Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
Скачать книгу

      «Oder», fuhr dieser ruhig fort, «zum Schein annehmen. Ohne Schwertstreich einziehn in Ravenna. Und – die Gotenkrone samt dem Gotenkönig nach Byzanz schicken.»

      «Das ist glänzend!» rief Prokop. «Das ist Verrat!» rief Belisar.

      «Es ist beides», sagte Cethegus ruhig.

      «Ich könnte dem Gotenvolk nicht mehr in die Augen sehen.»

      «Das ist auch nicht nötig. Du führst den gefangenen König nach Byzanz. Das entwaffnete Volk hört auf, ein Volk zu sein.»

      «Nein, nein, das tu’ ich nicht.»

      «Gut. So laß dein ganzes Heer Testamente machen. Leb’ wohl, Belisar. Ich gehe nach Rom. Ich habe durchaus nicht Lust, fünfzigtausend Goten in Verzweiflung kämpfen zu sehen. Und wie wird Kaiser Justinianus den Verderber seines besten Heeres loben!»

      «Es ist eine furchtbare Wahl», zürnte Belisar.

      Da trat Cethegus langsam auf den Feldherrn zu. «Belisar», sprach er mit gemütvoller, tief aus der Brust geschöpfter Stimme: «du hast mich oft für deinen Feind gehalten. Und ich bin zum Teil dein Gegner. Aber wer kann neben Belisar im Feld gestanden sein, ohne den Helden zu bewundern?»

      Und seine Weise war so feierlich und salbungsvoll, wie man sie nie an dem sarkastischen Präfekten sah. Belisar war ergriffen, und selbst Prokop erstaunte.

      «Ich bin dein Freund, wo ich es sein kann. Und will dir diese Freundschaft in diesem Augenblick durch meinen Rat bewähren. Glaubst du mir, Belisarius?» Und er legte die linke Hand auf des Helden Schulter, bot ihm treuherzig die Rechte, und sah ihm tief ins Auge.

      «Ja», sagte Belisar, «wer könnte solchem Blick mißtrauen.»

      «Siehe, Belisar, nie hat ein edler Mann einen mißtrauischeren Herrn gehabt als du. – Der letzte Brief des Kaisers ist die schwerste Kränkung deiner Treue.»

      «Das weiß der Himmel.»

      «Und nie hat ein Mann», – hier faßte er ihn an beiden Händen «herrlichere Gelegenheit gehabt, das schnödeste Mißtrauen zu beschämen, sich aufs glorreichste zu rächen, seine Treue sonnenklar zu zeigen. Du bist verleumdet, du trachtetest nach der Herrschaft des Abendlandes. Wohlan, bei Gott: du hast sie jetzt in Händen. Zieh in Ravenna ein, laß dir von Goten und Italiern huldigen und zwei Kronen auf dein Haupt setzen. Ravenna dein, dein blindergebenes Heer, die Goten, die Italier wahrlich, du bist unantastbar. Justinian muß zittern zu Byzanz, und sein stolzer Narses ist ein Strohhalm gegen deine Macht. Du aber, der du all dies in Händen hat, – du legst all die Macht und all die Herrlichkeit deinem Herrn zu Füßen und sprichst: ‹Siehe, Justinianus, Belisar ist lieber dein Knecht als der Herr des Abendlandes.› So glorreich, Belisar, ward Treue noch nie auf Erden erprobt.»

      Cethegus hatte den Kern seines Herzens getroffen. Sein Auge leuchtete.

      «Recht hast du, Cethegus, komm an meine Brust, hab’ Dank. Das ist groß gedacht. O Justinian, du sollst vor Scham vergehn!»

      Cethegus entzog sich der Umarmung und schritt zur Türe.

      «Armer Witichis», flüsterte Prokop ihm zu; «er wird diesem Musterstück von Treue aufgeopfert. Jetzt ist er verloren.»

      «Ja», sagte Cethegus, «er ist verloren, gewiß.» Und draußen vor dem Zelt warf er den Mantel über die linke Schulter und sprach: «Aber gewisser noch du selber, Belisar.»

      *

      In seinem Quartier trat ihm Lucius Licinius gerüstet entgegen.

      «Nun, Feldherr», fragte er, «die Stadt ist noch nicht übergeben. Wann geht’s zum Kampf?»

      «Der Kampf ist aus, mein Lucius. Leg’ deine Waffen ab und gürte dich zu reisen. Du gehst noch heute mit geheimen Briefen von mir ab.» – «An wen?» – «An den Kaiser und die Kaiserin.» – «Nach Byzanz?» – «Nein, zum Glück sind sie ganz nah, in den Bädern von Epidaurus. Eile dich. In fünfzehn Tagen mußt du zurück sein, nicht einen halben später. Italiens Schicksal harrt auf deine Wiederkunft.»

      *

      Sowie Prokop mündlich die Antwort Belisars dem Gotenkönig überbracht, berief dieser in seinen Palast die Führer des Heeres, die vornehmsten Goten und eine Anzahl von vertrauten einfach Freien, teilte ihnen das Geschehene mit und forderte ihre Zustimmung.

      Wohl waren sie anfangs mächtig überrascht: und ein Schweigen des Staunens folgte auf seine Worte. Endlich sprach Herzog Guntharis, mit Rührung auf den König blickend: «Die letzte deiner Königstaten, Witichis, ist so edel, ja edler als alle deine früheren. Dich bekämpft zu haben werd’ ich ewig bereuen. Ich habe mir lange geschworen, es zu sühnen, indem ich dir blindlings folge. Und wahrlich, in diesem Fall hast du zu entscheiden, denn du opferst das Höchste: eine Krone. Soll aber ein andrer als du König sein, – leichter mögen die Wölsungen einem Fremden, einem Belisar, als einem Goten nachstehn. Und so folg’ ich dir und sage: ja, du hast gut und groß gehandelt.»

      «Und ich sage nein! Und tausendmal nein!» rief Hildebad. «Bedenkt, was ihr tut! Ein Fremder an der Spitze der Goten!»

      «Was ist das andres, als was andre Germanen vor uns getan, Quaden und Heruler und Markomannen, auch die Franken unter jenem Römer Ägidius?» sagte Witichis ruhig, «ja, was andres, als was unsere glorreichsten Könige und selbst Theoderich getan? Sie leisteten dem Kaiser Waffendienst und erhielten dafür Land. So lautet der Vertrag, nach dem Theoderich Italien von Kaiser Zeno nahm. Ich erachte Belisar nicht geringer als Zeno und mich wahrlich nicht besser Theoderichs.»

      «Ja, wenn es Justinian wäre», fügte Guntharis bei. «Nie unterwarf’ ich mich dem feigen und falschen Tyrannen. Aber Belisarius ist ein Held. Kannst du das leugnen, Hildebad? Hast du vergessen, wie er dich vom Gaul gerannt?»

      «Schlag mich der Donner, wenn ich’s ihm vergesse. Es ist das einzige, was mir an ihm gefallen hat.»

      «Und das Glück ist mit ihm, wie mit mir das Unglück war. Und wir bleiben im reichen Lande hier, bleiben frei wie bisher und schlagen nur seine Schlachten gegen Byzanz. Er wird uns Rache schaffen an dem gemeinsamen Feind.»

      Und fast alle Versammelten stimmten bei.

      «Nun, ich kann euch nicht in Worten widerlegen», rief Hildebad. «Von je hab’ ich die Zunge ungefüger als die Axt geführt. – Aber ich fühl’ es deutlich: ihr habt unrecht. – Hätten wir nur den schwarzen Grafen hier, der würde sagen können, was ich nur spüre. Mögt ihr’s nie bereuen! Mir aber sei’s vergönnt, aus diesem ungeheuerlichen Mischreich davonzugehn. Ich will nicht leben unter Belisar. Ich zieh’ auf Abenteuer in die Welt: mit Schild und Speer und groben Hieben kommt man weit.»

      Witichis hoffte, den treuen Gesellen in vertrautem Gespräch wohl noch umzustimmen. Er fuhr jetzt in der Sache fort, die ihm so sehr am Herzen lag. «Vor allem hat sich Belisar Schweigen ausbedungen, bis er Ravenna besetzt hat. Es steht zu fürchten, daß einige seiner Heerführer mit ihren Truppen von einer Empörung gegen Justinian nichts wissen wollen. Diese, sowie die verdächtigen Quartiere von Ravenna, müssen von den Goten und den verlässigen Anhängern Belisars umstellt sein, ehe die Entscheidung fällt.»

      «Hütet euch», warnte Hildebad, «daß ihr nicht selbst in diese Grube fallt! Wir Goten sollen uns nicht aufs Feinspinnen verlegen. ‘s ist, wie wenn der Waldbär auf das Seil steigt – er fällt doch über kurz oder lang. Lebt wohl – mög’ es besser ausfallen, als ich ahne.

      Ich gehe, von meinem Bruder Abschied zu nehmen. Der, wie ich ihn kenne, wird wohl mit diesem Römer-Gotenstaate sich versöhnen. Der schwarze Teja aber, denk’ ich, zieht mit mir davon.»

      *

      Am Abend durchlief die Stadt das Gerücht von einer Kapitulation. Die Bedingungen waren ungewiß. Aber gewiß war, daß Belisar auf Verlangen des Königs große Vorräte von Brot, Fleisch und Wein in die Stadt schickte, welche an die Armen verteilt wurden. «Er hat Wort gehalten!» sagten diese und segneten den König.

      Dieser erkundigte sich nun nach dem Befinden der Königin