphir in den Transportwagen zu verfrachten. Beide Pferde waren auf Hochglanz geputzt und gestriegelt, und Mick und Petra hatten weiße Bänder in ihre Mähnen geflochten. Petras Meinung nach konnte es keine schöneren und besseren Pferde als die beiden geben. Voller Erwartung stieg sie zu Rolf ins Führerhaus, und dann waren sie fertig zur Abfahrt.
Sie kamen erst am Spätnachmittag wieder nach Strandängen zurück – nach einem langen, heißen und staubigen Tag. Petra war verwirrt und auch ziemlich kleinlaut. Noch nie im Leben hatte sie so viele schöne Pferde und gute Reiter gesehen! Saphir hatte drei Fehler im C-Springen gemacht, der leichtesten Klasse, so daß an einen Preis gar nicht zu denken gewesen war. Scarlet dagegen war Fünfte im leichten A-Springen geworden. Strandängens Pferde hatten sich also nicht gerade mit Ruhm bedeckt, aber Rolf schien mit dem Ergebnis trotzdem zufrieden zu sein.
Vor dem Springturnier hatte Petra noch beim Dressurreiten zugesehen und war sehr beeindruckt gewesen. Plötzlich war ihr klargeworden, wie wenig sie selbst eigentlich konnte. Eingebildet war sie ja nie gewesen, aber zu Hause im Reitclub hatte sie zu den besten Reitern gehört. Deshalb hatte sie geglaubt, recht gut reiten zu können. Jetzt sah sie ein, wie viel sie noch zu lernen hatte. Würde sie sich jemals mit solchen Reitern messen können, wie sie am Turnier teilgenommen hatten? Die einzige von ihren Clubkameraden zu Hause, die in diesem Turnier eine Chance gehabt hätte, war Karin, die Reitlehrerin.
Petra beschloß, diesen Sommer auf Strandängen zu nutzen, um so viel wie möglich zu lernen.
Nach dem Abendessen ritt Petra auf Firlefanz, und Rolf longierte. Nun machte sie schon vorsichtig von den Schenkeln und Händen Gebrauch, während Rolf Kommandos gab, um dem Jungpferd den Zusammenhang begreiflich zu machen. Firlefanz’ rote Mähne flatterte, und seine empfindsamen Ohren waren gespitzt. Er trabte taktsicher und lebhaft, und Petra merkte, daß ihr das Jungpferd immer besser gefiel. Natürlich hatte sie ein Zuckerstück für ihn dabei, und das bekam er, sobald sie abgesessen war. Dann führte sie ihn in den Stall, um abzusatteln.
Währenddessen sattelte Rolf ein anderes Pferd. Petra kam gerade rechtzeitig aus dem Stall zurück, um zu sehen, wie er sich in den Sattel schwang. Es war ein hochbeiniger, hellbrauner Vierjähriger mit gestutzter Mähne. Kaum war Rolf aufgesessen, da trabte das Pferd auch schon los. Rolf sah auf dem großen, geschmeidigen Tier sehr klein aus, saß jedoch wie festgewachsen auf seinem Rücken.
Und das war auch gut so, dachte Petra; denn sobald das Pferd nicht begriff, was sein Reiter wollte, oder wenn Rolf etwas zu berichtigen versuchte, was es falsch gemacht hatte, schlug es aus oder versuchte, davonzugaloppieren. Es war, als hätte das Tier Quecksilber im Leib. Doch hinter den Sprüngen schien keine böse Absicht zu sein, und es sah nicht so aus, als wollte es seinen Reiter abwerfen.
Die Sonne war hinter den Bäumen versunken, und in der Abenddämmerung begann es kühl zu werden, doch Petra stand noch immer am Zaun und sah Rolf zu. Dieses Pferd war wirklich wunderbar! Zwar konnte es noch nicht sehr viel, doch es bewegte sich mit der Spannkraft eines zukünftigen Dressurpferdes. Der hohe Körperbau mit dem tief angesetzten Brustkorb, dem langen Hals und den schlanken Beinen verriet, daß dieses Pferd fähig war, sich eines Tages auf jedem Turnierplatz zu behaupten, wenn es einen Reiter bekam, der seine Begabung förderte.
Petra selbst hatte wohl kaum die Fähigkeit, aus diesem großen, lebhaften Wallach ein gutes Pferd zu machen. Es wäre schade