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war Toni Innauer, zu diesem Zeitpunkt Sportdirektor des österreichischen Skiverbandes. Die österreichische Bundesregierung wolle den Sport intensiver unterstützen und rief dafür eine erstklassige Zusatzausbildung ins Leben. Das Projekt hätte den klingenden Namen Jugendsportmultiplikatoren/Nachwuchstrainerakademie. Mit dem Begriff konnte ich nichts anfangen, aber ich zeigte mich interessiert. Innauer erklärte mir, dass es hier um eine Zusatzausbildung, gepaart mit Praxiserfahrung in Form einer Projektbetreuung gehe. Der Haken an der Sache war: Ich musste zu einem Hearing nach Obertraun und mich »qualifizieren«.

      Eine völlig neue Welt für mich als Vollblutsportler, der bis vor Kurzem noch alle möglichen Schanzen dieser Welt bezwungen hatte. Typen in Anzug und Krawatte und ein förmlicher, eher steifer Umgang miteinander. Ich wanderte von Tisch zu Tisch beziehungsweise von Raum zu Raum und musste diverse Fragen beantworten. Ein Professor fragte mich, was denn so mein Ziel sei als Trainer. Ziel als Trainer? Darüber hatte ich mir noch nie den Kopf zerbrochen. Ich war mir ja nicht einmal im Klaren, ob ich überhaupt Trainer werden wollte. Was möchte der Mann wohl von mir hören? Was muss ich antworten, um das Hearing zu bestehen?

      »Nationaltrainer«, antwortete ich stolz.

      »Nur Nationaltrainer?«, sagte der Professor und hielt mir einen Vortrag über die Besonderheit dieser Ausbildung und welche Möglichkeiten uns da geboten würden. Das verlange natürlich auch außergewöhnliches Engagement.

      Geknickt ging ich nach Hause und erzählte Toni Innauer, das sei wohl nicht das Richtige für mich und ich wäre im Hearing vermutlich durchgefallen, nichtsahnend, dass ich hier in der Sportpolitik angekommen und meine Aufnahme in das Projekt eine abgekartete Sache war. Denn der österreichische Skiverband, als einer der mächtigsten Verbände in Österreich, hatte das Recht, Leute in dem Projekt zu platzieren, und entschied letztlich über die Auswahl.

      Also absolvierte ich, obwohl ich maximal Nationaltrainer werden wollte, neben meinem Studium eine Zusatzausbildung in Sachen Nachwuchstraining, die mich zum bestausgebildetsten Skisprungtrainer Österreichs machen sollte.

      Einer der Professoren, die uns ständig begleiteten auf unseren Seminaren, war Arturo Hotz. Ein kleinwüchsiger Schweizer Querdenker, der europaweit Vorträge hielt und als Koryphäe in Sachen Bewegungslernen und Koordination galt. Seine Impulsreferate waren interessant und unterhaltsam, aber auch anstrengend, glitt er doch immer wieder ins Philosophische ab. Es rumorte unter uns Praktikern, klang doch vieles auf den ersten Blick abgehoben und beinahe ein wenig weltfremd. Einmal hatte ich die Möglichkeit, mit ihm unter vier Augen an der Bar entspannt zu plaudern, und ich nützte die Gelegenheit, ihm die Stimmung in der Gruppe wiederzugeben. Wenn mich etwas störte, konfrontierte ich mein Gegenüber und nahm kein Blatt vor den Mund. Er reagierte erstaunlich gelassen und sagte fast ein wenig mitleidig zu mir: »Weißt du, Werner, mein Ziel ist es nicht, euch Wissensinhalte zu vermitteln und Rezepte zu liefern. Mein Ziel ist es, euch das Denken zu lehren!«

      Wir sollten also lernen zu denken? Dieser Satz sollte mich eine Weile beschäftigen. Vieles, was ich in diesen drei Jahren speziell von Arturo lernte, begriff ich erst später, als das Seminar schon beendet war. Viele seiner Ansätze, die im ersten Moment abstrus wirkten, kamen mir zu einem verspäteten Zeitpunkt wieder ins Gedächtnis, und erst dann begriff ich die Zusammenhänge. Einer seiner Leitsätze war, dass wir uns im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit befinden. Das Bild mit den Spannungsfeldern verwende ich heute noch oft. Schade, dass Arturo so früh verstorben ist. Ich hätte gerne 20 Jahre später mit ihm bei einem Glas Wein einen Rückblick auf diese spannende Zeit und auf das Gelernte, das mich nachhaltig prägen sollte, gemacht.

      Teil meiner Ausbildung war es, eine kleine Trainingsgruppe im Raum Seefeld zu betreuen, wo ich mich um skispezifische Ergänzungseinheiten in der Skihauptschule Neustift kümmerte. Dies ermöglichte mir einerseits, moderne Aspekte des Trainingsprozesses zu erproben, und mir gleichzeitig meine ersten Sporen im spezifischen Arbeiten mit jungen Skispringern zu erarbeiten. Meine Skisprungtruppe war ein bunter Haufen, von mir einmal liebevoll »das gallische Dorf« genannt. Das Leistungsgefälle war enorm und für einen ehemaligen Sportler, der bis vor Kurzem noch im Weltcup mit den Besten der Besten agiert hatte, eine harte Probe, sich auf diese grundlegenden Probleme der motorischen Ansteuerung einzulassen. Schlussendlich waren es die weniger talentierten Schüler, die bei mir den größten Lernprozess entfachten. Ich war gezwungen, mich hineinzufühlen in Schwierigkeiten, deren Lösungen mir selbstverständlich erschienen. Ich war gezwungen, methodische Schritte zu entwickeln für Bewegungsfolgen, die begabte Sportler instinktiv zu lösen imstande sind. Ich war wieder angekommen an der Basis meines Sportes und lernte das Skispringen von der Pike auf neu.

      1998 standen die Abschlussprüfungen der Diplomtrainerausbildung an, und ich näherte mich dem Ende meines Studiums, als sich ein weiterer nahtloser Übergang in meinem Leben abzeichnete. Im Schigymnasium Stams wurde eine Trainerstelle frei, und ich war erste Wahl. Ich war modern ausgebildet, voll motiviert und »überfällig«, mein Wissen anzubringen, dennoch war es nicht selbstverständlich, in diesen erlesenen Kreis aufgenommen zu werden. Das Studium sollte auch nebenbei beendet werden können.

      In Stams gab es zu diesem Zeitpunkt ungefähr 35 Springer und 5 Trainer. Man arbeitete in Kleingruppen, und das System war von großem Vertrauen und Wertschätzung geprägt. Der Trainer bekam eine Altersgruppe zugeteilt, mit der er vier oder fünf Jahre arbeiten durfte und dadurch die Möglichkeit bekam, einen systematischen Aufbau durchzuziehen. Viele talentierte junge Burschen, unter anderem Andreas Kofler, und ein außergewöhnlich begabtes Mädchen namens Daniela Iraschko meldeten sich in diesem Jahr zur Aufnahmeprüfung an.

      Im September 1998 war es dann endlich so weit. Auftaktsitzung, Organisatorisches, Sonstiges und dann ging es zum Sportplatz. Ich fragte noch den sportlichen Leiter Paul Ganzenhuber, ob ich ihm täglich oder wöchentlich berichten müsse über meine Vorhaben, worauf er erwiderte: »Werner, du bist vom heutigen Tag an für die konditionelle und technische Entwicklung dieser Gruppe verantwortlich. Ich stehe dir bei Fragen gerne zur Verfügung und werde dir auch mal über die Schulter schauen, aber du hast mein volles Vertrauen.« Mit offenem Mund nahm ich die Aussage zur Kenntnis und machte mich ans Werk. Einerseits freute ich mich über die Vorschusslorbeeren, andererseits beängstigte mich die Situation. Ich war für das Schicksal der hoch motivierten Talente, die alle mit großen Plänen nach Stams gekommen waren, verantwortlich. Jeder und jede wollte ihre sportlichen Träume verwirklichen, die nicht gerade klein waren, und ich sollte der Türöffner sein.

      Die ersten Tage waren akribisch durchgeplant, und der Enthusiasmus war groß. Alle waren mit Begeisterung dabei, und es herrschte eine positive Dynamik. Ich gewann schnell das Vertrauen und damit auch Selbstvertrauen. Es dürfte der vierte oder fünfte Trainingstag gewesen sein, als ich mich nach einer weiteren gelungenen Trainingseinheit in mein Auto setzte und die halbstündige Heimreise nach Innsbruck antrat. Gedankenversunken und zutiefst zufrieden rekapitulierte ich die Tage und dachte mir: »Das ist ja genau das, was du schon immer machen wolltest.« Ich war angekommen in meinem Traumjob, ohne bewusst jemals darauf hingearbeitet zu haben.

      Ich schrieb keine Stunden auf. Ich rechnete keine Zusatzleistungen ab. Ich kannte keine Sperrstunde. Ich telefonierte auch nachts, wenn es notwendig war. Ich hatte nur das Projekt und meine Verantwortung im Auge, und danach richtete sich mein Einsatz. Meine Arbeit war es, elf jungen Menschen dabei zu helfen, ihren sportlichen Traum zu verwirklichen, und diese Verantwortung nahm ich wahr. Das Schöne war, es kam mir nicht wie Arbeit vor. Trainer am Schigymnasium war nicht mein Beruf, sondern meine Berufung.

      Praktischerweise konnte ich mich bei den ersten Trainingslagern mit meinem Kollegen Alois Lipburger, dem Liss, meinem Lieblingstrainer aus vergangenen Tagen, zusammentun. Liss war nach Jahren der Absenz und der beruflichen Umorientierung wieder ins Trainergeschäft eingestiegen und übernahm die erste Klasse der nordischen Kombinierer. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass es mir als Rookie vergönnt war, die Skispringer zu trainieren, und mein Mentor in der Sparte Nordische Kombination gelandet war, aber fachlich gesehen wäre es umgekehrt nicht gegangen.

      Ich nutzte jede Gelegenheit, mich mit ihm auszutauschen und mir Tipps zu holen. In meinen Ausbildungsjahren hatte ich jede Menge Tools in meinem Rucksack angehäuft, aber mir fehlte noch das Gespür, wann ich was am besten einsetzen sollte. Die Wirkungsweisen und Lernkurven der Sportler