„Na und?“ Bick schnippte mit den Fingern. „In den Vereinigten Staaten laufen etwa fünfzigtausend Mörder frei herum. Alle auf Bewährung entlassen.“
„Sagt die Statistik.“ Mulligan nickte.
„Warum nicht einer mehr. Du kannst es mir schon glauben. Der Gouverneur läßt Nat heraus. In zwei Wochen ist es soweit. Ich weiß sogar schon den Termin.“
„Und? Was habe ich damit zu tun?“ knöpfte sich Mulligan zu. Er wollte nicht verstehen.
„Es wird Ärger geben.“
„Das wäre nichts Neues!“
„Du weißt doch noch, was in der Stadt los war, als Nat vor Gericht stand. Hier konnten sie ihn nicht einmal ins Gefängnis sperren, weil zu befürchten war, daß die Leute das Gefängnis stürmen würden, um Nat zu lynchen. Sie mußten ihn nach Lafayette schaffen. Und was ihn dort vor demselben Schicksal schützte, war lediglich die Tatsache, daß ein Sonderkommando der Nationalgarde das Gefängnis und das Gerichtsgebäude bewachte.“
„Sicher weiß ich das“, brummte John. „Ich war ja dabei.“
„Mit deinen Artikeln hast du die Leute nicht schlecht aufgeputscht.“
„Damals mußte ich noch schreiben, was mein Chef mir befahl“, knurrte John.
„Und heute?“
„Heute bin ich selbst der Chef!“
„Würdest du heute in der gleichen Situation anders handeln?“
„Ich weiß nicht“, sagte John zögernd. „Seit ich gesehen habe, wozu der Mob fähig ist, bin ich zurückhaltender geworden. Aber das ist überhaupt keine Frage. Nat wird bestimmt nicht nach Des Plaines zurückkommen. Er wird doch nicht Selbstmord begehen wollen.“
„Das ist genau die Frage.“
Mulligan schob die Brauen hoch.
„Bick, worauf willst du hinaus?“
Der Transportunternehmer drückte seine Zigarette aus.
„Vielleicht erinnerst du dich noch an das, was Nat Salinger sagte, als das Urteil gesprochen wurde. Er sagte: ,Ich bin unschuldig, und ich werde den Schuldigen finden, so wahr ich hier sitze. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich ihn habe. Und wenn es das letzte wäre, was ich tue.‘ Erinnerst du dich?“
„Allerdings. Die Leute hätten ihn am liebsten totgeschlagen.“
„Well, es kommt mir so vor, als hätte er das ernst gemeint. Ich meine nicht, daß er unschuldig ist, aber ich meine, daß er sich rächen will.“
Mulligan starrte ihn an. „Du warst der Kronzeuge der Anklage!“
„Stimmt. Ich habe ihn wiedererkannt. Ich habe keine Sekunde gezweifelt. Er war es, der meinen Hauptbuchhalter erschossen hat. Das steht völlig außer Zweifel. Ich fürchte nur, er wird jetzt wiederkommen und sich an mir rächen wollen.“
„Warum engagierst du dir keinen Leibwächter?“
„Ich habe keine Angst“, sagte Bick großspurig. „Was ich damals gesagt habe, kann ich verantworten. Es geht um etwas anderes. Die Zeitungen im Norden werden den Fall wieder aufgreifen, darauf kannst du Gift nehmen. Und dann sind wir dran, wir alle hier in Des Plaines. Die Krawalle in Birmingham haben schön vorgeheizt. Das Interesse ist da. Jetzt wird es heißen: Unschuldig verurteilter Neger kämpft um sein Recht. Die Yankees werden das glauben, John.“
Der Reporter rutschte unruhig auf seinem Sessel hin und her.
„Was sollen wir tun?“
„Deswegen bin ich hier. Wir müssen die Sache als erste in den Griff bekommen, sonst ist der Name dieser Stadt gebrandmarkt.“
„Und einen Mann gäbe es, der darunter leiden würde: Bick Dorset! Oder genauer gesagt: die Bick Dorset Transport Company “
„Stimmt.“ Bick nickte. „Ich bin Südstaatler, und ich mag die Yankees nicht. Aber ich muß Geschäfte mit ihnen machen. Mir könnte nichts Schlimmeres passieren, als wenn diese alte Geschichte jetzt wieder aufgewärmt würde. Mein Name in den Schlagzeilen. Man würde meinen Laden boykottieren, und das alles wegen eines Mörders, der ausgerechnet einen Neger als Großvater hat. Die Vorstellung macht mir verdammt wenig Freude, John.“
Mulligan zog sich den Tischventilator heran. Der Strahl fächelte ihm Kühlung entgegen.
„Wie ich dich kenne, Bick, hast du schon eine Idee.“
„Allerdings habe ich die!“
„Und dazu brauchst du mich?“
„Ja, dazu brauche ich dich.“
„Mir könnte es egal sein, ob Des Plaines einen ähnlichen Ruf bekommt wie Little Rock oder Birmingham, Alabama“, schraubte Mulligan seinen Preis hoch. „Meine Zeitungen verkaufe ich allemal. Ich bin auf Windstille nicht so angewiesen wie du, Bick!“
Der Transportunternehmer grinste plötzlich. Er wirkte einnehmend wie ein ausgehungertes Nashorn.
„Okay, John, ich habe nie erwartet, von jemanden etwas umsonst zu bekommen. Ich könnte mir denken, daß dein Mistblatt eine finanzielle Spritze gut vertragen könnte.“
„Das Mistblatt und sein Chefredakteur“, brummte John.
„Okay. Sagen wir einen Auftrag über zusammen zehn ganzseitige Anzeigen in der ,Des Plaines News‘‚ Inhalt: Bick Dorset oder der glücklichste Transport Ihres Lebens.“
Mulligan warf rasch ein paar Zahlen auf seinen Notizblock.
„Das entspricht zwölftausend Dollar“, brummte er.
„Zwölftausend?“
„Wir haben seit vorhin ’ne neue Anzeigenpreisliste.“
„Elender Halsabschneider. Wieviel davon gehen an dich?“ schnaubte Bick.
„Dreiundsechzig Prozent“, erklärte John seelenruhig. „Also schieß los. Ich bin ganz Ohr. Für den Preis schreibe ich sogar, daß die Kommunisten die besten Freunde von uns Amerikanern sind.“
„Du hast falsch geraten“, sagte Bick. „Vorläufig kommt noch kein Wort in dein Blatt. Erst wenn ich es sage.“
„Keine Artikel?“ staunte John. „Was, zum Teufel, willst du dann von mir?“
„Du sollst Kontakt mit einem Mann aufnehmen, der gestern in Baton Rouge zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt wurde.“
„Du meinst den Autoknacker?“
„Erraten, Presselord. Der Bursche ist ideal für unsere Zwecke geeignet. Über ihn will ich Kontakt mit Nat Salinger aufnehmen, und zwar noch, bevor er entlassen wird.“
„Du?“
„Mein Name soll dabei ganz aus dem Spiel bleiben“, erläuterte Bick. „Du fährst nach Baton Rouge und beschaffst dir eine Sprecherlaubnis mit dem Burschen. Als Zeitungsmann bekommst du sie bestimmt. Dann mußt du es so drehen, daß niemand mitbekommt, was ihr beide besprecht.“
„In der Nummer bin ich ganz groß“, warf Mulligan ein.
„Du sagst dem Gangster, er soll im Zuchthaus Nat Salinger sprechen. Er soll Nat mitteilen, ein paar einflußreiche Bürger von Des Plaines würden ihm fünftausend Dollar zahlen, wenn er aus der Gegend verschwindet und den Fall auf sich beruhen läßt.“
„Soviel ist er dir wert?“
„Du weißt ja nicht, was diese Sache geschäftlich für mich bedeuten kann. Ich riskiere Verluste, die in die Hunderttausende gehen. Nur deshalb lasse ich mich überhaupt auf die Sache ein.“
„Sollte Nat wirklich unschuldig sein, würde er nie auf den Vorschlag eingehen. Er würde glauben, die wahren Mörder sollten gedeckt werden. Ich kenne den Burschen. Er ist ein Fanatiker, Bick.“