Cora winkte ihm mit einer Bewegung des Abscheu’s, den sie nicht zu unterdrücken vermochte, sich zu entfernen. »Verlaß mich!« sprach sie mit einer Feierlichkeit, die für einen Augenblick sogar die Wildheit des Indianers zurückdrängte; »du mischest Bitterkeit in meine Gebete; du stehst zwischen mir und meinem Gott!«
Der leichte Eindruck, den sie auf den Wilden machte, war jedoch bald vorüber und er fuhr mit bitterem Hohn, auf Alice deutend, fort:
»Sieh!« sprach er, »das Kind weint! Sie ist noch zu jung zum Sterben! Schicke sie zu Munro, ihm die grauen Haare zu kämmen und Leben in dem Herzen des alten Mannes zu erhalten.«
Cora konnte dem Verlangen nicht widerstehen, auf die jugendliche Schwester zu schauen, in deren Auge sie einem flehenden Blicke begegnete, der Liebe zum Leben verrieth.
»Was sagt er, liebste Cora? fragte Alice mit zitternder Stimme. »Sprach er davon, mich zu unsern Vater zurückzusenden?«
Einige Augenblicke ruhten die Augen der ältern Schwester auf der jüngern, während in ihren Zügen mächtige und mit einander streitende Gefühle kämpften. Endlich sprach sie, obgleich ihre Töne jene reiche, ruhige Fülle verloren hatten, mit einem Ausdruck fast mütterlicher Zärtlichkeit:
»Alice, der Hurone bietet uns beiden das Leben an – ja, mehr noch als dies; er will sogar Duncan – unsern unschätzbaren Duncan sowohl, als dich, unsern Freunden – unsrem Vater – unserem kinderlosen, unglücklichen Vater zurückgeben, wenn ich diesen rebellischen, eigensinnigen Stolz beuge und mich dazu verstehe –«
Ihre Stimme stockte und ihre Hände faltend blickte sie gen Himmel, als suchte sie in ihrer Todesangst Erleuchtung von der Weisheit des Unendlichen.
»Sprich!« rief Alice; »zu was, theuerste Cora? O daß das Anerbieten mir gemacht würde! euch zu retten, den betagten Vater zu trösten! Duncan zu befreien, wie freudig könnte ich sterben!«
»Sterben!« wiederholte Cora mit einer ruhigem und festeren Stimme, »das wäre leicht! vielleicht ist es die Wahl nicht weniger, die er mir läßt. Er wollte von mir haben,« fuhr sie fort, während ihre Stimme unter dem Bewußtseyn des Entehrenden eines solchen Vorschlages sank, »daß ich ihm in die Wildniß folge, mit ihm zu den Behausungen der Huronen gehe und dort bleibe; kurz, daß ich sein Weib werde! Sprich denn, Alice, theures Kind, Schwester meiner Liebe! Und auch Sie, Major Heyward, helfen Sie meiner schwachen Vernunft mit Ihrem Rathe auf. Darf man das Leben mit einem solchen Opfer erkaufen? Willst du es, Alice, aus meiner Hand um solchen Preis empfangen? Und Sie, Duncan, leiten Sie mich! Verfügt über mich! Euch gehöre ich ganz!«
»Wie?« rief der Jüngling voll Unwillen und Erstaunen. »Cora! Cora! Sie spielen mit unsrem Jammer! Sprechen Sie nicht mehr von dieser entsetzlichen Wahl. Der Gedanke schon ist schrecklicher als tausendfacher Tod!«
»Daß Sie so antworten würden, wußte ich!« rief Cora, während ihre Wange erröthete und ihre dunkeln Augen noch einmal von einer Aufwallung erglänzten, wie sie dem Weibe natürlich war. »Was sagt meine Alice? Ihrer Entscheidung will ich mich ohne Murren unterwerfen.«
Beide, Heyward und Cora, horchten mit peinlicher Erwartung und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, aber keine Antwort erfolgte. Es schien, als sey die zarte und gefühlvolle Alice, nachdem sie diesen Vorschlag gehört, vernichtet in sich selbst zurückgesunken. Ihre Arme hingen herab, die Finger bewegten sich in leichten Zuckungen; ihr Haupt war auf ihren Busen gesunken, und ihre ganze Gestalt schien, ohne eigene Kraft, nur durch ihre Bande am Baume aufrecht erhalten zu werden, gleich einem schönen Sinnbilde verwundeten Zartgefühls ihres Geschlechtes, scheinbar ohne Leben und doch noch des Lebens sich bewußt. In wenigen Augenblicken begann jedoch ihr Haupt sich langsam zu bewegen mit dem Zeichen der innersten, unbezwinglichsten Mißbilligung. »Nein! nein! nein! besser, wir sterben, wie wir zusammen gelebt!«
»So stirb’« schrie Magua, seinen Tomahawk mit Ungestüm gegen die wehrlose Sprecherin werfend, zähneknirschend und mit einer Wuth, die er nicht länger bezwingen konnte, über diesen unerwarteten Beweis von Festigkeit in einem Wesen, welches er für das schwächste unter allen gehalten hatte. Die Axt schwirrte an Heyward’s Stirn vorbei, durchschnitt eine von den flatternden Locken Alicen’s und fuhr über ihren Kopf in den Baum. Dieser Anblick brachte Duncan zur Verzweiflung. Mit gewaltsamer Anstrengung sprengte er seine Fesseln und stürzte auf einen andern Wilden, welcher mit lautem Geschrei und besser zielend, einen zweiten Streich zu führen im Begriffe war. Sie faßten sich, rangen, und fielen zu Boden. Der nackte Leib seines Gegners bot Heyward keinen Halt; er entschlüpfte ihm, fuhr ihm mit einem Knie auf die Brust und drückte ihn mit Riesenkraft darnieder. Schon sah Duncan das Messer in der Luft blitzen, als ein zischender Laut an ihm vorbeipfiff und von dem scharfen Knall einer Büchse mehr begleitet als gefolgt ward. Er fühlte sich von der Last, die ihn niedergedrückt hatte, erleichtert, und sah, wie der grimmige Ausdruck in seines Gegners Miene in einen Blick leerer Wildheit überging. Der Indianer sank todt auf die dürren Blätter zu seiner Seite nieder.
Zwölftes Kapitel.
Clown. Ich bin fort, Sir,
Und im Nu, Sir,
Bin wieder ich zurück.
Shakespeare’s heiliger Dreikönigsabend.
Regungslos standen die Huronen bei diesem plötzlichen Eintritte des Todes in ihre Reihen. Als sie aber der verderbenbringenden Sicherheit eines Schusses gedachten, der sich sein feindliches Ziel mit so viel Gefahr für den Freund gewählt hatte, ertönte plötzlich der Ruf: »La longue Carabine« aus Aller Munde, und ein wildes, fast klägliches Geheul ließ sich hören. Ein lautes Geschrei aus einem kleinen Dickicht, wo die Unvorsichtigen ihre Waffen aufgestellt hatten, antwortete, und im nächsten Augenblick stürzte Hawk-eye, zu ungeduldig, die wiedergewonnene Büchse zu laden, auf sie zu, indem er die gewichtige Waffe schwang und die Luft mit weiten und mächtigen Schwingungen durchschnitt. So kühn und rasch aber auch die Bewegungen des Kundschafters waren, so überholte ihn doch die leichte und kräftige Gestalt eines Wilden, welcher mit unglaublicher Behendigkeit und Kühnheit an ihm vorbei mitten unter die Huronen sprang und hier unter furchtbaren Drohungen einen Tomahawk schwingend und ein blitzendes Messer zückend sich vor Cora stellte. Schneller, als der Gedanke diesen unerwarteten und verwegenen Bewegungen folgen konnte, in der unheilbringenden Vollrüstung des Todes, glitt eine Gestalt vor ihren Augen vorbei und stellte sich in drohender Haltung zur Seite des Andern auf. Die wilden Quäler schracken vor diesen kriegerischen Eindringlingen zurück und stiessen bei ihrem Erscheinen den oft wiederholten eigenthümlichen Ruf des Erstaunens aus, auf den die wohlbekannten und gefürchteten Benennungen: Le Cerf agile! Le gros Serpent! folgten.
Aber der schlaue und wachsame Führer der Huronen war nicht so bald außer Fassung gebracht. Mit scharfem Auge um sich blickend, überschaute er die Art des beginnenden Kampfes mit einem Blick, und seine Begleiter durch Stimme und Beispiel ermuthigend, zückte er sein langes, gefährliches Messer und stürzte mit lautem Geheul auf den erwartenden Chingachgook los. Dies war das Signal zu allgemeinem Kampf. Kein Theil hatte Feuergewehre und der Streit mußte auf die tödtlichste Weise, Hand gegen Hand mit Waffen des Angriffs und keinen der Vertheidigung entschieden werden.
Uncas stürzte sich, das Kampfgeschrei erwiedernd, auf einen Feind und zerschmetterte ihm mit einem einzigen, wohlgerichteten Schlage den Schädel. Heyward zerrte Magua’s Waffe aus dem jungen Baume und eilte mit Ungestüm zum Streit herbei. Da die Kämpfenden sich jetzt an Zahl gleich waren, so ersah sich jeder seinen Mann unter den Gegnern aus. Angriff und Streiche folgten sich mit der Wuth eines Wirbelwinds und der Schnelligkeit des Blitzes. Hawk-eye nahm alsbald einen zweiten Feind in den Bereich seines Armes; mit einem Schwunge seiner furchtbaren Waffe