»Alles gut«, hustete ihre Freundin mit Tränen in den Augen, weil sie zur gleichen Zeit husten und lachen musste.
Nachdem sie das Geschirr weggeräumt hatten, ging erst Caro duschen, dann tat Mila es ihr gleich. Das Badezimmer war geräumig mit weißen Fliesen an den Wänden und auf dem Boden. Die Eckbadewanne bot Platz für mindestens drei Personen und hatte anscheinend auch eine Whirlpool-Funktion. Die Dusche war bodengleich und durch große Glaswände abgetrennt. Mila wollte die Dusche am liebsten nie wieder verlassen, denn der riesige Duschkopf ließ das Wasser in winzigen Strahlen auf die Haut prasseln, was sich wie eine Massage anfühlte. Innerlich seufzend drehte sie das warme Wasser ab und trat einen Schritt auf die Glastür zu, auf deren Oberkante sie ihr Badetuch abgelegt hatte. Dabei rutschte sie mit dem rechten Fuß auf den glatten Fliesen aus und fiel mit einem Poltern zu Boden. Leise stöhnend vor Schmerz versuchte sie aufzustehen, konnte jedoch nicht auf dem Fuß auftreten.
Caro klopfte an die Badtür: »Alles okay?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Mila, immer noch auf dem Boden sitzend.
»Kann ich reinkommen?«
»Ja, ist nicht abgeschlossen«, ächzte sie.
Caro kam ins Bad gestürmt und sah Mila mit dem Handtuch zugedeckt auf dem Boden in der Dusche liegen. »Papa!«, rief sie. Jerrik kam ins Bad gelaufen.
»Was ist passiert?«, fragte er, als er Mila erblickte. »Bist du ausgerutscht?«
Als sie nickte, öffnete er die Glastür und sah sich Milas bereits blau angelaufenen und geschwollenen Fuß an.
»Ich glaube, er ist verstaucht«, stellte er fest, als er den Knöchel abtastete und die junge Frau schmerzhaft das Gesicht verzog. Er hob sie hoch und trug sie ins Zimmer seiner Tochter. Mila wünschte, dieser Moment würde niemals zu Ende gehen. Jerrik war so stark und roch unfassbar gut nach einem himmlischen Aftershave oder Eau de Toilette. Sie schaute ihn an und musterte seine Bartstoppeln und kleinen Lachfältchen. Bevor er sie auf der Luftmatratze absetzte, blickte er ihr in die Augen und öffnete leicht seine Lippen. Mila wünschte sich so sehr, er würde sie küssen, doch sie wusste genau, dass er das niemals tun würde. Warum war das Band zwischen ihnen so stark? Oder glaubte Mila nur, diese Verbindung zu spüren, und interpretierte viel zu viel in seine Blicke und Gesten hinein? Jerrik schluckte schwer und wandte seinen Blick ab.
»Mila, zieh dich bitte an. Ich fahre dich ins Krankenhaus«, sagte er in einem barschen Ton und verließ das Zimmer.
»Soll ich dir helfen?«, fragte Caro.
»Ja, das wäre lieb. Tut mir leid, dass ich so viel Arbeit mache. Ich bin so ungeschickt. Ich glaube, da war Shampoo auf dem Boden und deshalb bin ich ausgerutscht.« Mila machte sich Vorwürfe.
»Das macht doch nichts. Hauptsache, du hast dir nichts gebrochen.« Caro lächelte sie an und half ihr beim Anziehen.
Wenige Minuten später kam Jerrik wieder in Carolins Zimmer und fragte, ob Mila fertig sei, was diese bejahte. Allerdings bestand Jerrik darauf, dass seine Tochter daheimblieb und das Chaos in ihrem Zimmer aufräumte. Seine Stimme klang etwas gereizt. Milas Bauchgefühl war nun noch schlechter als zuvor, denn offensichtlich hatte sie ihn verärgert.
Jerrik trug Mila zum Auto – einen schwarzen Porsche Cayenne, der mit beigefarbenen Ledersitzen ausgestattet war. Innen roch es nach Zigarettenqualm und frischem Leder. Kaum hatte Jerrik den Motor gestartet, stellte er die Sitzheizung ein, denn Mila zitterte am ganzen Leib. Sie konnte sich selbst nicht erklären, ob es die Kälte oder die Aufregung war. Mit Schwung verließ Jerrik die Auffahrt und fuhr Richtung Innenstadt. Nervös knetete Mila den Saum ihres Jackenärmels und schaute ihn kurz an. In Gedanken formulierte sie, was sie sagen wollte, doch sie brachte keinen Ton heraus. Sie war unfähig, mit ihm zu kommunizieren, denn offensichtlich hatte die Aufregung ihren ganzen Körper gelähmt. Plötzlich hörte sie sich sagen: »Tut mir leid.«
Hatte sie sich grad tatsächlich entschuldigt? Erschrocken schaute sie zu Jerrik, dessen Miene sich etwas lockerte.
»Jerrik, es tut mir leid, dass ich dir solche Umstände mache. Ich bin so ungeschickt«, stammelte sie.
Jerrik schaute sie erstaunt an. Entschuldigte sie sich etwa gerade bei ihm? Sie hatte doch gar nichts falsch gemacht. War er etwa so unhöflich gewesen? Dabei versuchte er doch nur, seine Aufregung zu überspielen. Dieses Mädchen machte ihn total verrückt. Vor allem konnte er sich überhaupt nicht mehr konzentrieren, seit er in der letzten Nacht von ihr geträumt hatte, was ihm gleichzeitig verriet, woher er sie kannte – nämlich aus seinen Träumen. Er wollte sie keinesfalls kränken. Was sollte er antworten?
»Tut mir leid, wenn ich ruppig war. Ich bin nur etwas gestresst wegen der Arbeit. Es ist nicht deine Schuld«, erklärte er in einem liebevollen Ton und parkte den Wagen vor einem hellgrauen Gebäude, welches wohl das Krankenhaus war.
Jerrik hob Mila aus dem Auto und trug sie zum Haupteingang. Ein Sanitäter, der gerade das Gebäude verließ, hielt ihnen die Tür auf. Es war ihr sichtlich peinlich, aber ein bisschen fühlte sie sich auch wie eine Prinzessin in den Armen ihres starken Ritters. Caro durfte niemals erfahren, dass Mila in ihren Vater verknallt war. Niemals!
Milas Fußknöchel war tatsächlich verstaucht. Der Arzt verschrieb ihr eine Salbe und verband ihren Fuß. Mit den Krücken, die sie ebenfalls erhalten hatte, humpelte sie zum Auto zurück.
Auf der Rückfahrt waren beide still. Jerrik rauchte eine Zigarette und Mila sah ihn ab und zu aus dem Augenwinkel an. Er sah so toll dabei aus, wie er mit beiden Händen das Lenkrad festhielt, die Kippe zwischen seine Schneidezähne geklemmt hatte und mit scharfsinnigem Blick den Verkehr beobachtete. Milas Herz pochte schnell und laut vor Aufregung. Unruhig starrte sie auf seine Handrücken, auf denen sich deutlich die Adern abzeichneten. Die Haut an seinen Fingerspitzen und am Handrücken war rau und trocken. Am liebsten hätte sie ihm die Hände eingecremt. Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, waren sie wieder zurück im Haus der Anderssons.
Mila quälte sich mit Caros Hilfe aus dem Auto und humpelte zur Haustür.
Statt eines Stadtbummels blieben die Mädchen daheim und schauten den ganzen Tag Filme. Am Nachmittag aßen sie Käsekuchen und Donuts. Mila entschuldigte sich beinah alle zehn Minuten für die Umstände, doch Caro war sehr verständnisvoll und herzlich. Wie eine Königin bediente und verwöhnte sie ihre Freundin. Zum Abendessen gab es die Reste vom Vortag und Vanillepudding zum Nachtisch. Mila liebte Vanillepudding und obwohl sie eigentlich schon satt war, aß sie noch ein zweites Schälchen. Ihre Freundin räumte zusammen mit ihrem Bruder und ihrer Mutter den Tisch ab. Jerrik genoss seinen Whisky und sah sie ab und zu kurz an. Manchmal, wenn er seinen Mund etwas öffnete und leicht Luft holte, sah es so aus, als würde er etwas sagen wollen, aber dann atmete er abrupt aus, trank einen Schluck und musterte das edle, braune Getränk in seiner Hand.
»Papa, wo ist … du weißt schon«, flüsterte Caro und deutete auf Mila.
»Was?«, fragte er geistesabwesend.
»Das Geschenk«, zischte sie.
»Ach so! Im Wohnzimmer … auf dem Couchtisch«, erwiderte er.
Caro kam aus dem Wohnzimmer mit einem kleinen Geschenk zurück. Es war in goldenes Papier gehüllt und mit einem hellen Organzaband umwickelt.
»Für mich?«, fragte Mila verdattert, als ihre Freundin das kleine Päckchen vor ihr abstellte und lächelnd nickte.
Vorsichtig zog sie an dem Organzaband, sodass sich die Schleife öffnete, und löste behutsam den Klebestreifen von dem funkelnden Papier. Eine kleine schwarze Schachtel kam zum Vorschein. Mila schaute erst ihre Freundin, dann Jerrik – welcher ihr lächelnd zunickte – an. Sie hob den Deckel der Schachtel, ihre Hände zitterten vor Aufregung. Zum Vorschein kam ein sehr dezentes, rot-goldenes Armband von Cartier. In der Mitte war ein rosafarbener Saphir eingesetzt. Mila traute ihren Augen nicht. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Wertvolles und Schönes gesehen.
»Gefällt es dir?«, fragte Caro ihre