«Recht hat er, beim Donner und Strahl», rief Hildebad. «Fort mit diesen verwelkten Amalern! Einen Heldenkönig hebt auf den Schild und schlagt los nach allen Seiten. Fort mit dem Amaler!»
«Nein», sagte Witichis, ruhig vor sich hinblickend, «noch nicht! Vielleicht, daß es noch einmal so kommen muß: aber nicht früher darf es geschehen, als es muß. Der Anhang der Amaler ist groß im Volk: nur mit Gewalt würde Theodahad den Reichtum, Gothelindis die Macht der Krone sich entwinden lassen. Sie würden stark genug sein, wenn nicht zum Siege, doch zum Kampf.
Kampf aber unter den Söhnen eines Volkes ist schrecklich, nur die Notwendigkeit kann ihn rechtfertigen. Die ist noch nicht da. Theodahad mag sich bewähren: er ist schwach, so wird er sich leiten lassen. Hat er sich unfähig erwiesen, so ist’s noch immer Zeit.»
«Wer weiß, ob dann noch Zeit ist», warnte Teja.
«Was rätst du, Alter?» fragte Hildebad, auf welchen die Gründe des Grafen Witichis nicht ohne Wirkung blieben.
«Brüder», sagte der Waffenmeister, seinen langen Bart streichend, «ihr habt die Wahl, darum die Qual. Mir sind beide erspart: ich bin gebunden. Die alten Gefolgen des großen Königs haben einen Eid getan, solang sein Haus lebt, keinem Fremden die Gotenkrone zuzuwenden.»
«Welch törichter Eid!» rief Hildebad.
«Ich bin alt und nenn’ ihn nicht töricht. Ich weiß, welcher Segen auf der festen, heiligen Ordnung des Erbgangs ruht. Und die Amaler sind Söhne der Götter», schloß er geheimnisvoll.
«Ein schöner Göttersohn, Theodahad!» lachte Hildebad.
«Schweig», rief zornig der Alte, «das begreift ihr nicht mehr, ihr neuen Menschen. Ihr wollt alles fassen und verstehen mit eurem kläglichen Verstand. Das Rätsel, das Geheimnis, das Wunder, der Zauber, der im Blute liegt – dafür habt ihr den Sinn verloren. Darum schweig’ ich von solchen Dingen zu euch.
Aber ihr macht mich nicht mehr anders mit meinen bald hundert Jahren. Tut ihr, was ihr wollt, ich tue, was ich muß.»
«Nun», sprach Graf Teja nachgebend, «auf euer Haupt die Schuld. Aber wenn dieser letzte Amaler dahin…» –
«Dann ist das Gefolge seines Schwures frei.»
«Vielleicht», schloß Witichis, «ist es ein Glück, daß auch uns dein Eid die Wahl erspart: denn gewiß wollen wir keinen Herrscher, den du nicht anerkennen könntest. Gehen wir denn, das Volk zu beschwichtigen, und tragen wir diesen König solang er zu tragen ist.»
«Aber keine Stunde länger», sagte Teja und ging zürnend hinaus.
Zweites Kapitel
Am nämlichen Tage noch wurden Theodahad und Gothelindis mit der alten Krone der Gotenkönige gekrönt.
Ein reiches Festmahl, besucht von allen römischen und gotischen Großen des Hofes und der Stadt, belebte den weiten Palast Theoderichs und den sonst so stillen Garten, den wir als den Schauplatz von Athalarichs und Kamillas Liebe kennengelernt. Bis tief in die Nacht währte das lärmende Gelage. Der neue König, kein Freund der Becher und barbarischer Festfreuden, hatte sich frühe zurückgezogen.
Gothelindis dagegen sonnte sich gern in dem Glanz ihrer jungen Herrlichkeit: stolz prangte sie auf ihrem Purpursitz, die goldne Zackenkrone im dunkeln Haar. Sie schien ganz Ohr für die lauten Jubelrufe, die ihren und ihres Gatten Namen feierten. Und doch hatte ihr Herz dabei nur eine Freude: den Gedanken, daß dieser Jubel hinunterdringen müsse bis in die Königsgruft, wo Amalaswintha, die verhaßte, besiegte Feindin, am Sarkophage ihres Sohnes trauerte.
Unter der Menge von jenen Gästen, die immer fröhlich sind, wenn sie bei vollen Bechern sitzen, war doch auch so manches ernstere Gesicht zu bemerken: mancher Römer, der auf dem leeren Thron da oben lieber den Kaiser gesehen hätte: so mancher Gote, der in der gefährlichen Lage des Reiches einem König wie Theodahad nicht ohne Sorge huldigen konnte.
Zu letzteren zählte Witichis, dessen Gedanken nicht unter dem kranzgeschmückten Säulendach der Trinkhalle zu weilen schienen. Unberührt stand die goldne Schale vor ihm, und auf den lauten Zuruf Hildebads, der ihm gegenüber saß, achtete er kaum. Endlich – schon leuchteten längst im Saale die Lampen und am Himmel die Sterne – stand er auf und ging hinaus in das grüne Dunkel des Gartens.
Langsam wandelte er durch die Taxusgänge dahin: sein Auge hing an den funkelnden Sternen. Sein Herz war daheim bei seinem Weibe, bei seinem Knaben, die er monatelang nicht mehr gesehen. So führte ihn sein sinnendes Wandeln an den Venustempel bei der Meeresbucht, die wir kennen. Er sah hinaus nach der flimmernden See – da blitzte etwas dicht vor seinen Füßen im schwachen Mondlicht: es war eine Rüstung, daneben die kleine, gotische Harfe: ein Mann lag vor ihm im weichen Grase, und ein bleiches Antlitz hob sich ihm entgegen.
«Du hier, Teja? Du warst nicht beim Fest.»
«Nein, ich war bei den Toten.»
«Auch mein Herz weiß nichts von diesen Festen: es war daheim bei Weib und Kind», sagte Witichis, sich zu ihm niedersetzend.
«Bei Weib und Kind», wiederholte Teja seufzend.
«Viele fragten nach dir, Teja.»
«Nach mir! Soll ich sitzen neben Cethegus, der mir die Ehre nahm, und neben Theodahad, der mir mein Erbe nahm?»
«Dein Erbe nahm?»
«Wenigstens besitzt er’s. Und über den Ort, wo meine Wiege stand, ging seine Pflugschar.»
Und schweigend sah er lange vor sich hin.
«Dein Harfenspiel – es schweigt? Man rühmt dich unsres Volkes besten Harfenschläger und Sänger!»
«Wie Gelimer, der letzte König der Vandalen, seines Volkes bester Harfenschläger war. Aber mich würden sie nicht im Triumph einführen nach Byzanz!»
«Du singst nicht oft mehr?»
«Fast niemals mehr. Aber mir ist, die Tage kommen, da ich wieder singen werde.»
«Tage der Freude?»
«Tage der höchsten, der letzten Trauer.»
Lange schwiegen beide.
«Mein Teja», hob endlich Witichis an, «in allen Nöten von Krieg und Frieden hab’ ich dich gefunden treu, wie mein Schwert. Und obwohl du soviel jünger als ich und nicht leicht der Ältere sich dem Jüngling verbindet, kann ich dich meinen besten Herzensfreund nennen. Und ich weiß, daß auch dein Herz mehr an mir hängt als an deinen Jugendgenossen.»
Teja drückte ihm die Hand: «Du verstehst mich und ehrest meine Art, auch wo du sie nicht verstehst. Die andern – und doch: den einen hab’ ich sehr lieb.»
«Wen?»
«Den alle lieb haben.»
«Totila!»
«Ich hab’ ihn lieb wie die Nacht den Morgenstern. Aber er ist so hell: er kann’s nicht fassen, daß andre dunkel sind und bleiben müssen.»
«Bleiben müssen! Warum? Du weißt, Neugier ist meine Sache nicht. Und wenn ich dich in dieser ernsten Stunde bitte: lüfte den Schleier, der über dir und deiner finstern Trauer liegt, so bitt’ ich’s nur, weil ich dir helfen möchte. Und weil des Freundes Auge oft besser sieht als das eigene.»
«Helfen? Mir helfen? Kannst du die Toten wieder auferwecken? Mein Schmerz ist unwiderruflich wie die Vergangenheit. Und wer einmal gleich