Ob nun eine ausgedehnte »kapitalistische Invasion« des platten Landes in Attika und in anderen althellenischen Staaten (außer Sparta, wo die Besitzanhäufung zweifellos ist) in der klassischen Zeit stattgefunden hat, sei es im 5. oder – wie dies speziell behauptet worden ist – im 4. Jahrh., wird sich mit Sicherheit nicht entscheiden lassen, ist aber jetzt allgemein, und wohl mit Recht, als nicht allzu wahrscheinlich angesehen. Anders wohl in hellenistischer Zeit. Diese Spätperiode hat private Riesenvermögen entstehen sehen, deren Inhaber zuweilen ganze Städte durch die drückendsten Bedingungen bei der Darlehnsgewährung in einer Art von Schuldknechtschaft hielten (im Kontrast zur klassischen Zeit, wo die Tempel die typischen Staatsgläubiger waren). Und je mehr, noch später, Althellas, speziell Athen, sich zu einer Art von »Pensionopolis« auswuchs, welches die Vorzüge von Weimar und Heidelberg mit der immerhin, gegenüber dem Osten (und später: gegenüber Rom), noch vorhandenen »Freiheit« vereinigte, desto öfter mußte auswärts wohlhabend gewordenen und angesehenen Leuten, die sich dorthin »zurückgezogen« hatten, die Anlage in Grund und Boden (ev. nach Erwerb des Bürgerrechts) wünschenswert erscheinen, deren so viel größere Sicherheit schon in der spätklassischen Zeit in der niedrigeren Zinsrate (etwa 8%) zum Ausdruck kam. Nach Verlust der zeitweise politisch erzwungenen, dann, noch länger, faktischen Stapel- und Zwischenhandelsmonopolisierung im Freihafen des Peiraieus an Rhodos waren für Athen die Chancen der Kapitalanlage im Seehandel und bei den Banken und, ihnen nach, in anderen Arten eigentlich »kapitalistischen« Erwerbes zusammengeschrumpft; die Metoiken, auf deren Finanzkraft Athens Blüte sehr stark mit ruhte, nahmen schon nach dem endgültigen Verlust der Seeherrschaft (Bundesgenossenkrieg) rapide ab. Der Handel bot keine Chancen mehr: der Boden blieb als Anlageobjekt übrig. Dazu trat die gewaltige Auswanderung in die hellenistischen Kolonialgebiete. Es ist daher kein Wunder, wenn die im 4. Jahrh. so beredten attischen Demen vom 3. an zu verstummen beginnen: Niedergang der lokalen Absatzchancen der Landwirtschaft und – wahrscheinlich – Bodenaufsaugung mit Ersatz der Bauern durch Pächter sind wohl der Grund dafür. Dagegen für das 5. und 4. Jahrh. ist eine Entwicklung in der Richtung der Bodenakkumulation nicht sehr wahrscheinlich. Von privaten Kolonen hören wir nichts. Ueberdies war damals die Exploitationsrate für Sklavenarbeit im Gewerbe ziemlich günstig, stand der Sklavenpreis andererseits unter (vermutlich) vielen Schwankungen nicht besonders niedrig. (Allerdings kostete zu Demosthenes Zeit ein Pferd zuweilen das Doppelte eines Sklaven: – verglichen mit den Südstaaten der amerikanischen Union, ein sehr niedriger Sklavenpreis. Aber für das Altertum ist es, da die Kosten der Lehre und das Risiko dazu kamen, nur ein mittlerer Preis. Uebrigens ist ein einfacher Schluß aus der Preishöhe der Sklaven eines Zeitpunktes stets sehr mißlich, da z.B. Niedrigkeit des Preises sowohl Folge geringen Sklavenbedarfs als Ursache starken Sklavenverschleißes sein kann.) Da so kolossale Sklavenzufuhren, wie sie die Kämpfe der Sizilianer, Karthager und dann der Römer brachten, überhaupt aus den Kriegen in Althellas nur ausnahmsweise resultierten, so ist jedenfalls auch eine besonders starke Zunahme der Landwirtschaftssklaven nicht sehr wahrscheinlich. Von den 20000 Sklaven, die während des dekeleischen Krieges entliefen, heißt es ausdrücklich, daß ein großer Teil Handwerker gewesen sei (wozu noch die Haussklaven treten) und vollends nach dem peloponnesischen Kriege war die Zeit reichlicher Sklavenzufuhren wenigstens für Athen zunächst wohl vorbei. Daß der Sklavenverlust des dekeleischen Krieges nicht vornehmlich als ein solcher der Landwirtschaft angesehen wurde, darf wohl aus den Aeußerungen Xenophons in seinem bekannten Finanzvorschlag geschlossen werden. Aus seiner »Oekonomie« – die freilich wohl nicht spezifisch attische Zustände, sondern einen idealen Typus von hellenischer Gutswirtschaft schildert (sein eigenes Landgut lag im Peloponnes) – geht andererseits hervor, daß selbstredend auch auf dem Lande die Sklaven normale Arbeitskräfte waren. Xenophon (der von der Technik des Ackerbaues allerdings kaum mehr verstand, als ein preußischer Offizier a. D., der ein Rittergut übernimmt) spricht von gar keinen anderen Arbeitern, und daß auch Feldsklaven ge- und vermietet wurden, ist zweifellos. Der (unfreie oder vielleicht auch freigelassene) ἐπίτροπος soll nach Xenophon von Gewinnstreben beseelt sein, wird also offenbar vom Herrn am Gewinn interessiert. Die Sklaven soll man durch gutes Essen und Getränk und bessere Kleidung für die Tüchtigsten zu interessieren suchen (woraus, ebenso wie aus dem Ausdruck οἰκέται, hervorgeht, daß sie als familienlos und ganz in der Menage des Herrn befindlich anzusehen sind). Vor allem solle man sich auch selbst um den Gang der Wirtschaft kümmern. Daß dies letztere im ganzen nur etwa ebenso wie zu Catos Zeit geschah, d.h. nur in Form gelegentlicher Rechnungskontrolle, geht aus anderen Bemerkungen Xenophons selbst hervor. Alles klingt überhaupt ähnlich wie bei Cato, nur daß die Verhältnisse offenbar weit kleinere und einfachere sind als auf den römischen Gütern selbst zu Catos Zeit. Daß die Römer manche technische Ausdrücke der Großsklavenwirtschaft (so die Bezeichnung: »instrumentum vocale« = »ὄργανον ἔμψυχον«) von den Hellenen entlehnt haben, beweist für die klassische Zeit nichts: das Sizilien der hellenistischen Zeit dürfte die Quelle dafür sein. In klassischer Zeit war nur Chios (Großhandel, Sitz der größten griechischen Vermögen, Oel- und Weinkultur) ein Land mit massenhafter Kaufsklavenverwendung und (schon seit dem 7. Jahrhundert!) Sklaven aufständen, wie Rom. Eine starke Expansion ländlicher Sklaven großbetriebe ist für Attika also nicht wahrscheinlich. Sklaven arbeiteten in Attika, wie die Komödie ergibt, auch als Arbeiter der Bauern mit diesen auf dem Felde nach alter patriarchalischer Art: – das war ja schon militärisch schwer vermeidlich –15 um große Zahlen hat es sich dabei erst recht nicht gehandelt. Die Landwirtschaft war überhaupt damals kein vom Kapital begehrtes Anlageobjekt. Man beschuldigte sie oft genug (Xenoph. Oik., Einleitung) ruinös zu sein. Wie oft der spekulative Ankauf von Land zu Meliorationszwecken und zum nachherigen Wiederverkauf praktisch vorkam, bleibt dahingestellt: es kennzeichnet die damalige »kaufmännische« Auffassung, daß ein Reaktionär wie Xenophon diese Art von Bodenspekulation empfiehlt. Auf die Rentabilität des Bodenbaues mußten in Attika s.Z. die Ausfuhrverbote für alle landwirtschaftlichen Produkte außer Oel ziemlich stark gedrückt haben. Vielleicht drehte sich der Interessenkampf im 6. Jahrh. auch um diese Begünstigung der »πεδία«. Das
Автор: | Max Weber |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Документальная литература |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9788027210534 |
speziell aus dem Seehandel. Die Entwicklung des privaten Sklavenbesitzes hängt in der klassischen Zeit ebenso am Außenhandel, wie einst in der Frühzeit die Entwicklung der königlichen Fron-Oiken. Die rechtlich privilegierte Stellung der Ex- und Importeure, insbesondere die Aufrechterhaltung der Schuldhaft für ihre, und zwar außer für Forderungen des Staates, im wesentlichen nur ihre Forderungen, und die schleunige Sondergerichtsbarkeit in Handelssachen zeigt genugsam die beherrschende Stellung, die sie einnahmen. Diese beherrschende Bedeutung des Seehandels für die Vermögensbildung ist – wie wiederholt betont sei – keine Instanz gegen das, was von seiner quantitativen Beschränktheit gesagt wurde. Man muß an die Kleinheit der »Kulturzonen« und den Küstencharakter der Kultur, weiter aber auch daran denken, daß diese Geldvermögen und jener kapitalistische Verkehr in der »klassischen« Zeit sozusagen »Lichtungen« in einem traditionalistischen Dickicht waren. Denn fast ganz unvermittelt steht der Kapitalismus mit seinen Verkehrsformen neben den Residuen ferner Vergangenheit. Nicht nur in der nächsten geographischen Nachbarschaft, sondern innerhalb der Stadt selbst. Die ἔρανοι z.B. – durch Subskriptionslisten zusammengebrachte zinslose Darlehen an Mitbürger, die in Not sind, – spielen noch durch die ganze hellenistische Zeit hindurch und bis ans Ende des Altertums (wie das römische »mutuum«) ihre äußerst wichtige Rolle (auch christliche Anschauungen knüpfen daran vielleicht an), ganz wie in der Zeit der Herrschaft der primitiven »Nachbarhilfe« der Bauern. Daß die ἔρανοι ursprünglich keine Gegenseitigkeits gesellschaften waren, ist erwiesen. Die »Gegenseitigkeit« (die das Wort »mutuum« doch klar ausdrückt) liegt nicht in einer rechtlichen Assoziation, sondern in der urwüchsigen Bauern- und Kleinbürger-Ethik, welche »unter Brüdern« unentgeltliches Leihen fordert mit dem Vorbehalt: »wie du mir, so ich dir« und umgekehrt14. Niemals ist im Altertum in diesen Unterschichten vergessen worden, daß, gegenüber dieser ältesten »ökonomischen Moral«, der Zins ebenso Fremden- und Herren-Recht war wie (im Orient) das »Diensthaus des Pharao«: die Bureaukratie. Der russische Bauer steht darin noch heute am reinsten auf antikem Boden.