Der Bettler, der an der Pforte des Franziskanerklosters La Rabida erschöpft um Brot und Wasser flehte, sah sich am Ende seiner Hoffnungen. Er ist kein junger Mann mehr, Ende der Vierzig vermutlich, seine Haare sind völlig grau, seine Züge gefurcht, er hat so viel Erniedrigung und Bitternis kennengelernt, so viel vergebliche Arbeit getan, so viel Seelenglut verschwendet, so viel Hohn und Abweisung erfahren, daß es ihm genug dünkt, um sich hinzulegen und zu sterben.
Dieser tiefste Punkt der Lebenskurve ist der Beginn des Aufstiegs. Um ihn zu ermöglichen, hat die Vorsehung zwei ungewöhnliche Männer in das entlegene Kloster versetzt, den ehrwürdigen Prior Juan Perez, der einst im Schatzamt gedient hat, Beichtvater der Königin war und, des weltlichen Glanzes müd, in der Zurückgezogenheit der Zelle frommen Übungen und gelehrten Arbeiten obliegt, und den Mönch Antonio de Marchena, einen stillen Träumer, der sich ebenfalls mit kosmographischen und liebevoller noch mit astrologischen Studien beschäftigt.
Das geistig leidende Gesicht, die hohe hagere Gestalt, das pathetische Wesen, der fremdartige Dialekt des Hilfeheischenden fallen auf. Man fragt ihn, wer er sei. Er antwortet: »Ich nenne mich Cristobal Colón, bin ein Seefahrer aus Genua und muß betteln, weil die Könige die Reiche, die ich ihnen anbiete, nicht annehmen wollen.«
Wundervoll donquichotisch gesprochen, unvergleichlich erfundene Worte, falls sie erfunden sind. Die Nachwelt dichtet ihre Unsterblichen in der reinen Idee weiter, die sie während ihrer irdischen Laufbahn vielleicht nicht völlig zum Ausdruck gebracht haben.
Eines solchen Sonderlings muß man sich versichern. Man gewährt ihm Gastfreundschaft. Er überrascht durch seine Kenntnisse, seine tiefen Spekulationen, die Erzählung ungewöhnlicher Erlebnisse, seine überlegene Haltung, den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Die Gespräche dehnen sich Nacht für Nacht bis in den Morgen. Auf seinen Karten zeigt Columbus den Weg, den er einschlagen will, seine Beweisführung ist schlagend, seine Eloquenz unwiderstehlich. Er macht keinen Hehl daraus, daß er, wie schon früher, auch nach seiner Flucht aus Portugal durch Vermittlung seines Bruders Bartolomé abermals England und Frankreich seine Dienste angeboten habe; der Prior, Feuer und Flamme, erklärt, ein Projekt von solcher Tragweite dürfe der spanischen Regierung nicht vorenthalten bleiben. Aus der benachbarten Hafenstadt Palos werden Sachverständige berufen, darunter Alonso Pinzon, der nachmals, bei der ersten Ausfahrt des Columbus, eine der drei Karavellen befehligt und unter allen Seeleuten der Epoche die genialste Form des Mutes besitzt. Der Plan findet die Zustimmung der erfahrenen Männer, sie halten seine Ausführung durchaus für möglich, der Prior ermuntert Columbus, an den Hof nach Cordova zu reisen und gibt ihm ein dringliches Empfehlungsschreiben an den allmächtigen Hernando de Talavera mit, den jetzigen Beichtvater der Königin Isabella.
Columbus, unverbrüchlich sanguinisch wie alle fahrenden Ritter, sieht schon vollendet, was kaum erst keimt und macht sich frohgestimmt nach Cordova auf.
Wieder erweist sich die Zeit als ungünstig. Ferdinand und Isabella führen Krieg gegen die Mauren. Die Staatskassen sind leer, das königliche Paar ist in Bedrängnis und hat wenig Interesse für die phantastischen Vorschläge eines Unbekannten, Talavera verbirgt seine Skepsis nicht, der Erzbischof von Toledo, bei dem er sich Gehör verschafft, will sich durch keinen Bescheid binden, der reiche Herzog von Medina-Celi, der eine Schwäche für seefahrende Abenteurer hat, ist geizig, vorsichtig und launenhaft. Der armselige Aufzug, in dem Columbus bei Hof erscheint, trägt nicht dazu bei, sein Ansehen zu erhöhen. Man schickt ihn von einem großen Herrn zum andern, von Vorzimmer zu Vorzimmer, er folgt dem Hof nach Salamanca, sucht alle Welt für seine Ideen einzunehmen, wird von aller Welt vertröstet, belächelt, verspottet, und nach heißen Mühen gelingt es ihm endlich, daß er vor die Königin treten darf. Es geschieht auf Fürspruch des glaubensstrengen Erzbischofs von Toledo (er ist Großkardinal von Spanien), der nach ängstlichen Erkundigungen die Überzeugung gewonnen hat, daß in den Absichten des Genuesen nichts enthalten ist, was der Heiligen Schrift widerspricht, daß er sich vielmehr ausdrücklich und unverdächtig auf die Worte des Propheten beruft, nach denen »die Enden der Erde zusammengebracht und alle Völker, Zungen und Sprachen unter der Fahne des Heilands vereinigt werden sollen«.
Die Königin, in ihrer Meinung von den kirchlichen Würdenträgern abhängig, hört den Bittsteller an, zweifelt, begreift nicht recht, kann sich aber gleichwohl des seltsamen Eindrucks nicht erwehren, den der beunruhigend redebegabte, innerlich flammende Mensch auf sie macht. Wahrscheinlich erregt er nebstbei ihr weibliches Mitleid; sie ist eine gutherzige Frau trotz allen rabiaten Glaubenseifers. Das Verhältnis zwischen der Herrin und dem treuesten ihrer Diener enthält auch in der Folge geheimnisvolle Zartheiten. Fast in jedem der späteren Briefe des Columbus an sie schwingt im Verborgenen ein Ton, der weniger der Fürstin als dem Weib gilt und der sie bewegt haben muß, so daß sie ihn gegen seine geschäftigen Feinde in Schutz nimmt und seine Torheiten mit Nachsicht behandelt. Er gewinnt ihr Vertrauen durch seine expressive, sehr spanische Frömmigkeit, und da sie eine geborene Herrscherin ist, fühlt sie instinktiv die schicksalsvolle Willensgewalt in dem Manne und daß seine Versprechungen was ganz anderes sind als Windmacherei. Sie beschließt, eine Junta soll die Thesen und Behauptungen des Fremdlings prüfen und ein Gutachten darüber abgeben, und um seiner offensichtlichen Bedürftigkeit zu steuern, bewilligt sie ihm bis zur Erledigung seiner Angelegenheit ein kleines Wartegeld. So kann er sich wenigstens als Angestellter der Krone betrachten und seine Sache mit legitimem Hinweis betreiben.
Doch standen ihm noch Jahre qualvollen Harrens bevor, des vergeblichen Ansturms gegen höfische Umtriebe und kirchliche Vorurteile, und gewisse Andeutungen in seinen Briefen sowie die ganze Anlage seines Charakters lassen darauf schließen, daß in dieser Zeit die Verzweiflung sein seelisches Gleichgewicht aufs bedenklichste gefährdete.
Viertes Kapitel.
Rechenschaft, Bittgänge, Vagabondage und wahnwitzige Forderungen
Befohlenermaßen versammelte sich die Junta, und zwar im Dominikanerkloster zu San Estéban in Salamanca, in welchem Columbus auch eine Wohnung angewiesen wurde. Es war die Jahreswende 1486 zu 87. Colón wird gerufen, er soll seine Entwürfe vortragen und erläutern. Was das Ergebnis betrifft, sind die Urkunden nicht mißzuverstehen: die gelehrten Würdenträger, mit Ausnahme des Fray Diego de Deza, Professors der Theologie, verhielten sich durchaus ungläubig und ablehnend.
Religion und Wissenschaft waren zu jener Zeit in Spanien identische Disziplinen. Die Inquisition hatte ihre größte Machtentfaltung erlangt, jede der Ketzerei verdächtige Meinung setzte ihren Bekenner blutiger Verfolgung aus. Daß das fromme Tribunal auch in diesem Fall voreingenommen war, erhellt aus seiner Verfassung und seinem Geist; Columbus erschien nicht so sehr als Beauftragter in königlicher Sache denn als Delinquent, dessen Irrtümer und Verfehlungen gerichtet werden sollten. Jedenfalls galt er für einen Glücksritter, am mildesten betrachtet für einen Volksverführer und mußte sich von Anfang an in eine feindliche Position verschanzen.
Der wesentlichste Einwurf war: Nachdem tiefe Philosophen die Gestalt der Welt zum Gegenstand ihrer Untersuchungen gemacht und tüchtige Seefahrer seit Tausenden von Jahren vertrauenswerte Zeugnisse beigebracht, sei es eine starke Anmaßung für einen gemeinen Mann, zu behaupten, eine so große Entdeckung, wie er sie verheiße, sei ihm vorbehalten. Es widersprächen dem die Psalmen Davids, die Aussprüche des heiligen Chrysostemus, des heiligen Hieronymus, des heiligen Gregorius, heiligen Basilius und heiligen Ambrosius. Vor allem war eine Stelle aus dem heiligen Lactantius im Wege, die lautet: »Ist wohl irgend jemand so von Sinnen, daß er glaubte, es gäbe Antipoden, die mit ihren Füßen gegen die unseren stehen, Menschen, die mit in die Höhe gekehrten Beinen und herunterhängenden Köpfen gehen? Daß eine Gegend der Erde existiere, wo die Dinge unterst zu oberst sind, die Bäume abwärts wachsen und es in die Höhe regnet, hagelt und schneit? Der Wahn, daß die Erde rund sei, ist die Ursache der törichten Fabel von den Antipoden mit den Füßen in der Luft, und solche Personen gehen in ihren Ungereimtheiten von dem anfänglichen Irrtum immer zu neuen Irrtümern und leiten einen aus dem andern ab.«
Auch der heilige Augustinus erklärt die Lehre von den Antipoden