»Und weißt du, wem die Firma gehörte?«
»Woher sollte ich?«, gab sie zurück.
»CEAG. Sie gehört zum Quandt-Imperium. Vielmehr gehörte. Sie haben sie kurz danach verlagert und später verkauft.«
»Bisschen viel Pech.«
»Bisschen viel Quandt.«
Es war Samstagnacht, sie lagen im Bett, durch das Dachfenster über ihnen strahlten tausend helle Sterne, während sie sich an ihn schmiegte und den Naturpelz streichelte, der sich auf seiner Brust kräuselte. Was sollte sie auch sagen? »Komm. Lange her.«
Er schob ihre Hand weg. »Keiner von denen hat sich je entschuldigt.«
»Was können die denn dafür, was die Alten gemacht haben?«
»Alles, was die geerbt haben – und die schwimmen im Geld! –, hatten die am Krieg verdient. Das Mindeste wäre gewesen, dass sie die Kohle abgeben hätten. Als Entschädigung für die Kinder und Hinterbliebenen von den über tausend Zwangsarbeitern, die für die AFA krepiert sind.«
Sie setzte sich auf. »AFA?«
»He!« Er zog an der Decke, die verrutscht war.
»AFA kenne ich«, sagte sie. »Mein Opa war da.«
»Echt? Und was hat er erzählt?«
»Nix. Der ist kurz nach dem Krieg gestorben. Erzähl du!«
Er legte den Kopf in ihren Schoß und suchte ihren Blick. »Die heißen heute Varta. Damals haben die Batterien für U-Boote gebaut. In einem eigenen KZ, wo Häftlinge mit hochgiftigen Stoffen arbeiten mussten. Jeden Monat sind an die Hundert krepiert.«
»Mein Opa ist an einer Bleivergiftung gestorben.«
Ihr dämmerte, wie er sich fühlte. Die Wut.
Sie selbst hatte sich vorher nie wirklich Gedanken gemacht. Er empfand sich als Gescheiterter. Gescheitert am System. Das Schwache aussortierte, übervorteilte und ausbeutete. Aufgrund seiner Rechtschreibschwäche hatte er die Schule nicht abschließen, nicht studieren können. »Wir sitzen im Pisspott«, sagte er. »Draußen tobt der Sturm und wir träumen davon, reich und mächtig zu sein. Dass ein Wunder passiert. Manntje, Manntje, Timpe Te! Statt in die Hände und den Machthabern ins Gesicht zu spucken!«
Sein Hass richtete sich gegen alles, was dazu angetan war, ihn den Geschäftemachern dieser Welt auszuliefern. Daher trug er nie Marken, kaufte nur das Nötigste beim Discounter, besaß kein Smartphone, keinen Computer, und wenn er über andere Rechner im Internet surfte, nutzte er den TOR-Browser.
Die Kö war für ihn eine No-go-Area. Der Protz. Das Publikum. Schon der Name … Bis er von den Pferdeäpfeln erfuhr. Das fixte ihn an: 1848. Deutsche Revolution. Na ja, hat ja nicht geklappt. Damals hieß sie noch Kastanienallee. Als König Friedrich Wilhelm, der – keine Ahnung, fünfte oder was – in seiner Kutsche da entlang fuhr, wurde er mit Pferdeäpfeln beworfen. Total harmlos. Aber den Düsseldorfern war das so peinlich, dass sie die Straße »Königsallee« nannten, um ihm in den Arsch zu kriechen.
Er grinste. »Vielleicht wollten sie ja gerade, dass man immer daran denken sollte.«
Das Wort »Attentat« hatte seitdem in der Luft gelegen. Als er auf ihrem Smartphone auf den Wikipedia-Eintrag zum Kö-Center stieß, begann sie zu britzeln. »Weißt du, wem das Grundstück gehörte? Den Quandts! Auf dem sogenannten quandtschen Trümmergrundstück wurde der Tempel errichtet, in dem sich heute die Superreichen tummeln. Die Arschlöcher haben sich noch an den Ruinen ihrer Besitztümer doof und dämlich verdient!«
Er erzählte ihr von seinem Plan, und etwas brach in ihr auseinander. Ein Hälfte in ihr schrie: »Nein, bitte nicht!« Die andere: »Ja! Tu’s!«
Letzten Endes blieb ihr keine Wahl. »Nein« hieß die Gewissheit, ihn zu verlieren. Es gab eine Chance. Sie konnte dafür Sorge tragen, dass es gelang. Dass es ein Danach gab.
Sie war diejenige, die so oft in die Höhle des Löwen ging, bis er genau wusste, was wo wann wie ablaufen könnte. Die keinem auffiel. Auf keiner Kamera identifizierbar sein würde und wäre. Die auch ihm helfen konnte, unidentifiziert zu bleiben.
Alles hatte sie versucht, zu bedenken. Zu beachten.
Was sie nicht beachtet hatte: die Fische. Die stumm in dem Aquarium rumschwammen, das den Außenbereich des japanischen Restaurants gegen die Vorbeiflanierenden abgrenzte. Sie hatte auf den Sockel geachtet. Hinter dem sie die Tasche nach dem ersten Knall fallen gelassen hätte, um verschreckt wegzurennen. Er wäre dahinter gehechtet, wie wohl alle sich hinter irgendetwas ducken würden, wenn es knallt, hätte Weste und Mütze entnommen, im Schutz des Sockels blitzschnell gewechselt und sich mit der Tasche unter die anderen gemischt, die in Panik weggelaufen wären.
Stattdessen war sie mit der Tasche weggerannt. Nach dem ersten Knall. Der nicht von ihm kam. Er hatte den großen Fischen lediglich die Lichter auspusten wollen. Ähnlich harmlos wie Pferdeäpfel werfen. Stattdessen wurde ihm das Licht ausgepustet. Sie hatte hinter dem Aquarium in Habachtstellung gestanden, als er sich näherte und auf der anderen Seite Position bezog. Ein harmloser Passant in unauffälliger Weste, Schirmmütze in die Stirn gezogen. Im selben Moment, als er die Pistole zückte und auf die zentrale Deckenleuchte richtete, riss einer der Sicherheitsleute, als harmloser Passant mit unauffälliger Weste getarnt, Schirmmütze in die Stirn gezogen, seine unter der Achsel hervor und schoss. Die Detonation schleuderte Tareks Kopf gegen das Glas. Sie sah in Zeitlupe eine rote Kaskade auf sich zukommen. Die rote Fontäne der Austrittsstelle am Kopf, den rot funkelnden Splitterregen berstender Glaswände, der sich im Aquarium ausbreitete, auf der anderen – ihrer – Seite blitzend zerstob, durchsetzt von einem rotschlierigen Wasserschwall. Der kalte Guss, der sie aus der Millisekundenstarre riss, von oben bis unten durchnässte und in die Tasche schwappte. Sie rannte, wie sie da stand, los. Ihr Schreien, das Stakkato ihrer High Heels mischte sich in das Kreischen und Sohlenklackern der panisch Davonstiebenden, in das Krachen umstürzender Stühle und Aufsteller. Sie erreichte den Ausgang, die Straße, warf sich in ein Taxi, zitternd, nannte zähneklappernd einen zentralen Platz zwei Häuserblöcke von ihrer Wohnung entfernt, die Fragen des Fahrers rauschten an ihr vorbei wie der Verkehr, in den der Wagen sich einfädelte, sie blickte starr geradeaus, selbst als das Auto anhielt, erst als der Mann sie anstupste, zuckte sie zusammen, griff in die Manteltasche, in der der passende Schein steckte, stieg aus und rannte weiter.
Als sie den durchnässten Inhalt der Tasche in die Wanne kippte, sah sie ihn zappeln. Den kleinen Fisch. Der überlebt hatte.
Sie würde ihn Tarek nennen. »Der helle Stern.« Weil er sie erinnerte. Wie der Blick aus dem Dachfenster jede Nacht.
»Allahu akbar«, hätte er geschrien, als er die Pistole zückte, sollte der Sicherheitsmann später aussagen. Zeugen meinten, Ähnliches gehört zu haben. Der Migrationshintergrund schwappte durch die Medien. Eine Verbindung zu einschlägigen terroristischen Gruppierungen ließ sich nicht nachweisen. Genauso wenig wie zu ihr. Eine vollkommen unauffällige Diskobekanntschaft. Ein vollkommen harmloser Anschlag. Ein vollkommen harmloser kleiner Fisch, der für immer stumm bleiben würde.
Irgendwann später verstand sie, dass das »quandtsche Trümmergrundstück« mit einem einfachen »t« geschrieben wurde. Dass die Familie Quandt – die mit dt – mit der Kö gar nichts zu tun hatte, machte die Sache nicht besser.
Die großen Fische nahmen sich nichts.
Durchdieblume
ich traeume, dass ich traeume, also traeume ich mich | blume (michael johann bauer)
oder traeume ich – weil ich blosz traeume, dass ich traeume – nicht in