Sebastians Lippen öffnen sich einen Spalt. »Aber du bringst mich nicht zurück.«
Jetzt entfährt Pack ein bitteres Lächeln. »Scheiße, nein. Ist auch besser so für dich. Wir würden wahrscheinlich nicht mal bis zur Grenze kommen, bevor uns entweder eine Horde an Fans tottrampelt oder uns jemand vom Militär in die Finger kriegt. Nicht viele wissen, dass es Überlebende aus der Anstalt gibt. Aber die, die noch übrig sind, werden heiß gehandelt.«
Wieso redet Pack so lange um den heißen Brei? »Woher zur Hölle weißt du das alles?«
»Von meinem Vater. Er hat keine Ahnung, dass ich all diese Dinge erfahren habe.« Ein Grinsen erstreckt sich auf Packs stoppeligem Gesicht. »Bis jetzt. Ich will ausnutzen, dass er das Sicherheitsleck in seiner Datenbank noch nicht entdeckt hat.«
»Sag bloß, du bist der Sohn irgendeines Staatschefs. Einen Prinzen könnten wir auf unserer Seite gut gebrauchen.« Neptunes Murmeln ist kaum hörbar.
Pack verzieht die Lippen und schüttelt den Kopf. »Hast du noch Waffen bei dir?«, wendet er sich an mich.
Was soll dieses beschissene Herumgerede? »Möglich.«
»Du hast meinen Vater bereits getroffen.« Pack lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich bin ein O’Leary.«
»Was?«
Bevor ich nur einen Schritt tun kann, ist Neptune bei mir und packt mich am Kragen. »Beruhig dich! Hören wir uns doch erst mal an, was er zu sagen hat. Dann kannst du ihn umnieten, wenn du es noch immer willst.«
»Kann er nicht, weil ihr mich brauchen werdet. Aber wenn du dich abgeregt hast, kann ich erklären, wieso ich hier bin.«
Neptune drückt mich in einen Stuhl und ich lasse es geschehen. Es macht mich krank, nur in der Nähe dieser Familie zu sein.
Robert.
Vivien.
Alle spielen sie ihr durchtriebenes Spiel. Pack auch?
»Unter uns allen hier bin ich der, der ihn am meisten hasst, glaubt mir. Die Vergangenheit war nicht leicht. Er ist ein schrecklicher Mensch und ein noch schrecklicherer Vater. Zumindest für mich.« Der Hass, der sich plötzlich in Packs Augen spiegelt, lässt mich die Lider zusammenkneifen.
»Was ist passiert?«
»Dinge, die mich sein Leben zerstören lassen wollen. So wie er mein Leben zerstört hat. Mehr müsst ihr nicht wissen.«
»Wahnsinnig glaubwürdig.« Helena schürzt die Lippen. »Du könntest ein Spion sein. Oder irgendein Fußsoldat meines Vaters.«
»Ein Fußsoldat würde wohl kaum die Dinge wissen, die ich weiß.«
»Bis jetzt hast du uns noch nicht an deinem allumfassenden Wissen teilhaben lassen.« Mein Tonfall ist bitter. Irgendetwas stimmt mit dem Typen nicht. Vielleicht, weil er O’Leary so gar nicht ähnlich sieht. Er ist um einiges größer als sein Vater und hat auch dessen runde Gesichtsform nicht geerbt. Mit seinem Kurzhaarschnitt und dem strengen Kiefer erinnert er mich eher an Carter. Eher an einen … Soldaten. »Wo hast du gedient?«
Pack sieht nicht im mindesten überrascht aus. Doch das Verkrampfen seines Kiefers verrät mir, dass ich einen Nerv getroffen habe. »Überall, wo es richtig schlimm ist.« Er holt einmal tief Luft und sieht auf seine Finger, die er nun ineinander verschränkt auf die Tischplatte legt. »Wir sind wie Ungeziefer durch Erdgänge gekrochen, damit uns der Schädel nicht von irgendwelchen Kugeln weggeblasen wird. Ungeziefer, das anderes Ungeziefer tötet. Mehr waren wir nicht.« Nach ein paar weiteren Sekunden Stille hebt er den Kopf und blickt mir direkt in die Augen. »Aber nicht der Krieg hat mein Leben versaut, sondern mein Vater. Jetzt bin ich an der Reihe, ihm alles zu versauen.«
»Alles?«
»Seine Geschäfte.« Packs Blick verfinstert sich. »Tyler wird der nächste sein, der verkauft wird.« Er sagt das, als wäre es keine große Sache.
Ein Blinzeln vergeht, bevor ich realisiere, was er meint. Und trotzdem will ich es nicht wahrhaben. »Wen noch?« Meine Stimme ist belegt.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich Helena und Neptune einen kurzen Blick zuwerfen. Jeder von uns weiß es. Aber keiner will es aussprechen.
Mein Herz schlägt gegen meine Rippen. Das kann nicht sein. Scheiße. Verdammt. Dieser Scheißkerl hat meine Freundin verkauft. Wahrscheinlich an irgendeinen Perversen.
Als Pack wieder spricht, gefriere ich abrupt auf der Stelle.
»Shinji.« Pack beginnt seine Aufzählung.
Ich schließe die Augen.
»Lynn.«
Mein Kiefer verkrampft sich. Noch ein wenig fester, und mir fliegt der ganze Kopf weg. Ich fürchte, dass noch ein Name folgt. Verdammt, ich bete nie, aber für einen kurzen Moment schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel. Ich schließe die Augen. »An wen hat O’Leary sie verkauft?« Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort hören will, aber ich muss.
»An deinen Vater.«
3. Kapitel
Young life is breathed
On the glass;
The world that was not
Comes to pass.
Ecce Puer– James Joyce
Cameron
Die Fingernägel in meinen Fäusten graben sich in das Fleisch meiner Handfläche. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Druck die Haut durchbricht. Hitze brennt in meinem Nacken, bahnt sich ihren Weg hinauf bis zu meinem Schädel.
Das kann nicht sein. Pack lügt. Was sollte mein Nichtsnutz von einem Vater damit zu tun haben? Er hat sich mein ganzes Leben von Liam, Riley und mir ferngehalten. Was sollte er also damit zu tun haben, außer …
»Das russische Militär.« Scheiße. Wie soll ich Crys in Russland jemals finden? Wie soll ich über die Grenze kommen, wenn Carter mir nicht hilft? »Scheiße!« Ich trete nach einem der Holzstühle am Küchentisch, der darauf quer durch den Raum fliegt.
Mit schwerem Atmen raufe ich mir die Haare.
Mit einem langen Seufzen streiche ich mir über das Gesicht. Meine Bartstoppeln kratzen an meinen Fingern. Diese ganze Situation nimmt Ausmaße an, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
Pack fährt sich durch die kurzen blonden Haare. »Dein Vater-«
Ich schneide ihm das Wort ab. »Ich habe keinen Vater.«
Neptune schürzt den Mund. »Das ist wohl biologisch kaum möglich.«
Zum ersten Mal verirrt sich ein schwaches Lächeln auf Packs Lippen. »Glaub mir, du hast einen.«
»Ist er scharf? Männer in Uniform sehen immer gut aus.«
»Neptune«, warnt Helena.
»Man wird ja noch fragen dürfen.«
»Scharf, im Sinne von Oberer-Rang-Scharf.«
Neptune schlägt sich auf den Oberschenkel. »Wusst ichs doch.«
Je länger wir über diesen Versager reden, desto übler wird mir. »Wie weit oben?«, presse ich durch meine Zähne hervor.
»So weit oben, dass er die Befugnis hat, sechsstellige Beträge für deine Freundin auszugeben.«
Ich schließe die Augen. Seit Wochen habe ich nach irgendeiner Spur gesucht. Irgendeiner. Und jetzt fällt sie mir einfach so vor die Füße. Einfach so. »Wieso brauchst du uns für deinen persönlichen Rachefeldzug?« Ich blinzle.
»Ich beobachte euch schon, seit ihr aus der Anstalt geflüchtet seid. Jeder von euch hat etwas, das ich brauche. Das Geld von Neptunes Eltern hätten wir bereits abgehakt.« Sein Blick schweift zu Neptune. »Und dann wäre da noch