»Das kann schon möglich sein. Aber wenn es nun Bengan war, warum hat er dann den Hausmeister verständigt?«, fragte Karin skeptisch.
»Um den Verdacht von sich selbst abzulenken natürlich«, erwiderte Norrby gereizt.
»Wenn die Aussage dieser Nachbarin zutrifft, dann hat Dahlström am Tag des Rennens in seiner Wohnung gefeiert und auch am Tag darauf noch gelebt«, sagte Knutas. »Er wurde also nicht auf diesem Fest ermordet. Vermutlich ist der Mord am späten Montagabend oder in der Nacht zum Dienstag geschehen. Bestimmt wird die Gerichtsmedizin uns bald einen genaueren Todeszeitpunkt liefern.«
»Übrigens haben wir noch eine weitere Zeugenaussage, die interessant sein kann«, fügte Norrby hinzu. »Ich habe doch heute noch einmal mit den Nachbarn gesprochen. Eine Nachbarin, die zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause war, hat mich später angerufen.«
»Ja?«
Knutas stützte den Kopf in die Hände und machte sich auf eine weitere umständliche Darstellung gefasst.
»Es handelt sich um eine Gymnasiastin von der Säveschule. Auch sie hat am späten Montagabend im Treppenhaus jemanden gehört. Und zwar einen gewissen Arne Haukas, der ihr gegenüber im Erdgeschoss wohnt, also im selben Stock wie Dahlström. Er ist Sportlehrer und geht abends joggen. Normalerweise macht er das so gegen acht, aber am Montagabend hat sie gehört, dass er seine Wohnung gegen elf verlassen hat. Sie hat ihn auch vom Fenster aus gesehen.«
»Ach, wie kann sie so sicher sein, was Zeitpunkt und Tag angeht?«
»Sie hatte ihre ältere Schwester aus Alva zu Besuch. Sie haben lange geplaudert und ferngesehen. Dieses Mädchen behält den Lehrer so gut im Auge, weil sie ihn für eine Art Spanner hält. Er glotzt in ihr Fenster, wenn er vorüberjoggt. Sie bildet sich ein, dass er abends joggt, um spannen zu können.«
»Kann sie diese Behauptungen irgendwie belegen?«
»Nein. Ihr ist das selber sogar ein wenig peinlich. Sie hat gesagt, sie sei nicht sicher, es sei einfach nur ein Gefühl.«
»Ist dieser Haukas verheiratet?«
»Nein, er lebt allein. Es ist ja möglich, dass das Unbehagen der Kleinen gerechtfertigt ist. Ich habe gleich in der Solbergaschule angerufen, wo er arbeitet. Der Rektor, den ich privat kenne, sagt, dass Arne Haukas vor einigen Jahren vorgeworfen wurde, dass er die Mädchen belauert, wenn sie sich nach dem Sportunterricht umziehen. Die Schülerinnen haben damals gesagt, dass er immer wieder in den Umkleideraum kam, um unnötige Fragen zu stellen. Vier von ihnen fanden das so unangenehm, dass sie sich beim Rektor beschwert haben.«
»Und was ist dann passiert?«
»Der Rektor hat mit Haukas gesprochen, der alles abstritt, und damit war die Sache aus der Welt. Es ist offenbar nicht wieder passiert. Jedenfalls haben sich keine weiteren Schülerinnen beklagt.«
»In diesem Treppenhaus scheinen ja ziemlich finstere Figuren zu wohnen«, warf Wittberg dazwischen. »Säufer, magenkranke Katzen, Spanner ... da fragt man sich doch, was das überhaupt für ein Irrenhaus ist!«
Eine gewisse Munterkeit machte sich am Tisch breit. Knutas hob abwehrend die Hand.
»Auf jeden Fall suchen wir hier keinen Sexualverbrecher, sondern einen Mörder. Aber dieser Sportlehrer kann natürlich etwas gesehen haben, wo er doch am Mordabend draußen rumgelaufen ist. Ist er schon vernommen worden?«
»Nein, sieht nicht so aus«, antwortete Norrby.
»Dann sollten wir das heute noch erledigen.«
Knutas wandte sich an Karin.
»Gibt’s was Neues über Dahlström?«
»Er hat als Fotograf für Gotlands Tidningar gearbeitet, aber das wisst ihr ja, dann hat er 1980 gekündigt und eine Firma namens Master Pictures aufgemacht. Das Unternehmen lief in den ersten Jahren sehr gut, 1987 aber ging es hoch verschuldet in Konkurs. Seitdem hat Dahlström offenbar nicht mehr gearbeitet, sondern Sozialhilfe bezogen, bis er 1990 aus Krankheitsgründen in Frührente gehen konnte.«
»Und wo leben seine ehemalige Frau und seine Tochter heute?«, fragte Knutas.
»Seine Exfrau wohnt noch immer in der alten Wohnung in der Signalgata. Die Tochter lebt in Malmö. Allein stehend und kinderlos, jedenfalls ist nur sie unter dieser Adresse gemeldet. Ann-Sofie Dahlström, also die Exfrau, war auf dem Festland, kommt aber heute am späten Nachmittag zurück. Sie hat versprochen, vom Flughafen direkt herzukommen.«
»Sehr gut«, sagte Knutas. »Wir müssen auch die Tochter herbestellen. Und wir müssen Bengt Johnsson sofort zur Fahndung ausschreiben lassen. Wir müssen seinen ganzen Bekanntenkreis befragen, wo er sein kann. Sohlman, du lässt das Schloss noch einmal untersuchen. Die Frage ist, wer alles von diesem Renngewinn weiß. Alle, die auf der Rennbahn dabei waren, müssen zur Vernehmung geholt werden. Aber wer sonst noch?«
»In diesen Kreisen verbreiten sich solche Nachrichten sicher wie ein Lauffeuer«, sagte Wittberg. »Von denen, mit denen wir in der Stadt gesprochen haben, hat niemand auch nur einen Mucks gesagt, aber die haben vielleicht ihre Gründe.«
»Auch die müssen noch einmal vernommen werden, genau wie alle anderen«, sagte Knutas. »Das mit dem Wettgewinn gibt der ganzen Sache doch einen völlig neuen Aspekt.«
Wenn Emma etwas verabscheute, dann waren das Nähmaschinen.
Dass man sich mit diesem Dreck überhaupt befassen muss, dachte sie, mit dem Mund voller Nadeln und einer Irritation, die schon fast in Kopfschmerzen überging. Sie fluchte vor sich hin. Dass es so verdammt schwer sein sollte, eine Hose zu flicken. Wenn andere einen Reißverschluss einnähten, sah das lächerlich einfach aus.
Emma gab sich wirklich alle Mühe, sie hatte sich mit Unmengen von Geduld gewappnet, ehe sie anfing, und sich gelobt, diesmal aber wirklich nicht aufzugeben. Nicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, wie es sonst ihre Art war. Ihrer Schwächen war sie sich durchaus bewusst. Das zumindest musste man ihr lassen.
Sie kämpfte seit einer Stunde und hatte in dieser Zeit drei Zigaretten geraucht, um ihre Nerven zu beruhigen. Der Schweiß trat ihr auf die Stirn, als sie versuchte, den Jeansstoff unter den Fuß der Maschine zu schieben. Zweimal hatte sie schon alles wieder auftrennen müssen, da der Reißverschluss nicht gerade gesessen hatte.
In der Schule hatte sie den Handarbeitsunterricht gehasst. Das Schweigen, die Strenge der Lehrerin. Dass alles so verdammt genau sein musste – Stiche, Musterübernahme, rechte und linke Maschen. Auf ihrem Abschlusszeugnis von der Grundschule hatte sie nur eine einzige schlechte Note, und zwar in Handarbeit. Die stand da als ewige Erinnerung an ihr Versagen in allem zwischen Topflappen und Strickmützen.
Das Klingeln ihres Handys schien ihr wie ein heiß ersehnter Gast. Als sie Johans Stimme hörte, brach in ihrem Brustkorb ein Feuer aus.
»Hallo, ich bin’s. Störe ich?«
»Gar nicht, aber du weißt doch, dass du nicht anrufen darfst.«
»Ich konnte es einfach nicht lassen. Ist er zu Hause?«
»Nein, montagabends spielt er Hockey.«
»Bitte, sei nicht böse.«
Kurzes Schweigen. Dann war seine Stimme wieder da, weich und dunkel. Wie eine Liebkosung ihrer Haut.
»Wie geht es dir?«
»Ja, danke. Ich war kurz vor einem hysterischen Anfall und hätte fast die Nähmaschine aus dem Fenster geworfen.«
Sein leises Lachen kitzelte sie in der Magengrube.
»Versuchst du zu nähen? Was ist denn aus deinen Vorsätzen geworden?«
Ihr fiel ein, wie sie einmal im Sommer mit Nadel und Faden aus dem