Ulysses. James Joyce. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: James Joyce
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726642858
Скачать книгу
trocknete die Seite mit einem dünnen Löschblatt und ging dann mit seinem Heft an seinen Platz.

      «Du solltest auch lieber deinen Hockeystick nehmen und zu den anderen gehen», sagte Stephan, während er bis an die Tür hinter der anmutlosen Gestalt des Knaben herging.

      «Ja, Herr.»

      Im Korridor hörte man, wie vom Spielplatz her sein Name gerufen wurde.

      « Sargent!»

      «Lauf los!» sagte Stephan, «Herr Deasy ruft dich.»

      Er stand im Torbogen und beobachtete, wie er in träger Eile nach dem zerwühlten Spielplatz lief, wo laute Stimmen stritten. Sie waren in Gruppen eingeteilt, und Herr Deasy schritt mit begamaschten Beinen über Grasbüschel. Als er das Schulhaus erreicht hatte, riefen ihn wieder streitende Stimmen. Er wandte ihnen seinen bösen, weissen Schnurrbart zu.

      «Was ist denn wieder los?» rief er immer wieder, ohne auch nur zuzuhören.

      «Cochrane und Halliday spielen auf der selben Seite, Herr», rief Stephan.

      «Warten Sie doch bitte einen Augenblick in meinem Studierzimmer», sagte Deasy, «ich will hier nur eben Ordnung schaffen.» Und als er nun geschäftig wieder über den Spielplatz ging, rief seine alte Stimme streng:

      «Was ist los? Was ist denn wieder los?»

      Von allen Seiten umschrien ihn laute Stimmen: ihre vielen Gestalten umdrängten ihn von allen Seiten, der grelle Sonnenschein bleichte den Honig seines schlechtgefärbten Kopfes.

      Schale, rauchige Luft hing mit dem Geruch der braunen, abgenutzten Lederstühle im Studierzimmer. Wie am ersten Tage, als er hier mit mir verhandelte. Wie es zu Anfang war, ist es jetzt. Auf dem Buffet das Brett mit den Stuartmünzen, gemeiner Schatz aus einem Sumpf: und ewig soll sein. Und in dem warmen Löffelkasten mit dem verschossenen, purpurnen Plüsch die zwölf Apostel, die allen Heiden gepredigt haben: endlose Welt. Ein hastiger Schritt durch den steinernen Torbogen und auf dem Korridor. Deasy plusterte seinen dünnen Schnurrbart auf und blieb am Tisch stehen.

      «Zuerst mal unsere kleine finanzielle Regelung», sagte er.

      Aus dem Rock zog er ein Taschenbuch, das ein Lederriemen zusammenhielt. Es schnappte auf, und er entnahm ihm zwei Noten, eine aus zusammengeleimten Hälften, und legte sie sorgfältig auf den Tisch, schnallte es wieder zu und

      «Zwei», sagte er, schnallte sein Taschenbuch zu und steckte es ein.

      Und jetzt ins Gewölbe für das Gold. Stephans verlegene Hand fuhr über den Muschelnhaufen in dem kalten Steinmörser: Kinkhörner und Kaurimuscheln und Leopardenmuscheln: und dann diese, gewunden wie der Turban eines Emirs, und diese, die Kammuschel des heiligen Jakobus. Eines alten Pilgers Beute, toter Schatz, leere Muscheln.

      Ein blanker, neuer Sovereign fiel auf die weiche Masse der Tischdecke.

      «Drei», sagte Deasy und drehte seine kleine Geldbüchse in der Hand. Nett und handlich.

      «Sehen Sie: dies ist für die Sovereigns. Dies hier für Shillings, Sixpence und halbe Kronen. Und hier für Kronen.» Er schoss zwei Kronen und zwei Shilling aus den Fächern. «Drei zwölf», sagte er. «So stimmt’s wohl.»

      «Danke sehr», sagte Stephan; in scheuer Hast raffte er das Geld zusammen und steckte es in eine Hosentasche.

      «Nichts zu danken», sagte Deasy, «Sie haben es ehrlich verdient. »

      Stephans Hand, die wieder frei war, kehrte zurück zu den hohlen Muscheln. Auch Symbole der Schönheit und Macht. Ein Klumpen in meiner Tasche. Durch Gier und Elend beschmutzte Symbole.

      «Tragen Sie es doch nicht so mit sich rum», sagte Deasy. «Irgendwo ziehen Sie es aus der Tasche und verlieren es. Sie sollten sich gleich auch so ein Ding kaufen. Ist riesig praktisch und bequem.» Irgendwas antworten.

      «Meins wäre oft leer», sagte Stephan.

      Der gleiche Raum, die gleiche Stunde, die gleiche Weisheit: und ich derselbe. Dreimal jetzt. Drei Schlingen hier um mich. Nun. Ich kann sie diesen Augenblick zerreissen, wenn ich will.

      «Weil Sie nicht sparen», sagte Deasy und hob warnend den Finger. «Sie wissen noch nicht, was Geld ist. Geld ist Macht, wenn Sie so lange gelebt haben wie ich. Ich weiss es, ich weiss es. Wenn Jugend nur wüsste. Wie sagt doch Shakespeare? Tu Geld in deinen Beutel.»

      «Jago», murmelte Stephan.

      Er hob den Blick von den leeren Muscheln und sah in des alten Mannes starre Augen.

      «Er wusste, was Geld war», sagte Deasy. «Er machte Geld. Ein Dichter, aber auch ein Engländer. Wissen Sie, was der Stolz des Engländers ist? Kennen Sie das stolzeste Wort aus dem Munde eines Engländers?»

      Beherrscher der Meere. Seine seekalten Augen blickten auf die leere Bucht: hierfür ist die Geschichte verantwortlich: auf mich und meine Worte, hasslos.

      Stephan sagte: «Dass in seinem Reiche die Sonne nie untergeht. »

      «Bah!» sagte Deasy. «Das ist nicht englisch. Das sagte ein französischer Kelte.»

      Mit dem Daumennagel knipste er leicht an die Spardose.

      «Ich will Ihnen sagen», sagte er feierlich, «welches sein stolzester Ruhm ist: Ich habe alles bezahlt.»

      Guter Mann, guter Mann.

      «Ich habe alles bezahlt. Nie in meinem Leben borgte ich auch nur einen Shilling. Können Sie das nachfühlen? Ich schulde nichts. Können Sie?»

      Mulligan, neun Pfund, drei Paar Socken, ein Paar Schuhe, Schlipse. Curran, zehn Guineas, McCann, eine Guinea. Fred Ryan, zwei Shilling. Temple, zwei Mittagessen. Russel, eine Guinea, Cousins, zehn Shilling, Bob Reynolds, eine halbe Guinea, Köhler, drei Guineas, Frau McKernan, Pension für fünf Wochen. Der Klumpen, den ich habe, ist nutzlos.

      «Augenblicklich nicht», antwortete Stephan.

      Deasy lachte in heller Freude und steckte seine Geldbüchse wieder ein.

      «Das wusste ich», sagte er lustig. «Aber eines Tages werden Sie es fühlen. Wir sind ein edelmütiges Volk, aber wir müssen auch gerecht sein.»

      «Ich fürchte so grosse Worte», sagte Stephan, «die uns so unglücklich machen.»

      Ernst blickte Deasy kurze Zeit auf das Bild eines gut gebauten Mannes im buntgewürfelten Faltenröckchen der schottischen Bergbewohner über dem Kamin: Albert Eduard, Prinz von Wales.

      «Sie halten mich für einen alten, konservativen Stockphilister und Tory», sagte seine nachdenkliche Stimme. «Seit O’Connells Zeit sah ich drei Generationen. Ich erinnere mich noch an die Hungersnot. Wissen Sie, dass die Orangistenlogen zwanzig Jahre vor O’Connell für Aufhebung der Union agitierten, zwanzig Jahre bevor die Prälaten Ihrer Gemeinde ihn als Demagogen anzeigten? Ihr Fenier vergesst manches.»

      Glorreiche, fromme und unsterbliche Erinnerung. Die Diamantloge im herrlichen Armagh, drapiert mit Papistenleichen. Heiser, maskiert und bewaffnet, der Bauern Bund. Der finstere Norden und die echte, wahre Bibel. Rebellen, ergebt euch. Stephan skizzierte eine kurze Handbewegung.

      «Ich habe auch Rebellenblut in mir», sagte Deasy. «Von Mutterseite her. Aber ich stamme von Sir John Blackwood, der für die Union stimmte. Wir sind alle Iren, alle Söhne von Königen.» «Leider», sagte Stephan.

      «Per vias rectas», sagte Deasy fest, «war sein Wahlspruch. Er stimmte für sie, zog seine Stulpstiefel an und machte sich von den Ards of Down nach Dublin auf den Weg.»

      Hopp, hopp, hopp.

      Den steinigen Weg nach Dublin.

      Ein mürrischer Junker zu Pferde mit blanken Stulpstiefeln. Schönes Wetter, Tag, Herr John. Schönes Wetter, Euer Gnaden. . . . Wetter. . . . Wetter. . . . Zwei Stulpstiefel schlenkern wackelnd nach Dublin. Hopp, hopp, hopp.

      «Da fällt mir grade was ein», sagte Deasy. «Sie können mir einen Gefallen tun, Herr Dädalus, bei einigen Ihrer