Der König wurde rot wie sein Purpur, halb vor Scham, halb vor Zorn; eh’ er Antwort fand, rief eine rauhe Stimme an seiner Seite: «Sorge nicht darum, Frau Königin. Ich bin sein Waffenmeister gewesen: ich sage dir, er kann sich messen mit jedem Feind: und wen der alte Hildebrand wehrfähig spricht, der gilt dafür bei allen Goten.» Lauter Beifall der anwesenden Goten bestätigte sein Wort.
Wieder gedachte Cethegus einzugreifen, aber eine Bewegung hinter dem Vorhang zog seine Gedanken ab: Einer meiner größten Feinde ist es, aber wer?
«Noch eine wichtige Sache ist euch kundzutun», begann der König wieder, mit einem flüchtigen Seitenblick nach der Nische, der dem Präfekten nicht entging.
Etwa ein Anschlag gegen mich? dachte er. Man wollte mich überraschen? Das soll nicht gelingen! –
Aber es überraschte ihn doch, als plötzlich der König mit lauter Stimme rief: «Präfekt von Rom, Cethegus Cäsarius!» Er zuckte, aber rasch gefaßt, neigte er das Haupt und sprach: «Mein Herr und König.» – «Hast du uns nichts aus Rom zu melden? Wie ist die Stimmung der Quiriten? Was denkt man dort von den Goten?»
«Man ehrt sie als das Volk Theoderichs!» – «Fürchtet man sie?» – «Man hat nicht Ursach’, sie zu fürchten.» – «Liebt man sie?» – Gern hätte Cethegus geantwortet: Man hat nicht Ursach’, sie zu lieben. Aber der König selbst fuhr fort:
«Also keine Spur von Unzufriedenheit? Kein Grund zur Sorge? Nichts Besonderes, das sich vorbereitet?»
«Ich habe dir nichts anzuzeigen.» – «Dann bist du schlecht unterrichtet, Präfekt – oder schlecht gesinnt. Muß ich, der in Ravenna kaum vom Siechbett ersteht, dir sagen, was in deinem Rom unter deinen Augen vorgeht? Die Arbeiter auf deinen Schanzen singen Spottlieder auf die Goten, auf die Regentin, auf mich, deine Legionäre führen bei ihren Waffenübungen drohende Reden. Höchst wahrscheinlich besteht bereits eine ausgebreitete Verschwörung, Senatoren, Priester an der Spitze: sie versammeln sich nachts an unbekannten Orten. Ein Mitschuldiger des Boëthius, ein Verbannter, Albinus, ist in Rom gesehen worden; und weißt du, wo? im Garten deines Hauses.» Der König stand auf. Die Augen aller Anwesenden richteten sich erstaunt, erzürnt, erschrocken auf Cethegus. Amalaswintha bebte für den Mann ihres Vertrauens. Aber dieser war jetzt wieder völlig er selbst. Ruhig, kalt, schweigend sah er dem König ins Auge.
«Rechtfertige dich!» rief ihm dieser entgegen.
«Rechtfertigen gegen einen Schatten, ein Gerücht, eine Klage sonder Kläger? Nie!» – «Man wird dich zu zwingen wissen.» Hohn zuckte um des Präfekten schmale Lippen.
«Man kann mich morden auf bloßen Verdacht, ohne Zweifel – wir haben das erfahren, wir Italier! – nicht mich verurteilen. Gegen Gewalt gibt es keine Rechtfertigung, nur gegen Gerechtigkeit.» – «Gerechtigkeit soll dir werden, zweifle nicht. Wir übertragen den hier anwesenden Römern die Untersuchung, dem Senat in Rom die Urteilsfällung. Wähle dir einen Verteidiger.» – «Ich verteidige mich selbst», sprach Cethegus kühl. «Wie lautet die Anklage? Wer ist mein Ankläger? Wo ist er?» – «Hier», rief der König und schlug den Vorhang zurück.
Ein gotischer Krieger in ganz schwarzer Rüstung trat hervor.
Wir kennen ihn. Es war Teja.
Dem Präfekten drückte der Haß die Wimper nieder. Jener aber sprach: «Ich, Teja, des Tagila Sohn, klage dich an, Cethegus Cäsarius, des Hochverrats an diesem Reich der Goten. Ich klage dich an, den verbannten Verräter Albinus in deinem Haus zu Rom zu bergen und hehlen. Es steht der Tod darauf. Und du willst dies Land dem Kaiser in Byzanz unterwerfen.»
«Das will ich nicht», sprach Cethegus ruhig: «beweise deine Klage.» – «Ich habe Albinus vor vierzehn Nächten mit diesen Augen in deinen Garten treten sehen», fuhr Teja zu den Richtern gewendet fort. «Er kam von der Via sacra her, in einen Mantel gehüllt, einen Schlapphut auf dem Kopf. Schon in zwei Nächten war die Gestalt an mir vorbeigeschlüpft; diesmal erkannt’ ich ihn. Als ich auf ihn zutrat, verschwand er, ehe ich ihn ergreifen konnte, an der Tür, die sich von innen schloß.» – «Seit wann spielt mein Amtsgenoß, der tapfere Kommandant von Rom, den nächtlichen Späher?» – «Seit er einen Cethegus zur Seite hat. Aber ob mir auch der Flüchtling entkam – diese Rolle fiel ihm aus dem Mantel: sie enthält Namen von römischen Großen und neben den Namen Zeichen einer unlösbaren Geheimschrift. Hier ist die Rolle.» Er reichte sie dem König. Dieser las: «Die Namen sind: Silvernus, Cethegus, Licinius, Scävola, Calpurnius, Pompenius. – Kannst du beschwören, daß der Vermummte Albinus war?»
«Ich will’s beschwören.» – «Wohlan, Präfekt. Graf Teja ist ein freier, unbescholtener, eidwürdiger Mann. Kannst du das leugnen?»
«Ich leugne das. Er ist nicht unbescholten: seine Eltern lebten in nichtiger blutschänderischer Ehe: sie waren Geschwisterkinder, die Kirche hat ihr Zusammensein verflucht und seine Frucht: er ist ein Bastard und kann nicht zeugen gegen mich, einen edeln Römer senatorischen Ranges.» Ein Murren des Zornes entrang sich den anwesenden Goten. Tejas blasses Antlitz wurde noch bleicher. Er zuckte. Seine Rechte fuhr ans Schwert: «So vertret’ ich mein Wort mit dem Schwert», sprach er mit tonloser Stimme. «Ich fordere dich zum Kampf, zum Gottesgericht auf Tod und Leben.» – «Ich bin Römer und lebe nicht nach eurem blutigen Barbarenrecht. Aber auch als Gote: ich würde dem Bastard den Kampf versagen.» – «Geduld», sprach Teja und stieß das halb gezückte Schwert leise in die Scheide zurück. «Geduld, mein Schwert. Es kommt dein Tag.» Aber die Römer im Saale atmeten auf.
Der König nahm das Wort: «Wie dem sei, die Klage ist genug begründet, die genannten Römer zu verhaften. Du, Cassiodor, wirst die Geheimschrift zu entziffern suchen. Du, Graf Witichis, eilst nach Rom und bemächtigst dich der fünf Verdächtigen, durchsuchst ihre Häuser und das des Präfekten. Hildebrand, du verhaftest den Verklagten, nimm ihm das Schwert ab.» – «Halt», sprach Cethegus, «ich leiste Bürgschaft mit all meinem Gut, daß ich Ravenna nicht verlasse, bis dieser Streit zu Ende. Ich verlange Untersuchung auf freiem Fuß: das ist des Senators Recht.»
«Kehr’ dich nicht dran, mein Sohn», rief der alte Hildebrand vortretend, «laß mich ihn fassen.» – «Laß», sprach der König. «Recht soll ihm werden, strenges Recht, doch nicht Gewalt. Laß ab von ihm. Auch hat ihn die Klage überrascht. Er soll Zeit haben, sich zu verteidigen. Morgen um diese Stunde treffen wir uns wieder hier. Ich löse die Versammlung.»
Der König winkte mit dem Zepter: in höchster Aufregung eilte Amalaswintha aus dem Gemach. Die Goten traten freudig zu Teja. Die Römer drückten sich rasch an Cethegus vorbei, vermeidend, mit ihm zu sprechen. Nur Cassiodor schritt fest auf ihn zu, legte die Hand auf seine Schulter, sah ihm prüfend ins Auge und fragte dann: «Cethegus, kann ich dir helfen?» – «Nein, ich helfe mir selbst», sprach dieser, entzog sich ihm und schritt allein und stolzen Ganges hinaus.
Zehntes Kapitel
Der heftige Schlag, den der junge König so unerwartet gegen den ganzen Grundbau der Regentschaft geführt hatte, erfüllte bald den Palast und die Stadt mit Staunen, mit Schrecken oder Freude. Zu der Familie des Boëthius brachte die erste bestimmte Kunde Cassiodor, der Rusticianen zum Trost der erschütterten Regentin beschied. Mit Fragen bestürmt, erzählte er den ganzen Hergang ausführlich: und so bestürzt oder unwillig er darüber war, auch aus seinem feindlichen Bericht leuchteten die Kraft, der Mut des jungen Fürsten unverkennbar hervor. Mit Begierde lauschte Kamilla jedem seiner Worte: Stolz, stolz auf den Geliebten – der Liebe glücklichstes Gefühl – erfüllte mächtig ihre ganze Seele.
«Es ist kein Zweifel», schloß Cassiodor mit Seufzen, «Athalarich ist unser entschiedener Gegner: er steht ganz zu der gotischen Partei, zu Hildebrand und seinen Freunden. Er wird den Präfekten verderben. Wer hätte das von ihm geglaubt! Immer muß ich daran denken, Rusticiana, wie so ganz anders er sich bei dem Prozeß