Onkel Karls Erscheinen wurde hier mit etwas ehrfurchtsvollem Mißtrauen begrüßt, aber er erwarb sich bald aller Sympathie, als er mit anerkennendem Kopfnicken Kritik zu üben begann, einige elegante Bewegungen der Schwimmer unverholen lobte und diese dadurch zum höchsten Wetteifer anstachelte. Aus dem, was Onkel sagte, entnahm man sogar, daß er — besser noch als der Oberschwimmeister selbst — dieses und jenes schwierige Kunststück fertigbringe.
Zu aller Überraschung machte aber Onkel Karl — den eine Gänsehaut überschauert hatte — plötzlich kehrt und ging ein bißchen eilig vorn nach dem Eingang in die Zelle des Bademeisters. Die Neugierigen, die hinter ihm hergelaufen waren, harrten geduldig auf sein Wiederkommen und ergingen sich in den kühnsten Mutmaßungen. Als er dann endlich erschien, sahen sie zu ihrer Überraschung einen geheimnisvollen Apparat auf seinem Rücken befestigt: Onkel trug — mit Riemen wie einen Tornister umgeschnallt — ein paar ungeheuere, offenbar leere Konservenbüchsen, die rechts und links von je drei Schweinsblasen, flankiert waren. Auch hinten, gerade über dem Totenkopfemblem, war eine extra große Schweinsblase an der Badehose befestigt und in beiden Händen trug er ein paar mit Korken vollgestopfte Fischnetze.
Etwas Außerordentliches war nach diesen außerordentlichen Vorbereitungen zu erwarten; die Bewegung pflanzte sich durch die ganze Anstalt fort, und selbst Leute, die sich gerade erst ausgezogen oder noch beim Ankleiden waren, kamen aus ihren Zellen gestürzt, um Zeugen des Schauspiels zu werden.
Mit prüfenden Blicken ging Onkel Karl den Gang entlang. Plötzlich machte er halt und schnallte die Fischnetze an die Füße. „Wenn ick se mir nehmlich jleich anmache, kann ick nich loofen“, erklärte er, aufsehend, den Umstehenden. Man fand das begreiflich, war aber einigermaßen überrascht, als er die Treppe zu dem Kinderbassin hinabstieg, die große Zehe vorsichtig ins Wasser steckte, ein wenig plätscherte und dann mit den naßgemachten Händen behutsam die Herzgegend und die Schulterhöhlen anfeuchtete.
Und dann glitt er plötzlich — ganz sanft und still — ins Wasser, steckte den Kopf ein wenig hinein und tauchte mit einem Gesicht auf, das für seine Leistung Staunen und Bewunderung heischte. Da er aber ringsum nur starre und verblüffte Mienen sah, begann er, wie ein Ungeheuer zwischen Gnomen, von den Schweinsblasen und Konservenbüchsen getragen, langsam zu paddeln, spuckte wie ein Delphin kräftig nach rechts und links und schrie, wenn ihm die Jungen nicht rasch genug auswichen: „Platz da — Bahne frei!“
Noch immer standen die Zuschauer da oben Kopf an Kopf und warteten auf die Weiterentwicklung der Dinge. Onkel Karl, der zu ahnen schien, daß man eine Erklärung von ihm fordere, suchte sich aufzurichten, aber die Korke rissen seine Beine immer wieder empor. Da steuerte er entschlossen der Treppe zu, bekam, indem er die Beine dort festklammerte, Grund unter die Füße, hob — wie einen Schwanz — die Schweinsblase über Wasser, das das Emblem wieder sichtbar wurde, und gab die nach seiner Meinung nötige Erklärung ab: „Die Konservenbicksen ha ick mir umjeschnallt, weil mir neilich een paar Lausejungs die Schweinsblasen uffjepiekt hatten, det ick beinahe atrunken wär! Seitdem jeh ick ooch nich mehr in det Bassäng von die Jroßen, die Jeschichte is mir doch zu jefährlich. Diesen Apparat, den ick schonst zut Patentieren anjemeldet, is ibrijens so sicha, det man mit üban Equator schwimmen kann!“
Nach dieser Erklärung glitt Onkel Karl, gleichsam, um den Schwimmapparat allen Interessenten praktisch vorzuführen, wieder ins Wasser, unbekümmert um den Tumult, der sich erhob. Es tat ihm auch nichts, daß man ihm „Nauke, Fatzke, Domino!“ zurief, denn unter hämischen Neidern hatten seit Bestehen der Welt alle großen Erfinder zu leiden gehabt.
Übrigens sah er mit Befriedigung, wie seine durch reichliche Zigarrenspenden gewonnenen Freunde, die Schwimmeister, Ruhe und Ordnung zu schaffen versuchten. Unbequem wurde ihm nur das Rudel Jungen, das ihm im Wasser das Geleit gab, auf den Konservenbüchsen die Melodie „Du bist verrückt, mein Kind“ zu trommeln versuchte und ihn dadurch zwang, hinter den Attentätern herzujagen. Wenn er dann aber wirklich einen erwischt hatte und ihn zur Strafe tauchen wollte, setzten sich auf jeder Seite gleich drei oder vier auf seine Büchsen, bis dann — unter entsetzlichem Hallo — der ganze Knäul unterging.
Schließlich machte der Oberschwimmeister dem Spektakel ein Ende, winkte Onkel energisch an die Treppe und gab ihm mit den anderen Schwimmlehrern sicheres Geleite bis in seine Zelle.
„Sontags derfen Se so wat doch nich machen — wochentags, frieh um sechse, will ick nischt jejen sagen“, bemerkte er ein wenig ärgerlich.
„Nee, sonntags is det keen Baden nich“, stimmte ihm Onkel Karl bereitwillig zu, „die scheene Blase hinten haben se mir wa’haftich abjerissen!“
„Seien Se froh, det Se keene Keile jekriecht haben“, sagte der eine Schwimmeister, „Se sollten doch lieba rejelrecht schwimmen lernen.“
„Wozu ha’ick det netich mit meen Patentapparat, ooch noch in meene Jahre wie son Fisch an die Angel zappeln und mir abquelen — nich in die Lameng!“
Und dann, nachdem er eine Handvoll Zigarren hinausgereicht, verschwand er in seiner Zelle, rieb sich tüchtig ab, frisierte sich und kam nachher, kaum erkannt, als respektabler Herr zum Vorschein.
Da ihn ein wenig fröstelte, beschloß er, im Saal des Etablissements am Büfett einen Kognak zu trinken und begab sich, wohlgemut seinen Spazierstock schwingend, dorthin.
Tantes Hausschneiderei
„Na, Kindakins, macht ma’ ’n bisken Platz“ — sagte Onkel Karl wohlwollend — „laßt mir ma’ durch! Wa’m jeht ihr denn nich ooch rin und scherbelt?“
Da er Miene machte, den jungen Mädchen, die sich am Eingang des Tanzsaals drängten, in die Backen zu kneifen und sie zu streicheln, wichen sie, die Hände zur Abwehr vorgehalten, lachend zurück.
Im Saal selbst kam er erst gar nicht vorwärts, stand festgekeilt in der Menge der Neugierigen, die den Tanzenden zusahen, und mußte abwarten, bis die Kellner — die Tabletts auf hochgehobenen Händen balanzierend — durch den Schreckensruf: „Achtung! Fettflecke!“ einen Weg zum Büfett bahnten.
Das Scharren der Füße übertönte fast das Klavier, aber die Melodien waren ja allen bekannt und wurden mitgesummt:
„Mit meiner Mandoline,
Die mit mir weint und lacht,
Vertreibe ich die Zeit mir,
Bei Tage und bei Nacht!“
Dann mit jähem Ruck — verstummte das Klavier, der „Tanzmaître“, ein kleiner, vierschrötiger Mann mit gutmütigem Bulldoggengesicht, sammelte die Groschen ein und lief hin und wieder den „Nassauern“ nach, die das Geld plötzlich reute, und die nun, ihre Dame im Stich lassend, im Gedränge zu entkommen suchten.
„Wei—ta!“ schallte, als der Rundgang beendet, das Kommando des Tanzmeisters, dann folgten die Schlußtakte der Melodie, und die Pärchen suchten die Plätze ringsum an den Saalwänden auf.
Onkel Karl hatte am Büfett seinen Kognak bekommen, ihn hinuntergestürzt und suchte jetzt, weil ihm die Luft zu heiß und stickig war, schleunigst den Saalausgang wieder zu erreichen. Aber plötzlich duckte er sich, tauchte dann vorsichtig wieder auf und spähte — das linke Auge zugekniffen, als ziele er — drüben nach der Ecke.
Dort, in der Nähe des Klavierspielers, stand eine Gruppe junger Männer, die sich, nach der Art, in der sie sich gaben, offenbar als Helden der Situation fühlten. Die Konfektionseleganz, mit der sie gekleidet, das Siegerlächeln, das sie für die vorüberwirbelnden Mädchen hatten, die Vertraulichkeit gegen den Klavierspieler und die Verachtung gegen die Kellner — all das unterschied sie auffallend von den übrigen Gästen, den Studenten, jungen Künstlern und Kaufleuten, die sich hier mit ihren Bekanntschaften — Ladenmädchen, Modellen,