Gesammelte Beiträge von Max Weber. Max Weber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Max Weber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788027210534
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und deshalb Wehrlosen beschränkt, konnten sie auch für einen verarmten Gemeinfreien, wenn nicht rechtlich notwendig, doch immer rätlich werden. Aber oft muß der Druck noch wesentlich schwerer gewesen sein. Die immerhin erstaunliche Mächtigkeit der Burgenbauten jedenfalls kann nur durch gewaltige Anspannung der Fronarbeit einer von den Burgen aus militärisch völlig beherrschten ländlichen Bevölkerung erklärt wer den. – Oekonomisch ruhte diese Uebermacht ursprünglich sicherlich auch hier auf der Teilnahme der Herrscher als solcher am überseeischen Verkehr: Die Bildung burgensässiger Fronherrscher schritt offenbar von der Küste aus ins Binnenland hinein fort. Der Verkehr war zunächst wohl ein monopolisierter Passivhandel mit den die Küste besuchenden Orientalen, wurde allmählich aber zum Eigenhandel und führte im Verfolg desselben zu überseeischen Kriegsfahrten und schließlich dauernden Okkupationen nach Art der Normannen, und zu kolonialer Expansion. Der Export »mykenischer« Schmiede- und Töpferarbeiten z.B. lag wohl zweifellos, wie anfänglich auch im Orient, in der Hand des Königs selbst, dessen um die Burg herum angesiedelte Fröner die Waren für ihn herstellten, – wie denn später eine oft zitierte kyrenäische Vase den dortigen König beim Abwägen von Silphion wohl nicht in der Funktion als Kontrolleur des Handels, sondern als Eigenhändler zeigt4). Dieser Tauschverkehr füllt die Schatzkammern und Gräber der dünnen Herrscherschicht mit Gold, bringt ihnen das linnene orientalische Gewand, den Chiton, und differenziert ihre Genossen in ihren Bedürfnissen und ihrer Lebenshaltung gegenüber der waffenungeübten Masse des platten Landes. Die »staatlichen« Verhältnisse sind dementsprechend. Es finden sich – im »mykenischen Reich« – ziemlich umfassende Staatenbildungen, allerdings wohl stets nur in der Form einer Anhäufung feudaler Burgenherrschaften in der Hand eines Oberkönigs: Agamemnon bietet Achilleus die Belehnung mit der Herrschaft über eine Anzahl von »Städten« an unter Hinweis auf den günstigen Viehstand ihrer Umwohner (als der wichtigsten Tributquelle). In Klientel genommene Besitzlose und Landfremde bilden den »feudalen«, schuldversklavte Gemeinfreie den »kapitalistischen« Bestandteil der vom Burgadel persönlich abhängigen Menschenkategorien, wozu als Kriegsbeute und, zunehmend, durch Kauf erworbene Sklaven treten. Die Klienten werden in älterer Zeit und dauernd bei dem burgsässigen Landadel, die Schuld- und Kaufsklaven in späterer Zeit und an den Küstenplätzen überwogen haben5.

      Die Kolonisation dieser Frühzeit hat gleichfalls einen durch die Verbindung des Feudalismus mit dem Handel gegebenen Charakter: sie ist »Ackerbaukolonisation« nur insofern, als eben eine beherrschte Bauernschaft als Unterlage der zu gründenden πόλις offenbar notwendig ist, – die »Geschlechter« aber, welche diese in der Hand haben, wollen ebenso wie die Fürsten des Mutterlandes auch am Verkehr gewinnen. Dagegen ist es nicht sehr wahrscheinlich, daß die Kolonisation der kleinasiatischen Küste als ganz »allmähliche« Faktoreikolonisation (wie die phönikische) sich vollzogen habe, wie E. Meyer s.Z. annahm. Von Grundzinsleistung (wie bei Karthago) an die Eingeborenen ist nichts bekannt, umgekehrt herrscht der erobernde Adel zum Teil offenbar sogar von Einzelburgen aus, wie im Mutterlande. Am ehesten könnte man noch mancher der (späteren) korinthischen Kolonien, speziell Epidamnos (gegr. 627), wo die Oligarchie den Handel mit dem Binnenland durch einen πωλήτης auf gemeinsame Rechnung betrieb, diesen »Faktorei«-Charakter beimessen, der schwerlich generell zutrifft.

      Allerdings aber hängt die Kolonisation zweifellos zusammen mit dem Uebergange von Passivhandel zum Aktivhandel, zum eigenen Schiffsbesitz, zur Aufsuchung der fremden Märkte durch hellenische Seefahrer, und gehört damit in den großen Umgestaltungsprozeß, der die Eigenart der hellenischen Kultur begründete. Die entscheidende Wendung der hellenischen Sozialgeschichte ist die Entwicklung des kriegerischen Städtepartikularismus und damit des charakteristischen Typus der »Polis«, im Gegensatz zu dem Verlauf im Orient, wo das Königtum auf der Basis der Stadtherrschaft die bureaukratische Territorial- und schließlich »Welt«-Monarchie entwickelte. Entscheidend für die abweichende orientalische Entwicklung waren (s. oben) zweifellos namentlich die Bewässerungsbedürfnisse, der enge Zusammenhang der ganzen städtischen Existenz mit den Kanalbauten, den Flußregulierungen und der kontinuierlichen Wasserkontrolle, welche die Existenz einer einheitlich geleiteten Bureaukratie forderten. Außerdem aber die aus der Unverrückbarkeit der einmal geschaffenen Existenzbedingungen und der strengen Bindung des Einzelnen an die Gemeinwirtschaft sich ergebende Herrschaft der religiösen Tradition über das Leben und die politische Macht der Priesterherrschaft. Endlich die stets wiederkehrende Knechtung der Flußkulturländer durch bald arabische, bald iranische Fremdherrscher, welche zur dauernden Entwaffnung und Entnationalisierung führten. So wuchs hier aus den Tisch- und Waffengenossen des Stadtkönigs die rein königliche, bureaukratisch equipierte, verproviantierte und deshalb auch geleitete Armee, aus der immer universeller werdenden Königsklientel die königliche Bureaukratie heraus, und weiter aus dem Kampfe dieser bureaukratischen Schöpfungen die erste »Weltmacht«: die Assyrerherrschaft. Umgekehrt schrumpfen in Hellas die Gefolgschaften der Burgkönige: – erst in den Tischgenossen der erobernden Makedonenherrscher leben sie als politischer Faktor wieder auf. Damit sinkt die ganze Position der Herrscher, und es beginnt eine Entwicklung, welche in ihrem Endergebnis, im Beginn der »klassischen« Zeit, die Wehrpflicht und mit ihr die politische Macht in die Hände der selbständigen, sich selbst equipierenden Ackerbürger gleiten und damit zugleich jene rein weltliche Kultur erstehen läßt, die das Hellenentum charakterisiert und die auch der kapitalistischen Entwicklung ihr vom Orient verschiedenes Gepräge verleiht. Die Anfänge dieser Wandlungen und meist auch ihr Verlauf sind in Dunkel gehüllt, auch sind ihr Hergang und Resultat in den einzelnen Partikularstaaten äußerst verschiedene. Wenn man die homerischen Könige des rossefrohen Lakedaimon mit ihren Schatzkammern, die für diebische Gastfreunde ebenso verführerisch sind wie ihre Weiber, mit dem spartiatischen Hoplitenstaat und seinem völligen Fehlen jeder Reiterei vergleicht, dem der Besitz von Edelmetall als das spezifisch Verwerfliche gilt: das Fehlen der befestigten Stadtburg, den jährlichen Schwur der vom Heer gewählten Ephoren, das Königtum nicht anzutasten, wenn die Könige ihrerseits schwören, nicht in die überkommenen Institutionen des Heeres einzugreifen –, dann kann man nicht daran zweifeln, 1. daß es sich hier um einen Zustand handelt, der irgendwann durch Kompromiß der Könige mit dem Heer absichtsvoll geschaffen wurde, und 2. daß diese Umwandlung zusammenhing teils mit dem Aufstieg des disziplinierten (statt des Einzel-) Kampfes mit (eisernen!) Nahewaffen (statt bronzener Wurfspeere und Pfeile), zum ändern Teil mit dem Sinken der politischen Bedeutung des königlichen »Hortes«. Im Orient bleibt bei allen Herrschern, auch in der Perserzeit, die Fürsorge für den »Hort« und sein Schicksal ganz ebenso im Vordergrund wie etwa bei den Nibelungenkönigen. An dem thesaurierten Edelmetall, welches der Belohnung der Dienste der Gefolgschaft und der Anwerbung von Söldnern im Notfall dient, ist immer ein erheblicher Teil ihrer Machtstellung verankert. Die »Horte« der hellenischen Burgenkönige nun waren Produkte der Beziehungen zu den orientalischen Großstaaten. Es wird wohl mit Recht angenommen, daß der Zerfall dieser Großstaaten gegen das Ende des zweiten Jahrtausend die Ursache des Sinkens auch der mykenischen Kultur gewesen sei, obwohl freilich vielleicht die abweichenden geographischen Bedingungen ohnehin den Sieg des Partikularismus in Hellas auf die Dauer stark genug begünstigt hätten. Jedenfalls ist das absolute Sinken der ökonomischen Machtstellung des Königtums in dem Schwinden des orientalischen Prunkes deutlich sichtbar. Damit allein schon war die Möglichkeit einer Entwicklung der Klientel des Königs zu einer königlichen »Bureaukratie« unterbunden und die Ansätze der Großstaatentwicklung gebrochen. Noch erheblicher mußte aber relativ dies Sinken der alten Königsgeschlechter ins Gewicht fallen, da sich zweifellos inzwischen soziale Schichten entwickelt hatten, welche in ihrer ökonomischen Lage dem Königtum Konkurrenz machten. Das Reisläufertum, welches namentlich für das pharaonische Heer sich aus dem ganzen Mittelmeer bis Sardinien rekrutierte, hat vielleicht zuerst in Hellas eine bemittelte und kriegerisch trainierte Schicht geschaffen, die sozial unabhängig vom Königtum war und bei den Wikingerzügen und kolonialen Okkupationen keine geringe Rolle gespielt haben dürfte. Aber auch die Kampfgenossen des Königs mußten sich, ganz ebenso wie im Merovingerreich, um so schneller zu einer mit Land ausgestatteten, vom König faktisch emanzipierten, weil sich selbst ausrüstenden Kriegerschaft entwickeln, je geringer die Bedeutung des königlichen »Hortes« wurde. Als die Beutelust der Helden der hellenischen Burgkönige den Schiffsverkehr zu überseeischen Aventiuren zu benutzen