John horchte achtungsvoll auf den Geistlichen und streckte, als derselbe ausgesprochen hatte, seinen Arm aus, indem er mit Nachdruck die Worte sprach:
»Er ist unschuldig – mein Bruder hat nicht so tun wollen.«
Marmaduke ergriff die dargebotene Hand des andern mit einem Lächeln, welches zeigte, daß er ihm den Argwohn, sosehr er ihn auch gekränkt haben mochte, nicht nachzutragen gedenke, während der verwundete Jüngling mit einer Teilnahme, die sich unverkennbar in seinen Zügen aussprach, bald auf seinen roten Freund, bald auf seinen Wirt blickte. Der Friede war indes kaum wiederhergestellt, als sich John anschickte, das Geschäft, um dessen willen er gekommen, auszuführen. Doktor Todd war weit entfernt, einen Verdruß über diesen Eingriff in seine Rechte an den Tag zu legen, sondern machte dem neuen Arzt mit einer Miene Platz, welche seine Bereitwilligkeit ausdrückte, der Laune seines Patienten nachzugeben, da doch einmal der wichtigste Teil seines Amtes beendigt und nichts mehr zu tun übrig war, als was ein jedes Kind hätte ausführen können. Er flüsterte dies auch Monsieur Le Quoi mit den Worten ins Ohr:
»Ein Glück, daß die Kugel herausgezogen war, ehe dieser Indianer kam; jetzt kann jedes alte Weib die Wunde verbinden. Der junge Mann wohnt, dem Vernehmen nach, bei John und Natty Bumppo, und es ist immer das beste, sich in die Grillen eines Patienten zu fügen, sofern es ohne Nachteil geschehen kann – ich sage ohne Nachteil, Monsieur.«
»Certainement«, entgegnete der Franzose, »Sie schein serr glücklich, Monsieur Todd, in Ihr pratique. Ich denk, die alt dame könnt serr wohl beendigen, was Sie so geschickt angefang.«
Richard hatte übrigens im Grunde doch eine große Verehrung für Mohegans Kenntnisse, zumal in der Behandlung äußerlicher Verletzungen; er unterdrückte daher seinen Wunsch, sich eine wichtige Beteiligung bei der Operation beizulegen, und näherte sich dem Indianer mit den Worten:
»Schön, schön, mein hebet Mohegan, es freut mich recht, daß du hierher kommst. Ich liebe einen regelmäßigen Arzt wie den Doktor Todd, wo es gilt, ins Fleisch zu schneiden, und einen Eingeborenen, wo es an das Heilen der Wunde geht. Erinnerst du dich noch der Zeit, John, wo ich und du den Knochen von Natty Bumppos kleinem Finger einrichteten, den er beim Sturz von dem Felsen gebrochen hatte, als er versuchte, das auf die Klippen gefallene Rebhuhn zu holen? Es ist mir noch immer nicht klar, ob ich oder Natty den Vogel schoß. Er feuerte zuerst, und der Vogel duckte, kam aber wieder auf, als ich den Drücker rührte. Jedenfalls würde ich die Ehre beansprucht haben, wenn nicht Natty gesagt hätte, das Loch sei zu groß für Schrot, und er habe aus seiner Büchse nur eine einzige Kugel abgefeuert; dies ist aber noch kein Beweis, denn das Gewehr, welches ich damals hatte, zerstreute seine Ladung nicht, und ich habe es schon beim Scheibenschießen ein Loch, gerade wie das einer Büchsenkugel, durch ein Brett bohren sehen. Soll ich dir helfen, John? Du weißt, ich habe einiges Geschick in solchen Dingen.«
Mohegan hörte diese Auseinandersetzung ruhig an. Als Richard geschlossen hatte, hielt er ihm das Körbchen hin, in welchem sich seine Arzneikräuter befanden, indem er ihm durch eine Handbewegung zu verstehen gab, daß er es halten möchte. Herr Jones fügte sich bereitwillig in diesen Dienst, und sooft er nachher von diesem Falle sprach, pflegte er zu sagen: »Doktor Todd und ich schnitten die Kugel heraus, und ich und Indianer John verbanden die Wunde.«
Der Patient konnte allerdings unter Mohegans Händen viel eher so heißen als zuvor, da er unter denen des Doktors zu leiden gehabt hatte. In der Tat gab ihm der Indianer wenig Anlaß zu einer Geduldsprüfung, denn da er gehörig vorbereitet kam, so war der Verband bald angelegt; die Mittel, die er dabei anwendete, bestanden nur aus etwas zerquetschter Baumrinde, die mit dem Saft einiger ausgepreßter Waldpflanzen angefeuchtet war.
Unter den eingeborenen Bewohnern der amerikanischen Urwälder gab es immer zwei Klassen von Ärzten, von denen die einen vermittelst übernatürlicher Kräfte zu heilen vorgaben und daher in weit größerem Ansehen standen, als durch die Erfolge ihrer Kunst gerechtfertigt wurde, während die anderen in der Tat mit einer großen Geschicklichkeit in Linderung der gewöhnlichen üblen Zufälle, die dem Menschen begegnen, begabt waren, wobei sie sich namentlich, wie Natty sagte, in der Heilung von Hieb-und Quetschwunden auszeichneten.
Während John und Richard den Verband anlegten, durchspähte Elnathan wißbegierig den Inhalt von Mohegans Korb, welchen Herr Jones in seinem Diensteifer dem Doktor übergeben hatte, um selbst das eine Ende der Bandage halten zu können. Er entdeckte darin einige Bruchstücke von Holz und Rinde, welche er ganz kaltblütig einsteckte, wahrscheinlich in der Absicht, diese Aneignung ganz mit Stillschweigen zu übergehen, wenn er nicht dabei dem vollen blauen Auge Marmadukes begegnet wäre, der seine Bewegungen beobachtete. Er flüsterte daher dem Richter zu:
»Es kann nicht in Abrede gezogen werden, Richter Temple, daß die Wilden in den untergeordneten Teilen der Arzneikunst manche Kenntnisse besitzen. Derartige Dinge sind durch Tradition auf sie gekommen, und zumal was den Krebs und die Wasserscheu anbelangt, so haben sie es da außerordentlich weit gebracht. Ich will diese Rinde mit nach Haus nehmen und sie untersuchen; denn obgleich sie für die Schulter des jungen Mannes keinen Pfennig wert sein kann, so dient sie doch vielleicht gegen Zahnweh, Rheumatismen oder sonstige Beschwerden. Der Mensch sollte sich nie des Lernens überheben, und wäre es auch nur von einem Indianer.«
Es war ein Glück für Doktor Todd, daß seine Grundsätze so liberal waren; denn ihnen und seiner Praxis hatte er ausschließlich alle seine Kenntnisse zu verdanken, und auf diese Weise war er nachgerade instand gesetzt worden, sein Gewerbe als ein respektierter Heilkünstler zu treiben. Der Prozeß, welchem er später das entwendete Arzneimittel unterwarf, harmonierte jedoch nicht besonders mit den gewöhnlichen Regeln der Chemie; denn statt der Analyse komponierte er vielmehr die verschiedenen Teile von Mohegans Spezifikum, wodurch es ihm möglich wurde, den Baum zu erkennen, von welchem es der Indianer genommen hatte.
Etwa zehn Jahre nach diesem Ereignis, als die Zivilisation wirklich mit reißender Schnelle um sich gegriffen hatte, ereignete sich in den Ansiedlungen unter diesen wilden Bergen ein Ehrenhandel, bei welcher Gelegenheit Elnathan auf die Wunde, welche die Folge desselben war, eine Salbe anwandte, die ganz wie die damals von Mohegan gebrauchte Rinde oder Wurzel roch. Abermals zehn Jahre später, als England und die Vereinigten Staaten sich aufs neue bekriegten und die Truppen des Westens von Neuyork ins Feld zogen, begleitete Elnathan, vermutlich infolge des Rufs, den er den beiden Operationen verdankte, den Troß einer Milizbrigade als Regimentswundarzt.
Sobald Mohegan die Rinde aufgelegt hatte, überließ er bereitwillig Richard die Nadel und den Faden, um die Bandagen zusammenzunähen, da dies Dinge waren, mit denen der Eingeborene nicht sonderlich umzugehen wußte; er trat daher mit ernster Würde zurück und wartete die Beendigung des Geschäfts durch einen anderen ab.
»Gebt mir die Schere«, sagte Herr Jones, nachdem er die Bandage in jeder möglichen Richtung um das verletzte Glied geschlungen und endlich mit seinem Geschäft zustande gekommen war, »gebt mir die Schere; denn hier ist ein Faden, der abgeschnitten werden muß; er könnte sonst unter den Verband geraten und die Wunde entzünden. Siehst du, John, ich habe Scharpie zwischen zwei Leinwandlagen angebracht; denn wenn schon die Rinde sicherlich das Beste für das Fleisch ist, so tut doch die Scharpie gute Dienste, um die Kälte von der Wunde abzuhalten. Wenn von einer Scharpie etwas zu hoffen ist, so ist es von dieser; ich habe sie selbst gezupft und nehme es in diesem Geschäft mit jedem im ganzen Patent auf. Wenn einer weiß, wie man damit umzugehen hat, so muß ich’s wissen; denn mein Großvater war ein Doktor und auch mein Vater hatte eine natürliche Anlage für die Heilkunst.«
»Hier, Squire, ist die Schere«, sagte Remarkable, indem sie ein geschwärztes derartiges Instrument aus den Falten ihres grünen Wollmoirékleides hervorbrachte. »In der Tat, Sie haben die Fetzen so hübsch wie ein Frauenzimmer zusammengenäht.«
»So hübsch wie ein Frauenzimmer?« wiederholte Richard unwillig. »Was wissen Weiber von solchen Dingen? Ihr selber gebt mir da den Beweis für die Wahrheit meiner Worte. Wer hat