Er sprang auf, beide Arme wiegend und schwingend.
«O Kamilla, die Ruhe verzehrt mich! Oh, ging es zu Roß und in waffenstarrende Feinde! Sieh, die Sonne sinkt. Es ladet die spiegelnde Flut. Komm, komm mit in den Kahn.» Kamilla zögerte. Sie blickte umher. «Die Dienerin? Ach laß sie! Dort ruht sie unter der Palme an der Quelle, sie schläft. Komm, komm rasch, eh’ die Sonne versinkt. Sieh die goldene Straße auf der Flut. Sie winkt!» – «Zu den Inseln der Seligen?» fragte das liebliche Mädchen mit einem holdseligen Blick und leicht errötend.
«Ja, komm zu den Inseln!» antwortete er glücklich, hob sie rasch in den Kahn, löste dessen Silberkette von den Widderköpfen des Quais, sprang hinein, ergriff das zierliche Ruder und stieß ab. Dann legte er das Ruder in die Öse zur Linken, und im hintern Gransen des Schiffes stehend steuerte und ruderte er zugleich, eine schöne und malerische Bewegung und ein echt germanischer Fergenbrauch.
Kamilla saß vorn, nahe dem Schnabel des Kahns, auf einem Diphros, dem griechischen zusammenlegbaren Feldstuhl, und sah ihm in das edle Antlitz, das von der rotschimmernden Abendsonne beleuchtet war: sein dunkles Haar flog im Winde, und herrlich waren die raschen und kräftigen Bewegungen des feingebauten Ruderers zu schauen. Beide schwiegen. Pfeilschnell schoß die leichte Barke durch die glatte Flut.
Flockige, rosige Abendwölklein zogen langsam über den Himmel, der leise Wind führte von den Mandelgebüschen des Ufers Wolken von Wohlgeruch mit sich, und rings war Schimmer, Ruhe, Harmonie. Endlich brach der König das Schweigen und sprach, dem Boot einen kräftigen Druck gebend, daß es gehorsam vorwärts schoß: «Weißt du, was ich denke? Wie schön muß es sein, ein Reich, ein Volk, viel tausend geliebte Leben mit der starken Hand durch Wind und Wellen sicher vorwärts zu steuern zu Glück und Glanz. – Was aber sannest du, Kamilla? Du sahst so mild, es sind gute Gedanken gewesen.» Sie errötete und blickte seitab in die Flut.
«O sprich doch, sei offen in dieser schönen Stunde.»
«Ich dachte», flüsterte sie vor sich hin, das feine Köpfchen noch immer abgewendet, «wie schön muß es sein, von treuer, geliebter Hand, der man so ganz vertraut, gesteuert zu werden durch die schwanke Flut des Lebens.» – «O Kamilla, glaub’ mir, auch dem Barbaren kann man sich anvertraun.» – – «Du bist kein Barbar! Wer zart empfindet und edel denkt und sich hochherzig überwindet und schweren Undank mit Huld vergilt, ist kein Barbar, er ist ein edles Menschenbild, wie je ein Scipio gewesen.» Entzückt hielt der König im Rudern inne, das Schiff stand: «Kamilla! Träum ich? sprichst du das? und zu mir?»
«Mehr noch, Athalarich, mehr! Ich bitte dich, vergib, daß ich dich so grausam von mir gestoßen. Ach, es war nur Scham und Furcht.» – «Kamilla, Perle meiner Seele!» – Diese, welche das Gesicht dem Ufer zuwandte, rief plötzlich: «Was ist das? Man folgt uns. Der Hof, die Frauen, meine Mutter.» So war es. Rusticiana hatte, von des Präfekten furchtbarem Wink getrieben, ihre Tochter im Garten gesucht. Sie fand sie nicht. Sie eilte nach dem Venustempel. Umsonst. Umherschauend sah sie plötzlich die beiden, ihr Kind mit ihm allein, auf dem Schiff, fern im Meer. Im höchsten Zorn flog sie an den Marmortisch, an dem die Sklaven eben den Abendbecher des Königs mischten, schickte sie die Stufen hinab, eine Gondel zu lösen, gewann so einen unbelauschten Augenblick an dem Tisch und stieg gleich darauf mit Daphnidion, die ihr zorniger Ausruf geweckt, die Stufen hinab nach dem Schiff. Da bogen zur Rechten aus dem dichten Taxusgang der Präfekt und seine Freunde, die ihr Lustwandeln ebenfalls an diese Stelle führte. Cethegus folgte ihr die Stufen hinab und reichte ihr die Hand, in den Kahn zu steigen. «Es ist geschehen», flüsterte sie ihm dabei zu, und die Gondel stieß ab. In diesem Augenblick war es, daß das junge Paar auf die Bewegung am Ufer aufmerksam wurde: Kamilla stand auf, sie mochte erwarten, der König werde das Schiff wenden. Aber dieser rief: «Nein, sie sollen mir diese Stunde nicht rauben, die schönste meines Lebens. Ich muß noch mehr von diesen süßen Worten schlürfen. O Kamilla, du mußt mir mehr, du mußt mir alles sagen. Komm, wir landen auf der Insel dort, da mögen sie uns finden.» Und mächtig ausgreifend drückte er mit aller Kraft auf das Ruder, daß das Fahrzeug wie beflügelt dahinschoß.
«Willst du nicht weiter sprechen?»
«O mein Freund, mein König – dringe nicht in mich.» Er sah ihr nur in das liebliche Antlitz, in das leuchtende Auge, nicht mehr auf Weg und Ziel. «Nun warte dort auf der Insel – dort sollst du mir» – –
Ein neuer leidenschaftlicher Ruderschlag – da erdröhnte ein dumpfer Krach, das Schiff war angeprallt und fuhr schütternd zurück.
«Himmel!» rief Kamilla aufspringend und nach dem Schnabel des Schiffes sehend: ein ganzer Schwall von Wasser sprudelte herein, ihr entgegen.
«Das Schiff ist geborsten – wir sinken», sprach sie erbleichend. «Hierher zu mir, laß mich sehen», rief Athalarich vorspringend. «Ach, das sind die Nadeln der Amphitrite – wir sind verloren.» Die Nadeln der Amphitrite – wir wissen, man konnte sie von der Terrasse des Venustempels kaum erkennen – waren zwei schmale, scharfzackige Klippen zwischen dem Ufer und der nächsten der Laguneninseln: sie ragten kaum über den Wasserspiegel, bei leisestem Wind gingen die Wellen über sie weg. Athalarich kannte die Gefahr dieser Stelle und hatte sie immer leicht vermieden: aber diesmal hatte er nur in der Geliebten Augen geblickt.
Mit einem Blick übersah er die Lage. Es gab keine Rettung.
Ein Brett im Boden des leicht gezimmerten Gefährts war durch den Anprall an der Klippe zertrümmert, gewaltig drang das Wasser durch das Leck.
Das Schiff sank von Sekunde zu Sekunde.
Schwimmend mit Kamilla die nächste Insel oder das Ufer zu erreichen, konnte er nicht hoffen, und das Ruderschiff Rusticianens hatte kaum erst abgestoßen. Mit Blitzesschnelle hatte er alles überschaut, erwogen, eingesehen, und warf einen entsetzten Blick auf das Mädchen. «Geliebte, du stirbst», jammerte er verzweifelnd, «und ich, ich hab’s verschuldet.» Und er umfaßte sie stürmisch. «Sterben?» rief sie, «o nein! Nicht so jung, nicht jetzt sterben! Leben, leben mit dir.» Und sie klammerte sich fest an seinen Arm. Der Ton, die Worte durchschnitten sein Herz.
Er riß sich los, er sah nach Rettung ringsumher, umsonst, umsonst immer höher stieg das Wasser, immer rascher sank das Schiff. Er warf das Ruder weg. «Es ist aus, alles aus, Geliebte. Laß uns Abschied nehmen.» – «Nein! Nicht mehr scheiden! Muß es gestorben sein: – o dann hinweg alle Scheu, welche die Lebendigen bindet» – und glühend drückte sie das Haupt an seine Brust – «o laß dir sagen, laß dir noch gestehen, wie ich dich liebe, wie lange schon, seit – seit immer. All mein Haß war ja nur verschämte Liebe. Gott, ich liebte dich schon, da ich wähnte, ich müsse dich verabscheuen. Ja, du sollst wissen, wie ich dich liebe.» Und sie bedeckte ihm Augen und Wangen mit eiligen Küssen. «Oh, jetzt will ich auch sterben – lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Aber nein» und sie riß sich von ihm los – «du sollst nicht sterben – laß mich hier, springe, schwimme, versuch’s, du allein erreichst die Insel wohl – versuch’s und laß mich.»
«Nein», rief er selig, «lieber sterben mit dir als leben ohne dich. Nach so langem, langem Sehnen endlich Erfüllung! Wir gehören einander auf ewig von dieser Stunde. Komm, Kamilla, Geliebte, laß uns hinab.»
Schauer der Liebe und des Todes rieselten durcheinander. Er zog sie an sich, umschlang sie mit dem linken Arm und stieg mit ihr auf den kaum noch handbreit über’s Wasser ragenden Steuergransen: schon schickte er sich zum jähen Sprunge an – da entrang sich beiden ein froher Schrei der Hoffnung.
Blitzschnell bog vor ihren Augen um die schmale Landspitze,