Mitten in der Ebene stand ein mächtiger Steinblock. Unwahrscheinlich grosse, bemooste und verwitterte Quadern bildeten die finstere Römerwarte, das Mal versunkener Zeiten. Es gab eine Stelle, wo man von aussen, vorstehende Steine als Stufen benutzend, das schrägliegende, auf der einen Seite tief in die Erde gesunkene Gemäuer erklimmen konnte. Da band der Reiter sein Pferd an und stieg hinauf. Die bröckelige, mit winzigen blauen Blümchen und Halmen bewachsene Fläche oben war noch sengend warm von dem langen Sommertag, der auf ihr gebrannt hatte. Aber zugleich bot sie auch einen Ausblick wie von einem Adlernest in die Weite. Nur im Norden hemmten die hohen, jetzt mit tiefviolett getönten Zacken im Dämmern verschwimmenden Gebirge die Fernsicht. Überall sonst aber verlor sich das Auge in unbestimmten, unendlichen Übergängen.
Wie die Vorposten der eigentlichen Sahara schoben sich ihre ersten kleinen Sandinseln bis weit in die Steppe vor. Wehe dem Fahrzeug, das sie mit langsam mahlenden Rädern durchmessen musste. Es kam kaum von der Stelle. Und eben jetzt war der weisse Punkt in der Ferne, den der Mann auf dem Römerturm nicht aus den Augen liess, in den ersten sandigen Dünenstrich geraten. Es schien, als stünde die Arabâ still. Man musste schon die Augen des Wüstenwanderers haben, um zu erkennen, dass das Fahrzeug sich Zoll für Zoll weiterbewegte. Wer jetzt da nachritt, brauchte sein Pferd nicht zu spornen und war doch, wenn es Nacht und dunkel war, dem Karren nahe, ungesehen und doch bereit, wenn Not am Mann, mit ein paar Sprüngen heranzugaloppieren.
Die Sonne war am Wüstenrand verschwunden. Nur ein letztes blutiges Leuchten zeigte noch ihren Zorn. Es ging wie ein Aufatmen über das ganze lechzende Land. Ein leiser Wind flüsterte und zischelte durch das Alfagestrüpp, kleine Staubwolken stiegen auf und drehten sich lautlos wie schattenhafte Gnomen tanzend durch das Dämmerlicht. Seltsame Vogelstimmen, Rascheln am Boden, verflogene Rufe der Steppe wurden wach, dickköpfige schwarze Fledermäuse krochen aus den Fugen des Römerturms und gaukelten und geisterten in Nacht und Tau und Sterngeglitzer. Da verliess auch der Jäger seine Warte. Er schwang sich behutsam, keinen Stein lockernd, um nicht unversehens auf einen Skorpion zu treten, an dem Mauergeklüft hinab zu seinem Pferd. Und als er wieder auf dem Schimmel sass, da klopfte er dem mit langen Zügeln auf den Hals und schnalzte einmal mit der Zunge. Das Zeichen kannte die Stute. Sie wieherte kurz und setzte sich in Galopp. Ross und Reiter flogen in langen Sätzen über die finster gewordene Steppe dahin, dem weissen Wagen in der Ferne nach ...
Zweites Kapitel
Die ganze Nacht durch holperte und rumpelte die Arabâ durch die Wüste weiter, und hinter ihr hörte man durch die totenstille, jetzt ganz kühle Luft einen regelmässigen Laut — das Trappeln eines im Schritt gehenden Pferdes. Die Huffchläge klangen in gleicher Entfernung. Sie blieben nie zurück, ob auch Stunde um Stunde der eintönigen Fahrt verrann; sie kamen aber auch nie näher.
Der alte arabische Karrenführer schaute sich zuweilen um. Yvonne Roland war nach kurzer Fahrt ermattet eingeschlafen und wurde zuweilen durch einen unsanften Puff des Wagens halb zum Bewusstsein gebracht. Sie schlummerte dann aber noch fester ein. Sie hörte das Trapp-Trapp des Reiters und träumte allerhand Räubergeschichten, die immer wilder und bunter wurden, je mehr die ursprüngliche Müdigkeit schwand und einer Art fieberigen, unruhigen Dämmerns zwischen Wachen und Schlafen Platz machte. Schliesslich war ihr ganz deutlich, als ob eine vielköpfige Horde von Arabern mit rauhen Stimmen sich näherte. Mit einem hellen Schrei setzte sie sich auf. Der Morgen graute schon stark, einen klaren Tag verheissend; über den ewigen Steinen und spärlich gewordenen Alfabüscheln und breiten Sandflächen brauten die letzten Nachtnebel. Neben der Arabâ hielt hoch zu Esel das erste lebende Wesen, das sie seit dem Verlassen der Karawanserei zu Gesicht bekommen hatte — der arabische Postreiter aus der Oase El-Ariana, langbärtig, die Kapuze seines braunen Burnus gnomenhaft über den Kopf gezogen, die Ledermappe mit den Briefschaften umgehängt. Er hatte mit dem Fuhrmann bei der Begegnung ein paar Worte gewechselt, die hatten Yvonne aufgeweckt. Er ritt nun, sich nach morgenländischem Brauch auf dem letzten Rückenwirbel seines Grautieres im Gleichgewicht haltend, in entgegengesetzter Richtung davon.
Und da vorne standen im fliessenden, feuchtkühlen Silbergrau des Morgens Pappeln, ganz gewöhnliche Pappeln wie daheim. Und zwischen ihnen ein einzelner riesiger Feigenbaum, von dessen Ästchen Hunderte und aber Hunderte von bunten Fetzen und Lappen aller Art wehten, und der in seinem Fastnachtsputz ein Marabu, ein heiliges Ding war. Gleich hinter ihm war schon das erste Ölwäldchen, seltsam knorrige, zart taubenfarben beblätterte Stämme, von stacheligen, mannshohen Kaktusstauden umschlossen. Und über dem hier beginnenden Gras blähte es sich im Wüstenwind auf geschuppten, kurzen, braunhaarigen Säulen von breitem, gelblichem Gefächer und Gefieder. Hier war die Grenze des Reiches der Palmen. Der Fuhrmann wies darauf hin, auf schwärzliche, niedere, weit entfernte Massen, wie von Unkraut oder Farnwedeln. Allmählich begriff Yvonne, dass das alles wohl Dattelbäume sein müssten, Tausende und Zehntausende. Und wenn man weiter in die Ebene hinaussah, dann zogen sich dort dieselben blauschwarzen Mauern und Flächen hin und säumten den Horizont mit neuen dunkeln Kronen und zeigten dem, der durch die Wildnis kam, dass er El-Dscherid erreicht hatte, das gelobte Land, den Garten Tunesiens.
Weidevieh quoll dem Fahrzeug aus den Toren von El-Ariana entgegen. Erst als man in die Strassen des Araberfleckens einbog, verloren sich die Herden. Hier war es mit einem Male ganz still. Tot, wie ausgestorben standen zu beiden Seiten der schmalen Hauptstrasse die fensterlosen Hausfronten, ihre weisse Tünche nur an einer Stelle von der festverschlossenen Tür durchbrochen. Manche der aus ungebranntem Lehm zusammengebackenen Gebäude lagen, wie in all diesen Saharastädten, halb oder ganz in Trümmern und bildeten verödete Schutthaufen. Bei vielen anderen der düsteren, geheimnisvollen, überall am Eingang mit korinthischen Säulen und Riesenquadern der Römerzeit gestützten Eulennester wusste man nicht: waren sie nie fertig geworden oder schon wieder zerfallen, waren sie noch bewohnt oder bereits wieder gleich einem morsch und löcherig gewordenen Zelt in der Wüste unbenutzt ihrem Schicksal überlassen?
Jetzt hielt die Arabâ vor einem niedrigen Haus, das zwar durch Glasfenster und einen Holzvorbau einen halb europäischen Eindruck machte, sonst aber durch seinen Schmutz und seine Baufälligkeit wenig einlud. Es schien eine Kneipe zu sein. „Au Simbad le Marin“ stand auf dem Schild — „Zum Seefahrer Sindbad“. Und an solch einen Abenteurer, Flibustier und Piraten erinnerte der weissbärtige, kleine, aber in den Schultern breite und stämmige Kerl, der auf die Schwelle trat. Seine schlauen, wässerigen Augen funkelten. Er gestikulierte lebhaft und drang hastig auf Yvonne ein. Yvonne war erschreckt. Und da sie nicht antwortete, beteiligten sich auch die Gäste des Hauses, ein paar in zerfetzte und kalkbespritzte Röcke und Hosen gekleidete Maurergesellen, an dem Lärm. Ein grinsender Neger schrie dazwischen und machte Miene, den Koffer vom Wagen zu ziehen. Einige Araber traten dazu, um zu sehen, was es gäbe. Sie luden die Fremde durch aufmunternde Gebärden ein, sich den „Seefahrer Sindbad“ doch im Inneren anzusehen. Schliesslich stand wohl ein Dutzend Männer um den Wagen. Drinnen kauerte Yvonne Roland mit zornfunkelnden Augen und hochgezogenen Knien, den Tropenhelm schief auf dem Kopf, die eine Hand in der Tasche, um im Notfall nach dem Revolver langen zu können, die andere Hand schützend über ihre Siebensachen gebreitet. Sie war erbost, aber keineswegs verschüchtert, sondern hauptsächlich voll Wut auf diesen alten Kutscher da vorne, der ganz ohne Grund mit seinem Karren hielt, als sollte sie in aller Ewigkeit vor dieser Kneipe bleiben.
Plötzlich fiel ihr mit Schrecken ein: sie hatte ja ganz vergessen, gestern abend dem Mann durch Vermittelung der Missionarinnen sagen zu lassen, wohin er eigentlich in El-Ariana fahren sollte. Nun lud er sie natürlich vor der Herberge ab, wahrscheinlich der einzigen am Ort.
Aus dieser waren inzwischen noch ein paar schlampige, gelbliche Weiber in bunten Kopftüchern erschienen und nahmen in einem unbewachten Augenblick den Sonnenschirm der Fremden in Verwahrung. Zwei, drei Eingeborene in ihrer sonderbaren Tracht, einem turmartigen, spitzen Schleiergebäude auf dem Kopf, einem ganz kurzen weissen Jäckchen und weiten weissen Hosen, waren aus einer Seitengasse so hastig herbeigewatschelt, dass sie fast die gestickten Pantoffeln von den blossen Füssen verloren. Yvonne Roland blickte entschlossen, ihre erhöhte Verteidigungsstellung zwischen den Rädern nicht zu verlassen, aber doch sonst ratlos darein. Nirgends war ein hilfreicher, nirgends ein vernünftiger Mensch zu sehen. Und als sie nun in heller Wut auf ihren Revolver zeigte, musste sie ihn gleich