Sobald der Regen nachließ, führte Oliver Elisabeth nach der Straße, wo er sich von ihr trennte. Ehe sie jedoch schieden, ergriff er die Gelegenheit, mit einer Wärme, die das Mädchen jetzt recht wohl zu deuten wußte, zu sprechen:
»Die Zeit des Geheimnisses ist vorüber, Miss Temple. Morgen um diese Zeit werde ich einen Schleier entfernen, den ich so lange um mich und meine Angelegenheiten zu hüllen schwach genug war. Doch wer hat nicht in seiner Jugend, wenn Leidenschaften in seinem Innern wühlen, seine romanhaften und törichten Schwächen? Gott behüte Sie! Ich höre die Stimme Ihres Vaters; er kommt den Weg herauf, und ich möchte jetzt nicht aufgehalten werden. Gott sei Dank, daß Sie gerettet sind! Dieser Gedanke allein wälzt die Last einer Welt von meiner Seele.«
Er wartete nicht auf Antwort, sondern enteilte in den Wald. Obgleich Elisabeth die Stimme ihres Vaters rufen hörte, so blieb sie doch stehen, bis der junge Mann unter den rauchenden Bäumen verborgen war; dann wandte sie sich um, und im Nu lag sie in den Armen ihres vor Angst halb wahnsinnigen Vaters.
Man hatte auf den Ruf, daß die Verlorene gefunden sei, einen Wagen herbeigeschafft, von dem Miss Temple alsbald Gebrauch machte, und die Leute kehrten nach dem Dorf zurück, zwar naß und schmutzig, aber neu belebt durch den Gedanken, daß die Tochter ihres Grundherrn einem so frühen und schrecklichen Ende entronnen sei.
XXXIX
Selictar! Laß des Häuptlings Schwert erblinken!
Tambourgi! Ruf zum Schlachtsignal die Zinken!
Ihr Berge, Zeugen unsres Landens hie,
Ihr seht uns siegreich wieder oder nie!
Byron
Die schweren Gewitterschauer, die den Tag über fielen, taten dem Fortschreiten der Flammen vollständig Einhalt, obgleich man auch in der Nacht noch an verschiedenen Stellen des Berges, wo besonders viel Brennmaterial aufgehäuft war, glimmende Feuer bemerken konnte. Am andern Morgen sah man die Wälder viele Meilen weit schwarz und rauchend und nirgends mehr auch nur eine Spur von Gebüsch oder abgestorbenem Holz; die Fichten und Tannen aber erhoben noch ihre stolzen Häupter auf den Bergen, und auch die kleineren Bäume des Forstes zeigten noch einige Merkmale von Leben und Vegetation.
Das tausendzüngige Gerücht war nach seiner Weise geschäftig gewesen, Elisabeths wunderbares Entkommen noch auszuschmücken, und es ging allgemein die Rede, daß Mohegan wirklich den Flammen zum Raub geworden sei. Man ließ sich diesen Glauben um so weniger nehmen, als sich zu gleicher Zeit die schreckliche Nachricht im Dorf verbreitete, Jotham Riddel, der Bergmann, sei in seinem Loch halb erstickt und derartig versengt gefunden worden, daß für sein Leben wenig zu hoffen sei.
Die Ereignisse der letzten paar Tage waren wohl geeignet, die allgemeine Aufmerksamkeit rege zu erhalten, um so mehr, als die verurteilten Falschmünzer sich den Wink Nattys zunutze gemacht, die Nacht nach dem Brand gleichfalls ihr Holzgefängnis durchbrochen und ihr Heil in den Wäldern gesucht hatten. Solche Neuigkeiten, im Verein mit Jothams Schicksal und den Übertreibungen, die man sich von dem, was sich auf dem Berg begeben, erzählte, waren wohl imstande, die öffentliche Meinung dafür zu stimmen, daß es zweckmäßig sein möchte, diejenigen Flüchtlinge, die noch zu erreichen wären, aufzugreifen. Man sprach von der Höhle als dem geheimen Aufenthaltsort der Schuldigen, und da man die wirren Gerüchte von Erzen und Metallen mit den Falschmünzern in Verbindung brachte, so wähnte die geschäftige Phantasie des Volkes dort den Inbegriff alles Verruchten, was den Frieden der Gesellschaft stören konnte, zu finden. Während sich der große Haufen in diesem Zustand der Aufregung befand, wurden auch Andeutungen laut, daß Edwards und Lederstrumpf den Wald in Brand gesteckt hätten und daß sie daher allein für den Schaden verantwortlich wären. Diese Beschuldigung, welche hauptsächlich durch Leute in Umlauf gesetzt wurde, die durch ihre eigene Unachtsamkeit das Unglück herbeigeführt hatten, fand bald allgemeinen Glauben, und es war nur eine Stimme, daß man versuchen müsse, die Verbrecher zur Strafe zu ziehen, Richard blieb nicht taub bei solchen Bewegungen, und noch desselben Nachmittags schickte er sich allen Ernstes an, sein Amt zu versehen.
Mehrere kräftige junge Männer wurden auserlesen und geheimnisvoll beiseite genommen, um, zwar angesichts der ganzen Dorfbevölkerung, aber außer dem Bereich von deren Ohren, die Aufträge des Sheriffs zu erhalten. Diensteifrig und mit einer Geschäftigkeit, als ob das Schicksal einer Welt von ihrer Tätigkeit abhinge, eilten diese Jünglinge in die Berge, indem sie zugleich so geheimnisvoll taten, als seien sie mit der allerwichtigsten Staatsangelegenheit betraut worden.
Punkt zwölf Uhr wirbelte eine Trommel vor dem ›Kühnen Dragoner‹, und Richard erschien in der Begleitung des Kapitäns Hollister, der sich in seiner Uniform als Kommandant der Templetoner leichten Infanterie präsentierte, um von diesem im Interesse der Gesetzeswahrung ein Aufgebot des Landsturms zu verlangen. Es fehlt uns hier an Raum, um die Reden mitzuteilen, welche bei dieser Gelegenheit von den genannten beiden Ehrenmännern gehalten wurden; sie sind aber aufbewahrt in den Spalten der kleinen blauen Zeitung, die an Ort und Stelle zu finden ist, und sollen der Gesetzeskunde des einen und der militärischen Präzision des andern viel Ehre machen. Man hatte vorläufig bereits alles angeordnet, und da der rotröckige Tambour fortfuhr, seinen Wirbel zu schlagen, so traten bald ungefähr fünfundzwanzig Soldaten auf, die sich sofort in Schlachtordnung aufstellten.
Dieses Korps bestand aus Freiwilligen und war von einem Mann kommandiert, der die ersten fünfunddreißig Jahre seines Lebens in Feldlagern und Garnisonen zugebracht hatte; es galt daher als das non plus ultra militärischer Zucht auf viele Meilen im Umkreis, wie denn auch der einsichtsvollere Teil der Templetoner Gemeinde keinen Anstand nahm, es hinsichtlich seiner Tüchtigkeit allen Truppen in der bekannten Welt gleichzustellen, – was aber physische Begabung betraf, ihm hoch vor allen den Vorzug einzuräumen. Gegen diese Versicherung erhoben sich nur drei Stimmen und eine Meinung, welch letztere Marmaduke angehörte, der es jedoch nicht für nötig erachtete, sie zu veröffentlichen. Von den Stimmen ertönte eine – und zwar eine sehr laute – aus dem Munde der Gattin des Kommandeurs, die ihrem Gemahl oft Vorwürfe machte, daß er sich herablasse, eine solche unregelmäßige Soldatenbande anzuführen, nachdem er in den letzten Kriegsjahren die ehrenvolle Stellung eines Sergeantmajors in dem schmucken Korps der virginischen Reiterei innegehabt hatte.
Dann sprach sich der Geist des Widerspruchs, sooft die Kompanie Parade hielt, auch bei Meister Pump aus, und zwar stets in den bescheidenen Ausdrücken, wie sie ein Eingeborener der Insel unserer Vorfahren liebt, wenn er sich herabläßt, die Gewohnheiten und Charaktere ihrer unsteteren Nachkommen zu preisen.
»Möglich«, konnte er sagen, »daß sie etwas vom Laden und Abfeuern verstehen; aber was das Handhaben eines Schiffes betrifft – ei, eine Korporalswache der Boadishey-Matrosen würde sie auf eine Weise aus der Schanze schlagen, daß sie sich gefangengeben müßten, ehe das Stundenglas zur Hälfte abgelaufen wäre.« Da nun niemand vorhanden war, der diese Behauptung Lügen strafen konnte, so wurde den Matrosen der Boadicea von ihrem Wert nichts genommen.
Der dritte Ungläubige war Monsieur Le Quoi, der übrigens nur dem Sheriff ins Ohr flüsterte: das Korps sei eines der schönsten, welche er je gesehen habe – die Musketiere des Bon Louis ausgenommen.
Da jedoch Frau Hollister glaubte, es habe nunmehr so ziemlich das Ansehen eines wirklichen Dienstes, weshalb sie sich emsig mit gewissen Vorbereitungen beschäftigte, um selbst auch ihr Schäflein zu scheren, – da ferner Benjamin abwesend und Monsieur Le Quoi zu glücklich war, um an irgend etwas einen Mangel zu finden, so entging das Korps an diesem wichtigen Tage, wo es gewiß des Selbstvertrauens mehr als bei irgendeiner Gelegenheit bedurfte, der Tadelsucht sowohl als der Vergleichung. Marmaduke hatte sich dem Vernehmen nach wieder mit Herrn Van der School eingeschlossen, und so erlitten die Truppenbewegungen von dieser Seite aus keine Unterbrechung. Punkt zwei Uhr schulterte das Korps die Gewehre, – eine Bewegung, die auf dem rechten Flügel zunächst dem Veteranen