Nun wollte sich jeder ihrer annehmen, besonders die Frauen. Eines Tages erschien sie in allen Farben des Regenbogens gekleidet. Sie hatte alles, was sie geschenkt bekommen hatte, angezogen und glaubte nun so recht nach seinem Geschmack zu sein, da er doch wollte, daß sie immer nett und ordentlich aussah. Aber kaum hatte er sie erblickt, da untersagte er ihr sogleich, je wieder etwas anzunehmen. Er nannte sie eitel und töricht, sie setze sich keine rechten Ziele und habe an Narrenstreichen ihre Freude. Als sie am nächsten Morgen mit verweinten Augen kam, nahm er sie auf einen Spaziergang vor die Stadt mit. Nun erzählte er ihr von David, so wie er oft bald diese, bald jene Gestalt herausgriff und ihr Bekanntes in neuem Licht darstellte. Zuerst schilderte er David in seiner Jugend: schön und stark, voll sorglosen Glaubens. Deshalb habe er auch, noch bevor er erwachsen war, im Triumphzug mitmarschieren dürfen. Der Hirte wurde zum König ernannt, er, der in Höhlen gewohnt hatte, erbaute schließlich Jerusalem. In prächtige Gewänder gekleidet, saß er mit der Harfe zu Sauls Füßen und spielte für den kranken König. Als er aber selbst ein kranker König war, sang und spielte er, in das Lumpengewand der Reue gehüllt, für sich allein. Als er sein großes Werk vollendet hatte, ruhte er in Sünden aus. Da erschien der Prophet und mit ihm die Strafe, und David wurde wieder zum Kind. Er, der es vermocht hatte, das ganze Volk des Herrn zum Lobgesang zu erheben, lag nun selber gebrochen zu Füßen des Herrn. Wann aber war er am schönsten: als er im Schmuck der Siegerkrone zu seine eigenen Liedern vor der Bundeslade hertanzte oder als er im stillen Kämmerlein um Gnade flehte vor der strafenden Hand?
In der Nacht nach diesem Gespräch hatte Petra einen Traum, den sie ihr Leben lang nicht vergaß: Sie saß auf einem weißen Pferd im Triumphzug, während sie gleichzeitig in Lumpen vor dem Pferd hertanzte.
Einige Zeit danach ging Pedro Ohlsen, der sich ihr, wie sie bemerkt hatte, seit jenem Tag in seinem Garten immer wieder zu nähern versuchte, dicht an jener Stelle am Waldrand oberhalb der Stadt vorüber, wo sie saß und ihre Hausaufgaben erledigte. Mit einem seltsamen Lächeln flüsterte er ihr ein „Guten Abend!“ zu. Obgleich inzwischen Jahre vergangen waren, stand das Verbot der Mutter, niemals wieder mit ihm zu reden, noch so lebendig vor ihr, daß sie nicht antwortete. Trotzdem kam er Tag für Tag immer auf die gleiche Weise und stets mit dem gleichen Gruß dort vorbei. Zuletzt vermißte sie ihn, wenn er einmal nicht kam. Bald stellte er im Vorbeigehen eine kurze Frage, bald wurden daraus zwei, und schließlich erwuchsen daraus Gespräche. Nach einem solchen Gespräch ließ er eines Tages einen Silbertaler in ihren Schoß gleiten und lief dann sogleich seelenvergnügt davon. Nun verstieß das sowohl gegen das Verbot der Mutter, mit ihm zu reden, als auch gegen das Ødegaards, von irgend jemandem Geschenke anzunehmen. Das erste Gebot hatte sie nach und nach übertreten, doch nun, da das dazu geführt hatte, daß sie auch das zweite übertrat, erinnerte sie sich wieder daran. Um das Geld loszuwerden, lud sie den erstbesten, der ihr über den Weg lief, ein und bewirtete ihn freigebig. Trotz aller Mühe war es ihnen aber nicht möglich, für mehr als vier Vierundzwanzig-Schillingstücke zu naschen. Danach bereute sie es jedoch, den Taler, statt ihn zurückzugeben, verschwendet zu haben. Das letzte Vierundzwanzig-Schillingstück, das noch in ihrer Tasche steckte, brannte, als könnte es Löcher in ihre Kleidung sengen. Sie holte es heraus und warf es ins Meer. Damit war sie den Taler aber trotzdem nicht los. Er hatte sich in ihr Denken eingebrannt. Wenn sie es gestand, würde es vorübergehen, das fühlte sie. Doch der furchtbare Wutausbruch der Mutter damals und auch Ødegaards festes Vertrauen zu ihr standen dabei im Wege, jedes auf seine Weise gleich schrecklich. Während der Mutter nichts auffiel, entdeckte Ødegaard bald, daß sie sich mit etwas herumschlug, das sie unglücklich machte. Liebevoll fragte er sie eines Tages, was sie bedrücke, und als sie, statt zu antworten, in Tränen ausbrach, nahm er an, bei ihr zu Hause herrsche Not, und schenkte ihr zehn Speziestaler. Daß sie, obgleich sie sich doch gegen ihn versündigt hatte, Geld von ihm erhielt, beeindruckte sie tief, und da es obendrein Geld war, das sie offen und ehrlich ihrer Mutter geben konnte, ehrliches Geld also, empfand sie dies als Freispruch von ihrer Schuld, und sie überließ sich der innigsten Freude. Mit beiden Händen ergriff sie seine Hand, sie bedankte sich und sprang umher. Das Entzücken strahlte durch ihre Tränen, während sie ihn ansah wie ein Hund seinen Herrn, wenn er ihn in die freie Natur begleiten darf. Er erkannte sie nicht wieder. Sie, die er sonst völlig in der Gewalt seiner Worte hatte, nahm ihm nun die Zügel aus der Hand. Zum erstenmal erlebte er, wie sich eine starke, wilde Natur entlud, zum erstenmal sandte die Quelle des Lebens ihren roten Strom über ihn hinweg – und purpurheiß wich er zurück. Petra aber war wie der Blitz zur Tür hinaus und zu den Hügeln hinauf, um sich den Weg nach Hause abzukürzen. Dort legte sie das Geld der Mutter auf den Küchentisch und fiel ihr um den Hals.
„Wer hat dir das Geld gegeben?“ fragte die Mutter und war schon in Harnisch.
„Ødegaard, Mutter. Er ist der großartigste Mensch der Welt!“
„Was soll ich damit?“
„Das weiß ich nicht. – Gott, Mutter, wenn du wüßtest!“ Sie fiel der Mutter wieder um den Hals. Nun konnte, nun wollte sie ihr alles sagen! Doch die Mutter machte sich ungeduldig los.
„Soll ich etwa Armenhilfe annehmen, willst du das? Bring ihm sofort das Geld zurück! Wenn du ihm eingeredet haben solltest, daß ich welches brauche, dann hast du gelogen!“
„Aber Mutter!“
„Bring ihm auf der Stelle das Geld zurück, sag ich, oder ich bringe es ihm selber und werf es ihm an den Kopf ..., diesem – der mir mein Kind weggenommen hat!“ Ihr Mund zuckte bei den letzten Worten.
Petra wich, blasser und immer blasser, zurück, öffnete langsam die Tür und verließ ebenso langsam das Haus. Bevor es ihr recht bewußt war, hatten die Finger den Talerschein zerrissen. Als sie es merkte, löste das bei ihr einen Wutausbruch gegen die Mutter aus. Aber Ødegaard durfte nichts davon erfahren – doch, alles sollte er erfahren! Er durfte nicht belogen werden. Einen Augenblick später war sie in seiner Wohnung und gestand ihm alles: daß die Mutter das Geld nicht annehmen wolle und daß sie selber den Geldschein vor Empörung, weil sie ihn zurückbringen sollte, zerrissen habe. Sie wollte noch mehr hinzufügen, doch er hörte sie voller Kälte an. Er bat sie, gleich nach Hause zu gehen und gab ihr die Ermahnung mit auf den Weg, ihrer Mutter stets, selbst wenn es einmal schwerfiele, gehorsam zu sein. Dies kam ihr jedoch recht seltsam vor, denn soviel wußte sie: Er tat auch nicht, was sich sein Vater am meisten wünschte!
Auf dem Nachhauseweg brach der Sturm in ihr los, und gerade da begegnete ihr Pedro Ohlsen. Sie war ihm die ganze Zeit aus dem Wege gegangen, und sie wollte es auch jetzt wieder tun, denn von ihm rührte ja schließlich alles Unglück her.
„Wo bist du gewesen?“ fragte er und folgte ihr. „Ist dir was zugestoßen?“
In ihrem Gemüt schlugen die Wogen so hoch, daß sie ihnen völlig ausgeliefert war. Wenn sie es recht bedachte, dann begriff sie überhaupt nicht, weshalb ihr die Mutter ausgerechnet den Umgang mit ihm verboten hatte. Das war wohl auch bloß so ein Einfall, dieser wie jener.
„Weißt du, was ich getan hab?“ sagte er fast demütig, als sie stehengeblieben war. „Ich hab dir ein Segelboot gekauft. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust zum Segeln“, und er lachte.
Seine Demut, die etwas von der Bitte eines Bettlers hatte, vermochte sie gerade jetzt zu rühren. Sie nickte – und da wurde er lebhaft. Er flüsterte eifrig, sie solle die Allee, die rechts um die Stadt herumführe, bis zu dem großen gelben Bootsschuppen entlanggehen. Da werde er sie dann abholen. Dort könnten sie von niemandem gesehen werden. Sie ging hin, und er kam, froh, doch ehrerbietig wie ein ältliches Kind, und nahm sie an Bord. Eine Zeitlang kreuzten sie in der leichten Brise, legten dann bei einer kleinen Insel an, wo sie das Boot festmachten und an Land gingen. Er hatte für sie allerlei Näschereien mit, die er ihr voll furchtsamer Freude anbot, und dann zog er seine Flöte hervor und spielte. Als sie seine Freude sah, vergaß sie für eine Weile ihren