Der veruntreute Himmel. Franz Werfel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726511307
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zwischen uns und dem Gebirgsstock verschwand in einem nebligen Blau, in dem jede Form verdunstete. Nur eine Fabriksirene und ein paar in der Ferne ratternde Autos bewiesen, daß es in dieser verschwimmenden Mulde noch menschliches Leben gab. Der weiche Grasboden ging unmerklich in die schwingende Walderde über, deren Nadelgeruch sich stellenweise zum Duft von zehntausend Zyklamen verdichtete.

      »Sie haben sich da gar kein schlechtes Platzl ausgesucht, Fräul’n Teta«, sagte ich, »etwas Schöneres gibts hier überhaupt nicht.«

      Teta seufzte tief und sagte mit inständigem Ton:

      »Ja, das ist eine Pracht dahier . . .«

      Zwischen dem Vokal ›a‹ und dem nachfolgenden Konsonanten schaltete sie einen Zischlaut ein, so daß es klang wie ›Prascht‹, und sie schüttelte eine ganze Weile lang den Kopf, um ihrer Verwunderung über diese Pracht Ausdruck zu geben.

      »Ich muß Ihnen auch noch vielmals danken, Fräul’n Teta«, begann ich wieder, »weil Sie so nett für mich sorgen . . .«

      »Wenns dem gnä’ Herrn nur schmeckt«, erklärte Teta kurz und begann die Kräuter in ihren Korb zu tun.

      »Nur zu gut schmeckt’s mir. Man sieht’s mir ja auch an. Ihre Küche verwöhnt einen zu sehr, Fräul’n Teta . . .«

      »Die gnä’ Herrschaft hats so angeschafft«, sagte Teta und wies damit jedes eigene Verdienst von sich: »Jetzt aber muß ich gehn, Nachtmahl kochen . . .«

      Eilig packte sie ihre Sachen zusammen, als habe unsere Unterhaltung schon die zulässige Dauer eines Gespräches zwischen Herrn und Magd überschritten. Dann verschwand sie mit Zitherkasten, Korb und Hund, schwerfällig trippelnden Ganges unter den Lärchen. Ich sah ihr nach. Sie trug in der rechten Hand einen abgeschnittenen Ast als Stock. Da sie aber meinen Blick im Rücken zu spüren schien, benutzte sie die Stütze nicht, als schäme sie sich. Während ich weiter spazierte, wunderte ich mich darüber, daß ich soeben das erste längere Gespräch mit Teta geführt hatte. Sie diente schon beinah zwanzig Jahre im Hause Argan. Ich war ihr in der Stadt wie in Grafenegg immer wieder begegnet. Wir hatten stets nur einen Gruß getauscht. Das gleichgültige Gespräch dieses Nachmittags aber klang in mir fort. Irgend etwas Festes und Abgeschlossenes spürte ich an der alten Magd, das mich packte. Freilich, wenn mir jemand gesagt hätte, ich würde mich einmal wochenlang mit Teta beschäftigen, ich hätte ihn nicht verstanden. Und doch, schon jetzt beschäftigte ich mich mit Teta. Das Bild, wie sie, den blinden Hund dicht neben sich, eilig und schwerfällig im Walde verschwunden war, wich nicht von meinen Augen. Ich dachte daran, daß Teta eine unerreichte Meisterin ihres Faches war, was alle Freunde und Gäste des Hauses Argan wohl wußten, und daß man mit Fug und Recht von der ›Koch-Kunst‹ spricht und nicht vom ›Koch-Handwerk‹. Denn diese wie jede andere echte Kunst – sie ist die Musik des Geschmackssinns – beruht auf dem Zusammenwirken von Begabung, Formgefühl, hingegebenem Fleiß und echter Persönlichkeit.

      Zwei Tage später kam ich um die Mittagsstunde nach Hause und wollte meine Pfeife anzünden. Da mir aber die Streichhölzchen ausgegangen waren, mußte ich in die Küche gehen und Teta um Feuer bitten. Die Küche lag im Erdgeschoß am Ende eines langen Ganges. Als ich nun an die weißlackierte Tür kam, hörte ich ein lautes Gespräch, das mich hinderte, die Klinke niederzudrücken. Es war ein philosophisches Gespräch, das sich zwischen Teta, Burschl und dem Gärtner Bichler entsponnen hatte und das ich indiskret belauschte. Dieser Bichler, ein arbeitsloser Mechaniker mit einer blassen Frau und zwei verhungerten Kindern, war von Leopold Argan auf irgendwelche Empfehlung hin vor Jahren als Gärtner und Hausbesorger in Grafenegg angestellt worden. Damals, als er ins Haus einzog, glich er mit seinen hohlen Wangen und brennenden Augen einem gekränkten Säulenheiligen, der sein Opfer verschmäht sieht. Inzwischen aber schien sich mit zunehmendem Körpergewicht auch seine Seele verändert zu haben. Der Mensch hatte seltsame Rosinen im Kopf, trug eine Samtjoppe, langes Haar, flatternde Krawatten, sog wie ein Löschblatt alle radikalen Parolen des Tages auf, malte Aquarell, bastelte Radios und verlungerte, weil er sich für ein unterdrücktes Genie hielt, ansonsten den lieben Tag. Frau Bichler hingegen plagte sich redlich. Seinetwegen aber mußte man zweimal des Jahres Hilfskräfte aufnehmen, damit Nutzgarten und Park nicht gänzlich verfalle. Leopold und Livia waren nicht die Menschen, den Tagedieb mit seinen armen Kindern auf die Straße zu setzen, so sehr er auch seine Pflicht vernachlässigte und ihnen auf die Nerven ging. Meines Wissens hatte Livia während unserer ganzen Bekanntschaft nur ein einziges Mal ein Hausmädchen Knall und Fall entlassen müssen. Und danach war sie beinahe krank gewesen vor Unbehagen wegen dieser jähen Kündigung. Jetzt hörte ich Herrn Bichler sprechen. Er hatte eine hohe, enge, zugleich eifernde und wehleidige Stimme:

      »Ich hab einen Freund gehabt«, sagte er, »einen gewissen Hromada, der war bei der Anatomie bedienstet, in der Währinger Straße. Hunderte von Leichen, sag ich Ihnen, hat der Hromada seziert, und er hat nirgends nicht ein Organ gefunden, wo hätt eine unsterbliche Seele drin sein können, meiner Seel’ . . . Überhaupt, eine gscheite Person wie Sie, Fräul’n Teta, sollt andere Ansichten haben . . . Auch ich bin nicht viel in die Schul gegangen, aber das muß ich sagen, ich hab mich fortgebildet . . .«

      »Wer redt denn mit Ihnen über solche Sachen«, entgegnete Tetas Stimme brummig. Dann hörte ich, wie sie unwirsch durch die Küche schlurfte, um nach einer Weile den Hund anzureden: »Spandln für die Feuerung werden wir brauchen, nicht wahr, Burschl, und eine Butte Kohlen . . .«

      Bichler aber setzte seine Eiferrede fort:

      »Und warum sind wir nicht viel in die Schul gegangen, Sie und ich, Fräul’n Teta . . . Weil bei uns noch immer die Juden und Pfaffen regieren . . . Und die Pfaffen wissen ganz genau, warum sie das Volk blöd machen mit Himmel und Hölle . . . Wenn nämlich das Volk mit dem Jenseits blöd gemacht ist, dann kuschts hier herunten und frißt alles . . . Und die Juden und die Pfaffen können sich den Bauch weiter vollschlagen . . . Sonst wären Sie doch selbst eine Gnädige, Fräul’n Teta . . .«

      »Und dann werden wir noch brauchen zwei Häupteln Salat . . . Was, Burschl . . . Und Karotten und Erbsen aus dem Garten, die uns der Herr Bichler bringen muß . . .«

      »Das deutsche Volksvermögen aus Österreich aber geht nach Rom zum Oberpfaffen und nach Paris und London an die internationalen Juden . . . Das ist doch klar. Dagegen können Sie nichts sagen . . . Die Religion ist das Opium der Völker . . .«

      »Opium bekommt man in den Apotheken«, erklärte Teta, »es ist eine ganz gute Medizin manchmal . . .«

      Brav pariert! Keine üble Antwort, dachte ich. Bichlers Stimme aber klang jetzt tief gekränkt:

      »Fräul’n Teta, eine Volksgenossin wie Sie verhindert den menschlichen Fortschritt und den Sieg der Idee . . .«

      Die Köchin hatte geräuschvoll die Töpfe auf dem Herde hin und hergerückt. Jäh unterbrach sie diese zornige Tätigkeit:

      »Wer ist Ihre Volksgenossin? Ich bin nicht Ihre Volksgenossin . . . Und überhaupt, ich hab Sie mir gestern beim Kartoffelhäufeln angeschaut, Herr Bichler . . . Ein junger Mensch, der bei der Landarbeit einen Sessel braucht, um sich draufzusetzen wie im Büro, der kann nicht mitreden . . . Der versteht nichts von solchen Sachen . . . No, was sagst du, Burschl? . . .«

      Auf diese deutliche Aufforderung hin mischte sich der Hund mit heftiger Parteinahme ins Gespräch. Ich spürte geradezu hinter der geschlossenen Tür, wie dieser grimmige Kavalier der Köchin den Propagator verbellte, so daß dieser wahrscheinlich blaß wurde und zurückwich. Nach ein paar Sekunden wies Teta den Burschl zur Ruhe und schloß den Disput mit barscher Sachlichkeit:

      »Es ist halber zwölf . . . Der Herr muß sein Essen pünktlich bekommen . . . Stören Sie mich nicht länger . . .«

      Ich entfernte mich leise, ohne meine Pfeife angezündet zu haben.

      Abends gegen acht Uhr erlitt ich einen starken Anfall von Depression. Dergleichen Zustände hatten mich in früheren Zeiten öfters angewandelt, waren aber seit meinem vierzigsten Jahr beinah ganz verschwunden. Es begann wie immer mit einer Blutleere im Kopf, mit Herzgeflatter und einer Auskältung aller Glieder. Der Tod atmete eisig meinen Nacken an. Mir war, als ob sich ein unausdenkbar-unabwendbares Unglück von allen Seiten heranwälze.