Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027222049
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Blitz! Ihr schwingt ihn mit der ganzen Wut und Lust eures Herzens, und eure Feinde vergehn: und ihr lacht dazu: der Donner ist euer Gelächter! Ha, was war das?»

      Ein Blitz und ein Donner, der alle früheren übertraf, zuckte und krachte. Aspa fuhr vom Boden auf.

      «Was ist das für ein großes Haus, Aspa? Die dunkle Masse uns gegenüber? Der Blitz hat wohl gezündet: – brennt es?»

      «Nein, Dank den Göttern! Es brennt nicht! Der Blitz hat sie nur beleuchtet. Es sind die Kornspeicher des Königs.»

      «Ha, habt ihr fehl geblitzt, ihr Götter?» So schrie die Königin. «Auch die Sterblichen führen den Blitz der Rache.»

      Und sie sprang vom Fenster hinweg – und das Gemach war plötzlich dunkel.

      «Königin – Herrin – wo bist – wohin bist du verschwunden?» rief Aspa. Und sie tastete an den Wänden. Aber das Gemach war leer: und Aspa rief umsonst nach ihrer Herrin.

      *

      Unten auf der Straße wogte nach der Basilika von Sankt Apollinaris hin ein frommer Zug.

      Ravennaten und Goten, Kinder und Greise, sehr viele Frauen: Knaben mit Fackeln schritten voran, hinter ihnen Priester mit Kreuzstangen und Fahnen. Und durch das Brüllen des Donners und durch das Pfeifen des Sturmes scholl die alte, feierlich ergreifende Weise:

      dulce mihi cruciari, parva vis doloris est:

       malo mori quam foedari: major vis amoris est.

      Die Antwort aber des zweiten Halbchors lautete:

      parce, judex, contristatis, parce peccatoribus,

       qui descendis perflammatis ultor jam in nubibus.

      Und der Bittgang verschwand in der Kirche. Auch die nächsten Aufseher der Kornspeicher schlossen sich dem Zuge an.

      Auf den Stufen der Basilika, gerade der Tür der Speicher gegenüber, saß das Weib im braunen Mantel: still und furchtlos im Aufruhr der Elemente, die Hände nicht gefaltet, aber ruhig im Schoß liegend. Der Mann in der Sturmhaube stand neben ihr.

      Eine gotische Frau, die in die Kirche eilte, erkannte sie im Schein eines Blitzes. «Du wieder hier, Landsmännin? Ohne Obdach? Ich habe dir doch oft genug mein Haus angeboten. Du scheinst fremd hier in Ravenna?»

      «Ich bin fremd. Doch hab’ ich Obdach.» – «Komm mit in die Kirche und bete mit uns.»

      «Ich bete hier.» – «Du betest? Du singst nicht und sprichst nicht?»

      «Gott hört mich doch.» – «Bete doch für die Stadt. Sie fürchten, es komme das Ende der Welt.»

      «Ich fürchte es nicht, wenn es kommt.»

      «Und bete für unsern guten König, der uns Brot gibt alle Tage.» – «Ich bete für ihn.»

      Da tönte der waffenklirrende Schritt von zwei gotischen Runden, die sich an der Basilika kreuzten.

      «Ei, so donnre, bis du springst», schalt der Führer der einen Schar, «aber brumme mir nicht in meinen Befehl.

      Haltet an. Wisand, du bist’s? Wo ist der König? Auch in der Kirche?»

      «Nein, Hildebad, auf den Wällen.»

      «Recht so, da gehört er hin! Vorwärts, Heil dem König.» Und die Schritte verhalten.

      Da kam ein römischer Lehrer mit einigen seiner Schüler vorbei. «Aber Magister», mahnte der jüngste, «ich dachte, du wolltest in die Kirche? Warum führst du uns sonst aus dem Hause ins Freie bei diesem Unwetter?»

      «Da sagte ich nur, um euch und mich aus dem Hause zu bringen. Was Kirche! Ich sage dir, je weniger ich Dächer und Mauern um mich weiß, desto wohler ist mir. Ich führ’ euch auf die große, freie Wiese in der Vorstadt. Ich wollte, wir hätten Regen. Wäre der Vesuvius nahe genug, wie in meiner Heimat, ich dächte, Ravenna werde heut’ ein zweites Herculaneum. Ich kenne solche Luft, wie sie heute – ich traue nicht!» Und sie gingen vorüber.

      «Willst du nicht mit mir gehn, Frau?» sprach der Mann in der Sturmhaube zu der Gotin. «Ich muß sehen Dromon, unsern Gastfreund, jetzt zu treffen: sonst kommen wir diese Nacht wieder nicht unter Obdach. Ich kann dich nicht allein lassen im Dunkeln. Du hast kein Licht bei dir.»

      «Siehst du nicht, wie mir die Blitze leuchten? Geh’ nur, ich komme nach. Ich muß noch was zu Ende denken –, zu Ende beten.» Und die Frau blieb allein. Sie preßte beide Hände fest gegen die Brust und sah gegen den schwarzen Himmel: leise nur bewegten sich ihre Lippen.

      Da war es ihr, als sähe sie in den Hochgängen, Galerien und Oberhallen des gewaltigen Holzbaues der Speicher, die in dunkeln Massen ihr gegenüber lagen, aus dem steinernen Rundbau des Zirkus ragend, ein Licht auftauchen und hin und wieder, auf und abwärts wandeln. Es mußte wohl eine Täuschung durch die Blitze sein. Denn jedes frei getragene Licht hätte der Wind in den nach außen offenen Galerien verlöscht.

      Aber nein: es war doch ein Licht.

      Denn in regelmäßigen Zwischenräumen wechselte sein Aufleuchten und sein Verschwinden, wie wenn es hastigen Schrittes entlang den Gängen mit ihren verdeckenden Pfeilern und Halbmauern getragen würde. Scharf sah die Frau nach dem wechselnden Licht und Schatten… – –

      Aber plötzlich – o Entsetzen – fuhr sie empor.

      Es war ihr: als sei die Marmorstufe, auf der sie gesessen, ein schlafend Tier gewesen, das jetzt erwachend, sich leise regte, lebendig wurde – und schwankte, stark, – von der Linken zur Rechten. –

      Blitz und Donner und Sturm ruhten auf einmal.

      Da scholl aus den Speichern ein schriller Schrei. Hell aufflammte das Licht und verschwand plötzlich.

      Aber auch die Frau auf der Straße stieß einen leisen Angstruf aus. Denn jetzt konnte sie nicht mehr zweifeln: die Erde bebte unter ihr! – Ein leises Zucken: und plötzlich zwei, drei starke Stöße, als hebe sich wellenförmig der Boden von der Linken zur Rechten.

      Aus der Stadt her tönte Angstgeschrei. Aus den Türen der Basilika stürzte in Todesangst die laut kreischende Schar der Beter. – Noch ein Stoß! – Die Frau hielt sich mit Mühe aufrecht.

      Und fernher, von der Außenseite der Stadt, scholl ein gewaltiges dumpfes Krachen, wie von massenhaft stürzenden, schweren Lasten.

      Ein furchtbares Erdbeben hatte Ravenna heimgesucht.

      Einundzwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Während die Frau sich in der Richtung jenes dumpfen Schlages wandte, drehte sie einen Augenblick den Speichern den Rücken. Aber rasch wandte sie sich diesen wieder zu. Denn es war ihr, als sei eine schwere Türe zugefallen. Scharf blickte sie hin. Doch in der tiefen Finsternis konnte ihr Auge nichts wahrnehmen. Nur ihr Ohr hörte etwas sacht an der Außenmauer des Gebäudes dahin rascheln. Und sie glaubte, ein leises Seufzen zu vernehmen.

      «Halt», rief die Frau, «wer jammert da?»

      «Still, still», flüsterte eine seltsame Stimme, «die Erde hat darüber – vor Abscheu sich geschüttelt, gebebt. Die Erde bebt – die Toten stehen auf. – Es kommt der jüngste Tag, – der deckt alles auf. – Bald wird er’s wissen. – Oh. –» Und ein tiefgezogener Klagelaut – und ein Rauschen von Gewändern – und Stille.

      «Wo bist du? Bist du wund?» rief die Frau tastend.

      Da zuckte ein heller Blitz, der erste seit dem Erdstoß – und zeigte vor ihren Füßen liegend, eine verhüllte Gestalt. Weiße und dunkelblaue Frauenkleider. Das Weib langte nach dem Arm der Liegenden.

      Aber rasch sprang diese bei der Berührung auf und war mit einem Schrei im Dunkel verschwunden. Das Ganze war so rasch und ungeheuerlich wie ein Traumgesicht: nur eine breite goldene Armspange