»Aber wie ich Euch verstand, so sagtet Ihr (ich beziehe mich dabei auf Eure früheren Worte {wie sie nämlich vor dem Gerichtshof gesprochen wurden}, am Beginn Eurer Aussage), Ihr hättet geglaubt, er wolle auf Euch schießen.«
»Freilich glaubte ich das, und Euch wäre es wohl ebenso gegangen, Squire, wenn Ihr gesehen hättet, wie der Bursche sein nie fehlendes Büchsenrohr herunterließ und über dem Gewehr weg blinzelte. Ich dachte mir’s indes wohl, daß er mir bloß einen Dunst vormachen wollte, und so war ich im Augenblick im reinen; aber Lederstrumpf gab mir dann die Haut, womit die Sache abgetan war.«
»Ah, Billy«, sagte Natty kopfschüttelnd, »es war ein glücklicher Gedanke von mir, die Haut herauszuwerfen, sonst hätte es zum Blutvergießen kommen können, und gewiß, wäre es das Eurige gewesen – es hätte mir für die kurze Frist meines Lebens keine Ruhe mehr gelassen.«
»Nun, Lederstrumpf«, entgegnete Billy, indem er dem Gefangenen mit einer Freimütigkeit und Vertraulichkeit Blicke zuwarf, die sich durchaus nichts aus der Anwesenheit des Gerichtshofs zu machen schienen, »da Ihr gerade von der Sache sprecht, so ist es wohl möglich, daß Ihr – –«
»Weiter in Eurem Verhör, Herr Distriktsanwalt«
Der aufgerufene Herr, welcher die Vertraulichkeit zwischen dem Zeugen und dem Gefangenen mit augenscheinlichem Mißfallen angesehen hatte, kündigte dem Gerichtshof an, daß er fertig sei.
»Ihr ließt Euch also nicht einschüchtern, Meister Kirby?« nahm der Rechtsbeistand des Gefangenen das Wort
»Ich? Nicht im geringsten«, antwortete Billy, indem er mit augenscheinlicher Selbstzufriedenheit seinen riesenmäßigen Muskelbau betrachtete, »ich bin nicht so leicht ins Bockshorn zu jagen.«
»Ihr seht wie ein unerschrockener Mann aus; wo seid Ihr geboren?«
»Im Vermontstaate; ‘s ist ein gebirgiges Land, hat aber einen guten Boden und hübsche Buchen-und Ahornwälder.«
»Das habe ich auch schon gehört«, entgegnete Herr Lippet zutraulich. »Ihr habt wohl in diesem Lande auch schießen gelernt?«
»Ich bin der zweitbeste Schütze in diesem Bezirk; denn seit ich Natty Bumppo die Taube schießen sah, räume ich ihm gerne den Vorrang ein.«
Lederstrumpf erhob seinen Kopf, lachte wieder und sagte, plötzlich seine runzlige Hand ausstreckend:
»Ihr seid noch jung, Billy, und habt nicht mitgemacht, was ich mitgemacht habe; aber da ist meine Hand, – ich trage Euch keinen Groll nach.«
Herr Lippet ließ diesen versöhnlichen Verkehr geschehen und schwieg klüglicherweise, während der Geist des Friedens solchergestalt seinen Einfluß auf die beiden übte, – aber der Richter machte sein Ansehen geltend.
»Dies ist ein ungeeigneter Platz für solch eine Zwiesprache«, sagte er. »Fahrt fort, diesen Zeugen zu verhören, Herr Lippet, oder ich werde Euch zur Ordnung rufen.«
Der Anwalt fuhr auf, als ob er sich keiner Unziemlichkeit bewußt sei, und sprach weiter –
»Ihr habt also die Sache mit Natty ganz freundschaftlich an Ort und Stelle ausgeglichen, nicht wahr?«
»Er gab mir die Haut, und was sollte ich mich weiter mit dem alten Mann in Händel einlassen? – Ich für mein Teil sehe darin nichts so Arges, wenn man einen Bock schießt.«
»Und ihr schiedet als Freunde? Und Ihr würdet nie daran gedacht haben, die Angelegenheit vor den Gerichtshof zu bringen, wenn Ihr nicht vorgefordert worden wäret?«
»Ich glaube nicht, daß ich’s getan hätte; er gab mir die Haut und ich hatte nichts gegen den Alten, obgleich Squire Doolittle ein wenig verschimpfiert wurde.«
»Ich bin fertig, Sir«, sagte Herr Lippet, der wahrscheinlich auf den Beistand des Richters baute, als er sich mit der Miene eines Mannes, der seines Erfolges gewiß ist, niedersetzte.
Nun erhob sich Herr Van der School abermals, um die Geschworenen folgendermaßen anzureden:
»Meine Herren Geschworenen, ich hätte eigentlich das Verhör, das der Anwalt des Gefangenen führte (da derselbe Fragen stellte, welche dem Verhörten die Worte in den Mund legten), unterbrechen sollen, wenn ich nicht die feste Überzeugung hegte, daß das Gesetz des Landes über irgendeinen Vorteil (ich meine gesetzlichen Vorteil), der sich durch List erringen läßt, erhaben ist. Der Beistand des Gefangenen, meine Herrn, hat sich die Mühe gegeben, euch (im Gegensatz zu eurem eigenen gesunden Menschenverstand) zu dem Glauben zu bereden, daß das Richten einer Büchse auf einen Konstabler (mag er nun ein permanenter oder jeweiliger sein) eine ganz unschuldige Sache sei, und daß die Gesellschaft (ich meine das Gesamtwohl, meine Herren) nicht im mindesten dadurch gefährdet werde. Mögt ihr mir aber eure Aufmerksamkeit leihen, während wir die Einzelheiten dieses hochgefährlichen Verbrechens betrachten.«
Hier begünstigte Herr Van der School die Jury mit einem Auszug aus dem Zeugenbericht, den er in einer Weise vorbrachte, welche geeignet war, die geistigen Fähigkeiten seiner Zuhörer in eine gänzliche Verwirrung zu bringen. Nach dieser Auseinandersetzung schloß er, wie folgt:
»Und nun, meine Herren, nachdem ich klar dargetan habe, welch eines schweren Vergehens dieser unglückliche Mann sich schuldig gemacht hat (unglücklich sowohl in Anbetracht seiner Unwissenheit als seiner Schuld), überlasse ich die Sache eurer eigenen Gewissenhaftigkeit, nicht im mindesten zweifelnd, daß ihr die Wichtigkeit (trotzdem der Anwalt des Gefangenen {ohne Zweifel sich verlassend auf euer früheres Verdikt} so zuversichtlich einem günstigen Ausgang entgegenzusehen scheint) der Bestrafung des Verbrechers einsehen und die Würde des Gesetzes wahren werdet.«
Die Reihe kam jetzt an den Richter, sich seiner Obliegenheit zu entledigen. Sie bestand in einer kurzen verständlichen Zusammenfassung der Zeugenaussagen, wobei er auf den Kunstgriff, den sich der Anwalt des Gefangenen erlaubt, aufmerksam machte, und die Tatsachen in ein so augenfälliges Licht stellte, daß nicht wohl mehr ein Mißverständnis stattfinden konnte.
»Wir leben, meine Herren«, schloß er, »an den Grenzen des gesellschaftlichen Verbandes, und es wird daher doppelt notwendig, die Diener des Gesetzes zu unterstützen. Wenn ihr den Zeugen, wie sie die Handlung des Gefangenen darstellten, Glauben beimeßt, so ist es eure Pflicht, das Schuldig über ihn auszusprechen; wenn ihr aber der Ansicht seid, daß der alte Mann, der heute vor euch erscheint dem Konstabler kein Leid zu tun gedachte, sondern mehr unter dem Einfluß der Gewohnheit als von einem bösen Willen geleitet handelte, so ist es zwar auch eures Amtes, über ihn zu richten, aber es mit Milde zu tun.«
Wie früher verließ die Jury ihre Loge nicht, sondern nach einer kurzen Beratung stand der Obmann abermals auf und erklärte, der Gefangene sei »schuldig«.
Dieser Ausspruch erregte nur wenig Überraschung im Gerichtssaal, da die Zeugenaussagen, die wir großenteils übergangen haben, zu klar und bestimmt waren, um nicht volle Beachtung zu verdienen. Die Richter schienen eine solche Wendung vorausgesehen zu haben; denn auch unter ihnen fand – gleichzeitig mit der der Jury – eine Beratung statt, und die vorangehenden Bewegungen auf der Gerichtsbank verkündigten die Publikation des Urteils.
»Nathanael Bumppo«, begann der Richter, indem er nach Nennung des Namens die übliche Pause eintreten ließ.
Der alte Jäger, der bisher, den Kopf auf die Schranke gelehnt dagesessen, erhob sich jetzt und erwiderte alsbald in militärischem Tone: »Hier!«
Der Richter winkte mit der Hand zum Schweigen und fuhr fort – »Bei Fällung des Urteils hat sich der Gerichtshof ebensosehr durch die Rücksicht auf Eure Gesetzesunkenntnis wie durch die dringende Überzeugung leiten lassen, wie wichtig es sei, ein Verbrechen, dessen Ihr Euch schuldig gemacht habt, zu bestrafen. Er hat Euch daher in Anbetracht Eurer Jahre die gesetzliche Strafe des Auspeitschens auf dem bloßen Rücken in Gnaden erlassen; da aber die Würde des Gesetzes eine offene Zurschaustellung der Folgen Eures Verbrechens fordert, so ist verordnet worden, daß Ihr von diesem Zimmer aus nach dem öffentlichen Stock geführt und daselbst auf eine Stunde eingesperrt werden sollt; daß Ihr