Ludwig Anzengruber
Kalendergeschichten: Naturgeschichten & Sagen für das ganze Jahr
Die drei Prinzen + Wie mit dem Herrgott umgegangen wird + Eins vom Teufel + Der Verschollene…
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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-636-6
Inhaltsverzeichnis
Eine kleine Plauderei als Vorrede
Wie mit dem Herrgott umgegangen wird
Die Märchen des Steinklopferhanns
2. Die Gschicht vom Jüngsten Tag
3. Die Gschicht von der Maschin
5. Die Gschicht von dö alten Himmeln
Eine Geschichte von bösen Sprichwörtern
Eine kleine Plauderei als Vorrede
Es ist eine eigene Sache um das Kalendermachen, ich meine nicht, um das Aufteilen der Tage und das Zuteilen heiliger oder profaner Namen für einen jeden derselben, das Vorberichten von Mondes- und Sonnenfinsternissen, Aufzählen der Fest- und Fasttage und Anführen der Bauernregeln, welche so heißen, weil sich wohl die Bauern danach richten, aber leider nicht immer die Witterung, kurz, ich meine nicht das Zusammenstellen alles dessen, wovon laufenden Jahres über jeder Käufer jedes Kalenders aufs beste unterrichtet zu sein verlangt, sondern ich meine die Abfassung des erzählenden Teiles, denn der soll das Büchelchen dem Käufer wert machen, viel mehr wert, als die Pfennige oder Groschen, welche dafür ausgelegt werden. Den Kalendermann, der es mit den Jahreszeiten und Mondläuften zu thun hat, den plagen – wie einmal ein Dorfkomödiant als »Faust« deklamierte – weder Kruspel noch Zweifel, wenn für die Tanzlustigen der Fasching zu kurz gerät, oder für die Wanderlustigen Ostern gar spät fallen, so ist das nicht seine Sache und er steht über alle böswilligen Anwürfe erhaben, und spielt ihm ja einmal die Witterung den Schabernack und macht alle seine Vorhersagungen zu nichte, so wäscht er seine Hände wie Pilatus – mit Kleie hätt' ich bald geschrieben, der that es aber mit Wasser, wird wohl kölnisches gewesen sein, was der Herr Statthalter gebrauchte – und fragt: »Was ist Wahrheit?« Ganz anders dagegen verhält sich's mit dem Erzähler, der geht mit dem Bewußtsein der etwas bedrückenden Machtvollkommenheit ans Werk, daß er sich selbst gute oder böse Zeit, schönes oder schlechtes Wetter, Beifall oder Mißgunst schaffe und es ist viel leichter zu sagen, wie er sich dabei nicht anstellen soll, als wie er es zu machen habe.
Nehm' einer an, er hörte in einer Gesellschaft eine Geschichte erzählen, eine von jenen, welche man sich Zeitvertreibs halber gern einmal gefallen läßt, wo nach dem letzten Worte kein weiteres mehr not thut und keine Gedanken darüber auszutauschen sind und nichts nachklingt im Gemüte, doch würde er es gleich allen andern zufrieden sein und dem Erzähler zum Abschied freundlich die Hand bieten; wenn er nun aber in jeder Gesellschaft diesen Erzähler träfe und immer dessen Geschichte zu hören bekäme, so würde er – wir wollen christliche Gesinnung bei ihm voraussetzen – den Mann wohl nicht hassen, aber ihm thunlichst aus dem Wege gehen und es würde ihm zur großen Befriedigung gereichen, an dessen, wie er sie nun nennen würde, alberne Geschichte durch nichts erinnert zu werden.
Nun, eine solche Geschichte, die man sich gerne einmal gefallen läßt, bei der das letzte Wort wirklich das letzte ist und bleibt und keine Gedanken darüber auszutauschen sind und nichts im Gemüte nachklingt, die soll der Kalender-Geschichtenschreiber nicht bringen, denn der Kalender hängt das ganze Jahr über an der Wand, oder wird unzähligemal aus der Lade und zur Hand genommen und der Leser würde bei jedem Aufblättern an diese Leistung erinnert werden; im ersten Drittel des Jahres wäre er ihrer überdrüssig geworden, im zweiten bekäme sie, je nach Temperament des Beurteilers, eine mehr oder minder kräftige Klassifikation, aber nicht zum Guten, und im letzten hätte sie ihm den ganzen Kalender verleidet. Er kauft ihn nie wieder. Also sollte es wohl eine Geschichte sein, die man gerne auch des öftern liest, wo über das letzte Wort hinaus Gedanken sich fortspinnen und Gefühle nachklingen? Ei freilich!
Nun wüßte der Kalender-Geschichtenschreiber, was er sollte, aber – nicht kann; denn wenn er nichts anderes zu erzählen weiß, als was andere schon vor ihm erzählt haben, – von der alten Geschichte, die ewig neu bleibt und auch immer ihren Anwert findet, bis zur Schilderung all der andern tausendfältigen Lust und Qual, die das arme Menschenherz beglückt und bedrückt – dann müßte es in der Art schon ein ganz kapitales Stück von einer Erzählung sein, wenn sie ein volles Jahr vorhalten soll, und das ist doch von einer armen Feder, wie sie unsereiner führt, billigerweise nicht zu verlangen.
Aber der Kalender-Geschichtenschreiber braucht weder zu unternehmen, was er nicht soll, noch sich auf das einzulassen, was er nicht kann, weder langweilig zu werden, noch eine unmögliche Konkurrenz zu versuchen, er braucht sich bloß zu erinnern, daß er eben für einen Kalender schreibt, und wenn er dann die Arbeit seines Kollegen, der es mit den Jahreszeiten und Mondläuften zu thun hat, durchblättert, so wird er manches finden, vom Jahresregenten durch der Astrologie Gnaden bis hinunter zu den etwas dreisten Wettervorhersagungen von hundert Jahren her und auf hundert Jahre hinaus, das er gerne, je eher je lieber, hinausgeworfen sähe; aber sein Kollege wird ihm sagen: »Sachte, Freundchen, die Leute suchen danach, sie sind gewöhnt, all das Zeugs in einem richtigen Kalender zu finden und gegen Gewohnheit hilft nur das Abgewöhnen, und das braucht gute Weile. Zur Zeit der großen Revolution haben die Franzosen nebst dem Landes- und Himmels- auch den Jahresregenten abgesetzt, indem sie Knall und Fall einen neuen Kalender einführten, als es aber mit Knall der Flinten und Fall des Mordbeils vorbei war, da bekamen sie 'n alten Kalender wieder, mit 'm Jahresregenten und 'n Wetterprophezeiungen, und der zwölfte Monat hieß, wie vordem der zehnte, nämlich: Dezember.
Wenn sich dann der Kalender-Geschichtenschreiber vorhält, daß die Menschen in ihrem Herzinnersten auch so 'ne Art Kalender hätten, voll unheiliger Gedenktage, voll Namen arger und wunderlicher Heiliger, voll aber- und aftergläubiger