»Nicht doch, mein Kind«, antwortete der Vater. »Nachdem ich mir die Landschaft ungefähr eine Stunde mit dem gemischten Gefühl der Freude und der Einsamkeit betrachtet hatte, verließ ich meine Vogelstange und ging wieder den Berg hinab. Ich ließ mein Pferd an den Zweigen weiden, die es erreichen konnte, während ich die Ufer des Sees und die Gegend untersuchte, wo jetzt Templeton steht. Wo jetzt meine Wohnung liegt, befand sich eine Fichte von ungewöhnlicher Größe. Eine Windlichtung hatte sich von da aus bis an den See hin Bahn gebrochen, und meinem Auge stellten sich nur wenig Hindernisse in den Weg. Unter den Zweigen jenes Baumes nahm ich mein Mahl ein und war eben damit fertig geworden, als ich in der Nähe des östlichen Seeufers unter dem Berg Rauch aufsteigen sah. Dies war die einzige Spur von der Nähe eines Menschen, welche ich bisher entdeckt hatte. Ich brach mir mühsam Bahn bis zu der Stelle, wo das Feuer brannte, und fand daselbst am Fuß eines Felsens eine rauhe Blockhütte, in welcher sich auch Spuren des Bewohntseins vorfanden, obgleich ich keinen Insassen sehen konnte.«
»Es war Lederstrumpfs Hütte«, sagte Edwards rasch.
»Ganz recht, ich hielt sie jedoch anfangs für eine Indianerwohnung. Aber während ich mich noch an der Stelle befand, kam Natty, wankend unter der Last eines Bockes, den er geschossen hatte, zurück. Damals begann unsere Bekanntschaft: früher hatte ich nie gehört, daß die Wälder von einem solchen Wesen bewohnt würden. Er machte seinen Rindenkahn los und ruderte mich nach dem untern Teil des Sees hin zu der Stelle, wo ich mein Pferd angebunden hatte, indem er mich zugleich auf einen Ort aufmerksam machte, wo das Tier bis zum Morgen eine spärliche Weide finden konnte. Sodann kehrte ich zurück und brachte die Nacht in der Hütte des Jägers zu.«
Miss Temple war von der gespannten Aufmerksamkeit, welche der junge Jäger diesen Worten lieh, so betroffen, daß sie ihre Frage wiederaufzunehmen vergaß. Der junge Jäger aber setzte das Gespräch fort, indem er fragte:
»Und wie entledigte sich Lederstrumpf der Obliegenheiten eines Wirtes. Sir?«
»Na ja, einfach aber freundlich, bis spät in die Nacht hinein. Als er jedoch meinen Namen und meine Absicht erfuhr, minderte sich seine Zutraulichkeit sichtlich oder verschwand, wie ich lieber sagen möchte, ganz und gar. Er betrachtete, glaube ich, die Übersiedlung von Auswanderern als einen Eingriff in seine Rechte; denn er zeigte sich sehr unzufrieden über unsere Maßregeln, – freilich nur in seiner verwirrten und zweideutigen Weise. Ich verstand seine Einwürfe nicht ganz, aber ich vermutete, daß sie sich hauptsächlich auf eine Störung seiner Jagd bezogen.«
»Hatten Sie damals den Grund und Boden schon angekauft, oder besichtigten Sie ihn nur mit der Absicht zu kaufen?« fragte Edwards etwas abgebrochen.
»Er war schon seit mehreren Jahren mein Eigentum, und ich untersuchte den See, weil ich dort eine Ansiedlung zu gründen gedachte. Natty behandelte mich, nachdem er den Zweck meiner Reise erfahren, zwar gastfreundlich, aber mit Kälte. Gleichwohl überließ er mir jene Nacht seine eigene Bärenhaut, und am andern Morgen vereinigte ich mich wieder mit meinen Begleitern.«
»Sprach er nichts von den Rechten der Indianer, Sir? Lederstrumpf ist stets geneigt, das Recht der Weißen auf den Besitz dieser Gegend zu bestreiten.«
»Ich erinnere mich, daß er diesen Gegenstand zur Sprache brachte; aber ich begriff ihn nicht ganz und habe daher vergessen, was er sagte. Sind doch die Ansprüche der Indianer seit dem Ende des alten Krieges erloschen, und wenn dies auch nicht der Fall wäre, so habe ich die Patente des königlichen Gouverneurs, bestätigt durch eine Akte unserer eigenen Gesetzgebung, so daß kein Gerichtshof des Landes meine Rechte bestreiten kann.«
»Ohne Zweifel ist Ihr Anspruch ebenso gesetzlich wie gerecht, Sir«, erwiderte der Jüngling kalt, indem er sein Pferd zügelte und schweigend zurückblieb, bis die Unterhaltung einen andern Gegenstand berührte.
Es war selten, daß Herr Jones ein Gespräch solange fortgehen ließ, ohne sich selbst auch darein zu mischen. Wahrscheinlich gehörte er damals gleichfalls zu Richter Temples Begleitung; denn er griff die gelegentliche Pause, welche durch den Rückzug des jungen Edwards veranlaßt wurde, begierig auf, um die Unterhaltung fortzuführen und das, was weiter geschehen, in seiner eigenen Weise zu erzählen. Da jedoch seine Schilderungen nicht so interessant waren wie die des Richters, so unterlassen wir es, sie zu Papier zu bringen.
Bald war die Stelle erreicht, wo die verheißene Merkwürdigkeit zu sehen war. Es war eine jener malerischen und eigentümlichen Naturszenen, die dem Otsego eigen sind; um sich jedoch ihrer ganzen Schönheit erfreuen zu können, hätte die eisige Verödung durch die Weichheit einer Sommerlandschaft ersetzt werden müssen. Marmaduke hatte seiner Tochter vorausgesagt, die Starrheit des Winters werde den Eindruck der Aussicht stören; nachdem man sie nur flüchtigen Blickes betrachtet hatte, kehrte die Gesellschaft wieder nach Hause zurück, vollkommen überzeugt, daß sich wohl die Mühe eines zweiten Ritts zu einer günstigeren Jahreszeit lohnen dürfte.
»Der Frühling ist in Amerika die trübseligste Zeit des Jahres«, sagte der Richter, »und dies gilt namentlich hier von diesen Bergen. Der Winter scheint sich in diese Verschanzungen gleichsam wie in eine Zitadelle seines Herrschaftsgebietes zurückzuziehen, aus der er sich nur nach einer langen Belagerung, in der jede Partei bisweilen den Sieg davonzutragen scheint, austreiben läßt.«
»Ein sehr passender Vergleich, Richter Temple«, bemerkte der Sheriff, »und die Garnison unter Jack Frosts Kommando macht verzweifelte Sorties – Sie wissen, was man unter Sorties versteht, Monsieur: Ausfälle in unserer Sprache – und treibt bisweilen den General Lenz und seine Truppen wieder nach dem Küstenland zurück.«
»Ja, Sir«, entgegnete der Franzose, dessen hervortretende Augen die unsicheren Tritte des Tieres, das er ritt, bewachten, wie es seinen gefährlichen Weg suchte über Baumwurzeln, Löcher, Holzbrücken und Moräste, aus denen die Landstraße bestand. – » Je vous entends; die Küstenland is gefror für der halb Jahr.«
Monsieur Le Quois Irrtum wurde von dem Sheriff nicht beachtet, und der Rest der Gesellschaft begann bereits den Einfluß der veränderlichen Jahreszeit zu fühlen; denn die kälter werdende Luft tat kund, daß eine anhaltend milde Witterung sobald noch nicht zu erwarten sei. Ein gedankenvolles Schweigen folgte der heiteren Unterhaltung, die während des ganzen Spazierritts stattgefunden hatte, da sich jetzt aus allen Richtungen Wolken am Himmel aufzutürmen begannen, die in rascher Bewegung forttrieben, ohne daß man gerade den Einfluß eines Windes verspüren konnte.
Während sie über eine der gelichteten Anhöhen ritten, die auf ihrem Wege lag, machte der Richter Temple seine Tochter darauf aufmerksam, daß ein Sturm herannahe. Schneegestöber verdüsterten bereits das Gebirge, welches die Nordgrenze des Sees bildete, und die behagliche Wärme, die den Umlauf des Blutes beschleunigt hatte, wich bereits dem erkältenden Einfluß eines bevorstehenden Nordwest.
Die ganze Gesellschaft beeilte sich nun, so gut sie konnte, um nach dem Dorf zu kommen, obgleich die schlechten Wege sie nicht selten nötigten, die Ungeduld der Tiere zu zügeln, die sie oft an Stellen führte, wo man nur Schritt reiten konnte.
Richard, dem Monsieur Le Quoi folgte, war fortwährend der Vorderste; nach ihnen kam Elisabeth, welche durch die Zurückhaltung angesteckt zu sein schien, die sich in dem Benehmen des jungen Edwards aussprach, seit er sein Gespräch mit ihrem Vater so rasch abgebrochen hatte. Marmaduke ritt hinter seiner Tochter, indem er ihr oft wohlmeinende Winke für die Behandlung ihres Pferdes gab. Vielleicht war es Miss Grants augenscheinliche Hilfsbedürftigkeit, was den jungen Mann veranlaßte, während des Ritts durch den trübseligen dunklen Wald, wo kaum ein Sonnenstrahl durchdringen konnte, und wo selbst der Tag durch den düstern, unabsehbaren Forst verdunkelt wurde, an ihrer Seite zu bleiben. Der Wind hatte die Stelle, auf der sich unsere Gesellschaft bewegte, noch nicht erreicht; aber die Totenstille, die oft einem Sturme vorhergeht, machte ihre Lage noch beklemmender, als wenn er bereits zu wüten angefangen hätte. Plötzlich hörte man die Stimme des jungen Edwards in jenen erschreckenden Tönen rufen, die einen in tiefster Seele aufschrecken und das Blut der Hörer gerinnen machen:
»Ein Baum! ein Baum! die Peitsche – den Sporn – so lieb Euch Euer Leben ist! – Ein Baum! ein Baum!«