Der arme Jack. Фредерик Марриет. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Фредерик Марриет
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711447673
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      Treppe auf und Treppe ab

      Zu den Jüngferchen hinab.“

      Der Doktor zuckte die Achseln, dass der Kopf ganz dazwischen verschwand und sagte endlich:

      „Deine Mutter braucht mich nicht, Jack — das ist sonnenklar. Guten Morgen, Mrs. Sounders.“

      „Recht guten Morgen, Doktor Tadpole“, versetzte meine Mutter mit einem tiefen Knix. „Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr dieses Gemach verlasst und gefälligst die Thür hinter Euch schliesst.“

      Während der Doktor und ich hinausgingen, fuhr die Mutter fort zu singen:

      „Und dann traf ich ’nen kleinen Mann,

      Der konnt’ nicht ’s Vater Unser;

      Ich fasst am linken Bein ihn an

      Und warf ihn die Trepp’ hinunter.“

      Sobald wir in der Wohnstube unten anlangten, teilte ich dem Doktor mit, was vorgefallen war.

      „Gewiss, ich habe geglaubt, sie sei tot“, fügte ich bei, nachdem ich meine Geschichte beendigt hatte.

      „Jack, als ich Dich fragte, wo es Deiner Mutter fehle, innerlich oder äusserlich, antwortetest Du, in beidem und in noch vielem dazu. Du hattest recht — sie ist innerlich, äusserlich und noch obendrein höllisch schlecht“, sagte der Doktor lachend. „So hat sie also den Zopf Deines Vaters amputiert? Ha, die Delila! Schade, dass man nicht ihr den Kopf amputieren konnte, dann könnte vielleicht noch etwas Gutes aus ihr werden. — Gott befohlen, Jack; ich muss gehen und nach Tom sehen, der mir inzwischen gewiss eine ellenlange Stange Bärendreck aufgezehrt hat.“

      Bald nachher erschien Ben, der Walfischjäger, um nach meinem Vater zu fragen; ich teilte auch ihm mit, was vorgefallen war. Er entrüstete sich höchlichst über das Benehmen meiner Mutter, ein Gleiches war auch bei allen Bewohnern von Fishers Alley der Fall, sobald die Geschichte ruchbar wurde. Wenn meine Mutter ausging oder sich mit einer Nachbarin zankte, so rief man ihr unabänderlich zu: „Wer hat über ihren eigenen Mann die Presser geschickt?“ oder: „Wer hat ihrem Gatten den Zopf abgeschnitten? — War dies ein gentiler Possen?“ Darüber ärgerte sich meine Mutter dermassen, dass sie mit jedem Tage mürrischer und misslauniger wurde; auch glaube ich, sie würde die Strasse verlassen haben, wenn sie nicht das Haus auf lange Zeit gemietet hätte. Sie hasste mich jetzt aufs bitterste und versäumte keine Gelegenheit, um ihren Groll an mir auszulassen, denn sie wusste, dass ich meinen Vater geweckt und sie gehindert hatte, dem Ausbruche seines Zornes auszuweichen. Die Folge davon war, dass ich selten anders als zum schlafen nach Haus kam. Ich schleuderte an dem Ufer umher, ging ins Wasser und ruderte bisweilen in den Fähren, während ich sie zu andern Zeiten hereinholte und für die Passagiere bereit hielt. Ich fing an, mich den Fährleuten nützlich zu machen und wurde sehr oft mit einem Stück Brot und Käse oder einem Trunk Bier aus ihren Krügen belohnt. Das erste Jahr nach dem Besuche meines Vaters erhielt ich selten eine ordentliche Mahlzeit, wohl aber Schläge die Menge, und zwar bisweilen aufs grausamste. Als ich jedoch stärker wurde, rebellierte ich und wehrte mich dabei mit so gutem Erfolg, dass ich zwar jetzt noch mehr gehasst, aber doch weniger gezüchtigt wurde.

      Ein einziger Auftritt zwischen meiner Mutter und mir mag als Pröbchen für die übrigen dienen. Ich kam nach Hause, die Hosen aufgeschlagen und meine aufgeschnürten Bundstiefel voll Wasser, so dass es darin gurgelte, so oft ich auftrat, und der Sandboden von der Vorderstube an bis zu der Hinterküche mit meinen Spuren bezeichnet wurde. Meine Mutter sah die Fährte, die ich zurückgelassen hatte, wurde zornig und begann wie gewöhnlich zu singen:

      „Ein Frosch, der wollte freien gehen,

      Heisa, sagte Rowly.“

      „Ich sehe, der kleine Wicht ist da gewesen —“

      „Die Mutter that’s nicht gerne sehen,

      Heisa, sagte Rowly.“

      „Ja, ich will ihn rollen mit dem Rollholz, wenn ich ihm auf den Leib komme. Er ist schlimmer, als jener bestialische Wasserhund des Sir Herkules, der sich über meinen besten Mousselinkleidern schüttelte. Nun, wir wollen sehen. Zu essen soll er nichts kriegen; er mag zusehen, wie er anderwärts dazu kommt.

      „Der kleine Jack Hecke

      Sass in einer Ecke

      Vor dem Christstollen, dick wie ein König;

      Er steckt hinein seinen Daum,

      Zieht heraus eine Pflaum

      Und schreit: ‚Welch ein guter Knab’ bin ich!‘“

      „Ja wohl, ein guter Knab’ — ein Balg, gut für nichts, just wie sein Vater. Oh, Himmel! wenn ich ihn nur von dem Halse hätte!

      „Es war ein altes Weib,

      Die hatt’ nur einen Schuh,

      Sie hatt’ so viele Kinder

      Und hatte nichts dazu;

      Sie gab ihnen etwas Brühe,

      Drum balgten sie sich in die Wett’:

      Drauf peitschte sie all’ nach der Reihe,

      Und schickte sie zu Bett.“

      „Und wenn ich Dich nicht auch peitsche, soll der Fehler nicht an mir liegen, weiter sage ich nichts. Virginia, meine Liebe, Du musst nicht auf den Boden speien — das ist nicht gentil. Nur Matrosen und Yankees thun dies. — Ah, Du garstiges kleines Vieh — so, da bist Du!“ rief meine Mutter, als ich eintrat. „Siehst Du, was für einen schmutzigen Boden Du mir gemacht hast, Du undankbare kleine Bestie? Nimm dies und dies und dies!“ fuhr sie fort, indem sie mir die nassen Borsten des langen Kehrbesens mit solcher Gewalt ins Gesicht stiess, dass mir die Nase blutete. Ich widerstand dem ersten und zweiten Stosse, aber der dritte regte meine Galle auf. Ich ergriff das mir zugekehrte Ende des Besens und versuchte, ihn ihr zu entwinden. Es folgte nun Stoss gegen Stoss, denn ich war sehr stark; sie kreischte aus Leibeskräften, während sie es versuchte, den Besen aus meiner Hand zu reissen. Aber ich hielt fest und schob mit aller Macht gegen sie hin — kurz es ging ganz wie in der Puppenkomödie, wo Polichinell sich mit dem Teufel um die Krücke balgt. Endlich, nachdem sie mich für eine halbe Minute in eine Ecke gedrängt hatte, stürzte ich auf sie zu, trieb sie geraden Wegs in die andere und versetzte ihr mit dem Handgriffe einen tüchtigen Stoss vor den Magen, so dass sie den Kampf aufgab und, sobald sie wieder zu Atem kam, ausrief:

      „O, Du abscheuliches, undankbares, ungentiles Vieh! Du kleine Viper! Ist dies die Weise, wie Du Deine Mutter behandelst — und sie beinahe umbringst? Oh, Himmel!“

      „Warum lasst Ihr mich nicht gehen? Jenny schlagt Ihr nie.“

      „Wer ist Jenny, Du heilloser, taugenichtsiger Bube? Deine Schwester heisst Virginia; gut, Du sollst kein Mittagessen haben, kann ich Dir sagen.“

      Ich steckte meine Hand in die Tasche, nahm ein verdientes Sechspencestück heraus und hielt es zwischen meinem Daumen und Zeigefinger.

      „Werde ich nicht?“

      „Du frecher Bube! — Aber so geht’s, wenn thörichte Leute Kindern Geld geben und sie dadurch verderben.“

      „Gott befohlen, Mutter.“

      Mit diesen Worten sprang ich über das an der Thüre befestigte Brett und ging wieder an das Ufer hinunter. In der That war ich nun ein regelmässiger Schmutzigel, las halbe Pence im Wasser auf, bot meinen zerlumpten Arm den Leuten, welche aus den Fähren stiegen und begrüsste sie stets mit der Anrede: „Habt Ihr nicht einen halben Penny für den armen Jack, Euer Gnaden?“ den ich auch hin und wieder erhielt, bisweilen aber statt dessen einen Stoss erntete, je nachdem die Leute gerade gut oder übel gelaunt waren. Wenn ich nicht an dem Ufer war, leistete ich gewöhnlich Ben, dem Walfischjäger, Gesellschaft, denn der Invalide war nach dem Besuche meines Vaters gegen mich freundlicher als je. Auch machte ich mir mehrere andere Pensionäre zu guten Freunden und pflegte auf ihre langen Garne zu horchen, die mir nun zur Quelle grossen Vergnügens wurden. Zu anderen Zeiten half ich den Fährleuten ihre Nachen