»Vielen Dank«, brachte Mila unter Freudentränen heraus und umarmte ihre Freundin und auch Agatha, die glücklich schmunzelte. Lars gab ihr die Hand und zwinkerte ihr zu. Dann sah sie zu Jerrik, der ein charmantes Grinsen auf den Lippen hatte. Er nahm ihre Hand und durchbohrte sie mit seinen betörenden Augen, sodass Mila der Atem stockte. Sie schnappte laut nach Luft und tat dann so, als hätte sie ein Kratzen im Hals. Hustend drehte sie sich zur Seite und versuchte, ihr glühendes Gesicht vor allen zu verbergen. Mann, wie peinlich war das denn? Wenn jetzt keiner mitbekommen hatte, dass sie in Jerrik verknallt war, dann waren sie alle blind.
***
Es war bereits nach Mitternacht. Caro schlief tief und fest, doch Mila war noch wach. Die Sterne am schwarzen Nachthimmel zählend schaute sie aus dem großen Fenster. Sie musste schon wieder auf die Toilette, obwohl sie gar keine Lust hatte, aufzustehen. Ihr Fuß schmerzte höllisch und sie war es nicht gewohnt, mit Krücken zu gehen. Innerlich rollte sie genervt die Augen und zog ihren Morgenmantel über. Morgen würde sie zum Abendbrot sicherlich keinen Tee mehr trinken. Leise versuchte sie den Flur entlangzuhumpeln, doch ihre nackten Füße machten ein patschendes Geräusch auf dem glatten Marmorboden. Jemand duschte im großen Badezimmer, also musste Mila wie in ihrem Traum zum Gäste-WC ins Erdgeschoss. Mit Müh und Not hatte sie es gerade geschafft, drei Stufen hinunterzusteigen, als Jerrik ihr die Gehhilfen wegnahm, auf die oberste Treppenstufe legte und sie hinuntertrug. Total perplex schaute sie ihn an und hielt sich an seinen breiten Schultern fest.
»Ist das wieder ein Traum?«, fragte sie aus Versehen laut.
»Diesmal nicht«, antwortete Jerrik, als wüsste er, wovon sie sprach.
Kapitel 4
Mila betätigte die Toilettenspülung, wusch rasch ihre Hände und verließ den schmalen Toilettenraum, der nach Meer und Strand roch und auch genauso eingerichtet war. Der kleine Keramikleuchtturm auf dem Spiegelschrank zog jedes Mal ihre Aufmerksamkeit auf sich, denn er erinnerte sie an ihre Heimat.
Mit leidverzerrtem Gesicht stolperte sie aus der Tür. Der Schmerz zog von ihrem dicken, heißen Knöchel bis in den Oberschenkel. »Autsch!«, quälte sie aus sich heraus und hielt sich am Türknauf fest.
Es war dunkel im Haus. Im obersten Stock leuchtete lediglich ein schwaches Nachtlämpchen, das in einer Steckdose im Flur steckte. Im Erdgeschoss schien warmes Licht aus Jerriks Arbeitszimmer. Sie schaute hoch zur Treppe. Ihre Krücken lagen immer noch auf der obersten Stufe. Ja, super. Wie sollte sie es nur dort hochschaffen? Warum hatte Jerrik sie hier alleingelassen? In Gedanken meckerte sie und schüttelte enttäuscht den Kopf, bevor sie langsam zur Treppe humpelte. Ihr verstauchter Fuß hatte die erste Stufe noch nicht berührt, da hob Jerrik sie hoch.
»Hey, das schaffst du nicht allein.«
Milas Herz schlug schneller und Schmetterlinge machten sich in ihrem Bauch breit. Die Aufregung schnürte ihre Lungen zusammen und ließ sie keinen klaren Gedanken fassen. Sie presste ihre linke Faust auf ihre Brust und krallte sich mit der anderen an Jerriks T-Shirt fest. Behutsam trug er sie in sein Büro und setzte sie auf die Couch, die sie bereits aus ihrem letzten Traum kannte. Völlig zerstreut schaute sie ihn an und vergaß dabei, ihren Griff zu lockern.
»Oh, tut mir leid«, sagte sie erschrocken und ließ das nun zerknüllte Shirt los. Der groß gewachsene Schauspieler verließ den Raum. Was war nun? Warum hatte er sie hierhergebracht? Sie wusste nicht, was sie tun sollte, ob sie aufstehen oder einfach nur dasitzen und warten sollte. Der kleine Wecker auf Jerriks Schreibtisch tickte leise. Das weiße Licht der Straßenlaternen strahlte in den kleinen Raum, der sonst nur durch eine Leselampe, die neben dem Sofa auf einem runden Klapptisch stand, beleuchtet wurde.
Jerrik kehrte mit der Salbe, die Mila vom Arzt bekommen hatte, und neuem Verbandszeug zurück.
»Hast du das schon gewechselt?«, fragte er und deutete mit dem Zeigefinger auf ihren Fuß.
»N-nein.« Mila schüttelte hastig den Kopf.
Schweigend kniete er vor ihr, hob ihr Bein an, legte es auf seinen Oberschenkel und löste den alten Verband.
»Du … du musst das nicht machen. Ich kann das allein«, stotterte sie.
»Ist schon gut«, unterbrach er sie und schmierte die kalte Salbe, die Mila einen Schauer versetzte, auf die geschwollene Stelle. Liebevoll massierte er die transparente Creme ein und Milas innere Unruhe stieg. Sie beobachtete ihn. Seine Handbewegungen waren sehr behutsam, die grauen Strähnen fielen ihm sanft über die Stirn. Wie gern sie seine Haare berühren würde! Kaum hatte sie diesen Gedanken beendet, wanderte ihre rechte Hand wie von selbst an seinen Kopf. Ihre schlanken Finger strichen ihm durchs Haar. Gleichzeitig schaute sie in seine tiefen, müden Augen. Als sie realisierte, was sie da tat, zuckte sie erschrocken zusammen.
»Ich … ähm«, stotterte sie und versuchte in Gedanken eine Ausrede zu finden, doch ihr Kopf war leer. Sie machte eine kurze Pause, ehe sie fortfuhr: »Entschuldigung. Dafür gibt es keine Erklärung.«
Ihr Gesicht war knallrot und ihr Herz schlug so stark, als wollte es aus ihrer Brust ausbrechen. Jerrik befestigte das Ende des Verbandes mit einem Klebeband und hielt ihren Fuß fest. Sein Blick durchbohrte Mila regelrecht. Draußen rasten Autos mit jaulenden Motoren vorbei, dann war es wieder still. Lediglich das Ticken des Sekundenzeigers war zu hören.
Er kniete immer noch vor ihr, stützte nun seine Unterarme auf der Couch neben ihren Oberschenkeln ab und legte seinen Kopf auf ihren Bauch. Zärtlich streichelte sie sein Haupt. Es kam ihr wieder wie ein Déjà-vu vor. Dieser Moment war so vertraut. »Träume ich wirklich nicht?«, flüsterte sie sehnsüchtig.
»Nein, diesmal nicht«, antwortete er leise. Da war es wieder, dieses »diesmal nicht«. Hatte er etwa auch von ihr geträumt? Das konnte nicht sein. Beide verharrten eine Weile so, bis Jerrik sie ansah, als suchte er in ihrem Gesicht nach Antworten. Mila hatte jedoch keine.
»Ich habe letzte Nacht von dir geträumt«, sagten beide zugleich. Sie schauten sich erschrocken an, während der Wecker leise vor sich hintickte.
»Ich habe mal gehört, dass zwei Menschen, deren Seelen schon in früheren Leben miteinander verbunden waren, dasselbe träumen können. Diese Seelen sind dann durch ein immerwährendes Seelenband über den Tod hinaus miteinander verknüpft«, erklärte Mila im Flüsterton. Sie kam sich ziemlich dämlich dabei vor, ihm so etwas zu sagen. Bestimmt hielt er sie jetzt für eine verrückte Geisterjägerin oder Wahrsagerin.
»Ich habe im Traum gesagt, dass ich dich liebe«, wisperte er.
»Ja«, säuselte sie sehnsuchtsvoll. Milas Herz hämmerte so wild, dass ihre Ohren davon beinahe taub wurden. Sie schluckte schwer, um ihre Nervosität unter Kontrolle zu bekommen. Sein Blick verlor sich in ihren dunkelbraunen Augen. Sie hatte noch nie einen so leidenschaftlichen, aber verwirrten Gesichtsausdruck gesehen. Sie versuchte, seine Gedanken zu erahnen, doch er war so geheimnisvoll und unnahbar.
Mila krallte sich mit ihren zarten Fingern am Ärmelsaum seines T-Shirts fest. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Dieser Moment sollte ewig währen, auch wenn sich ihr Magen verkrampfte und ihr stechende Bauchschmerzen bereitete.
Statuenhaft verweilten sie auf der Couch. Die Minuten verstrichen und sie starrten sich regungslos an, als hätten sie jegliches Zeitgefühl verloren. Beide schienen in Gedanken Sätze zu formulieren, doch die Worte wurden nicht ausgesprochen. Mila kaute nervös auf ihrer Unterlippe herum und sah Jerrik traurig an.
»Du machst mich total verrückt. Stellst hier alles auf den Kopf. Du weißt gar nicht, wie mein Herz brennt!«, sagte er vorwurfsvoll und schüttelte dabei den Kopf. Was sollte das bedeuten? Hatte er tatsächlich ebenfalls Gefühle für sie?
Jerrik atmete tief ein und fuhr mit bedrückter Stimme fort: »Ich kann das nicht …«
Mila spürte einen dicken Kloß im Hals. Ihr ganzer Körper zitterte und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie mit aller Kraft zurückzuhalten