Mit den Augen der Liebe. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711719060
Скачать книгу
Befund des Augenhintergrundes überzeugt hatte, fragte dann: „Haben Sie sich vielleicht in der letzten Zeit mal gestoßen? Oder einen Schlag gegen den Kopf bekommen? Sie können übrigens Ihren Kopf wieder zurücknehmen. Wir schalten das Gerät jetzt aus.“

      „Nein“, sagte Gunhild, „einen Schlag? Ich raufe doch nicht. Höchstens …“ Sie stockte.

      „Nun, was wollten Sie sagen?“

      „Ich habe mal einen Schlagball gegen das Auge bekommen. Aber das ist nun schon ein paar Monate her.“

      „Vielleicht war’s das“, sagte Professor Bergmeister. „Aber Sie brauchen sich nicht darüber den Kopf zu zerbrechen. Wichtig aber wäre, daß Sie recht bald mal Ihren Herrn Papa zu uns schicken würden.“

      „Papa?“ Gunhild Wigand war jetzt aufgestanden, stand vor den beiden Männern, immer noch sehr jung und sehr hübsch, aber keineswegs mehr unbekümmert. „Das wird nicht gut gehen. Meine Eltern sind geschieden. Ich lebe bei meiner Mutter.“

      „Nun, dann möchte ich gerne mit Ihrer Frau Mutter sprechen, und zwar so bald wie möglich.“

      „Morgen?“ fragte Gunhild Wigand unsicher.

      „Das wäre sehr gut. Bleiben wir also dabei. Machen Sie mit Schwester Karla gleich einen Termin aus, damit Ihre Mutter nicht zu warten braucht.“

      „Scheußlich!“ sagte Professor Bergmeister, als Gunhild Wigand gegangen war. Er hatte die Hände in die Taschen seines weißen Kittels gesteckt und zog die Schultern hoch, als wenn er fröstelte. „Ablatio Retinae. Das arme Kind.“

      Dr. Hilpert lächelte. „Nun, erstens ist sie wirklich kein Kind mehr, und zweitens … sie ist ja noch rechtzeitig gekommen. Eine sofortige Operation kann ihr Augenlicht retten.“

      „Kann! Sie sagen sehr richtig … kann!“ Professor Bergmeister zog eine Zigarette aus einem Päckchen in seiner Tasche, besann sich, sagte: „Kommen Sie, Norman … gehen wir zu mir hinüber!“

      Es kam selten vor, daß Professor Bergmeister seinen Assistenten beim Vornamen nannte, und immer, wenn er es tat, wurde es Dr. Hilpert fast schmerzhaft bewußt, wieviel dieser Mann ihm bedeutete – als Vorbild, als väterlicher Freund, als Mensch.

      „Ich weiß, es klingt lächerlich“, sagte Professor Bergmeister, als verteidigte er sich gegen einen Vorwurf, den ihm niemand gemacht hatte, „ich habe Tausende operiert … ich habe niemals daran gedacht, sie zu zählen. Und dennoch … immer wenn eine Operation vor mir steht, überkommt mich so etwas wie … wie Bangigkeit. Können Sie das verstehen? Es hängt soviel davon ab. Möglicherweise das Glück, das Schicksal, das ganze Leben eines Menschen.“

      Er war seinem Assistenten voraus durch die Milchglastür in sein eigenes Arbeitszimmer getreten, einen großen Raum, der dem Dr. Hilperts ganz ähnlich sah. Nur waren die Teppiche und Vorhänge ein wenig kostbarer, der Schreibtisch etwas dekorativer, und in einer Ecke gab es einen niedrigen Tisch mit tiefen Sesseln, der in Dr. Hilperts Zimmer fehlte.

      Professor Bergmeister zündete sich eine Zigarette an, hielt dann dem Assistenten sein Päckchen hin.

      „Sie sind eben ein wirklicher Arzt, Herr Professor“, sagte Dr. Hilpert ein wenig rauh, weil er sich einer inneren Bewegung schämte, „Sie sehen nicht nur das kranke Organ, sondern den ganzen Menschen.“ Er strich ein Streichholz an, ließ seine Zigarette aufflammen, nahm einen tiefen Zug. „Wahrscheinlich wissen Sie objektiv sehr gut, daß Ihre Bedenken grundlos sind. Es gibt keinen besseren Augenchirurgen als Sie … es kann einfach keinen geben.“

      Professor Bergmeister trat an das breite Fenster, sagte, mit dem Rücken zum Zimmer, fast wie zu sich selber: „Die Angst, die Hand könnte zittern! Eine winzige falsche Bewegung …“

      „Wird Ihnen niemals passieren, Herr Professor“, sagte Dr. Hilpert mit Nachdruck.

      Professor Bergmeister wandte sich um und sah ihn mit einem seltsamen Lächeln an. „Sind Sie ganz sicher?“

      „Vollkommen.“ Dr. Hilpert streifte die Asche seiner Zigarette in einer schweren Messingschale auf dem Schreibtisch ab. „Wenn ich mir übrigens einen Vorschlag erlauben darf …“

      „Aber bitte, Kollege! Nicht diese Umschweife. Ich komme mir ja sonst wie ein uneinsichtiger Tyrann vor.“

      Dr. Hilpert straffte unwillkürlich die Schultern. „Vielleicht wäre gerade dieser Fall geeignet, Lichtkoagulation anzuwenden. Ich meine“, fuhr er rasch fort, ehe Professor Bergmeister ihn noch unterbrechen konnte, „wir haben diese Methode nun doch schon gründlich genug ausprobiert. Drei Jahre haben wir Versuche an Hunden durchgeführt … wenn ich ,wir‘ sage, meine ich im Grund natürlich nur Sie, Herr Professor, ich durfte Sie höchstens in Ihrer Arbeit unterstützen … Sie haben überdies eine ganze Reihe von Selbstversuchen durchgeführt …“

      Jetzt fiel ihm Professor Bergmeister ins Wort. „Einige Versuche, das wäre richtiger gesagt. Die Versuchsreihe, von der Sie sprechen, ist noch keineswegs abgeschlossen.“

      „Sie wollen also weiter … experimentieren?“

      „Selbstverständlich.“

      „Herr Professor …“

      „Ich weiß, ich weiß, Sie wollen mich warnen. Das haben Sie schon oft genug getan, mein Lieber. Können Sie nicht endlich einsehen, daß das, was ich tue, nichts weiter ist als meine Pflicht?“

      Dr. Hilpert schwieg.

      Professor Bergmeister trat auf ihn zu. „Jetzt passen Sie mal auf, Hilpert. Wir beide sind uns doch darin einig, daß Lichtkoagulation, falls sie gefahrlos für den Patienten angewandt werden kann, einen ungeheuren Fortschritt in der Augenchirurgie bedeutet, nicht wahr? Statt mit dem Messer können wir dann mit dem Licht … mit dem gleichsam gebündelten, konzentrierten Licht arbeiten, Wundränder schaffen, wie etwa bei einer Operation der Ablatio Retinae, und das alles, ohne daß ein operativer Eingriff erfolgen muß, der erst den Bereich am hinteren Augenteil freilegt! Sie wissen selber, daß uns das immer wieder besondere Schwierigkeiten macht.“

      „Ja, Herr Professor“, sagt Dr. Hilpert, „und grade darum meine ich …“

      Professor Bergmeister ließ ihn nicht ausreden. „Grade darum ist es unerläßlich“, sagte er, „diese neue Methode bis zur Vollkommenheit zu entwickeln. Dazu brauche ich das menschliche Auge. Und von welchem meiner Mitmenschen könnte ich wohl verlangen, daß er sich als Versuchsobjekt zur Verfügung stellt? Doch nur von mir.“

      „Das stimmt nicht, Herr Professor“, widersprach Dr. Hilpert, „Sie wissen sehr gut, daß ich selber …“

      „Ich weiß, Sie würden es tun. Weil Sie ein guter Junge sind. Vielleicht auch mir zuliebe. Oder weil Sie nicht als Feigling dastehen wollen. Aber ich kann und darf Ihr Angebot nicht annehmen. Sie sind ein befähigter Arzt, ein junger Mensch, der am Anfang seiner Karriere steht. Ihr Auge ist Ihr wertvollstes Instrument. Nein, kommen Sie mir jetzt nicht wieder damit. Es ist und bleibt völlig ausgeschlossen.“ Professor Bergmeister drückte seine Zigarette aus. „Und daß Sie mir vorgeschlagen haben, eine noch nicht voll erprobte Methode ausgerechnet bei diesem blühenden Menschenkind anzuwenden, das war doch hoffentlich wohl nur ein Witz.“

      „Nein, Herr Professor“, sagte Dr. Hilpert mit Festigkeit. „Sie haben bis heute Hunderte Versuche an Hunden gemacht. Es ist Ihnen zum Schluß gelungen, die Anwendung der Lichtstrahlen so zu dosieren, daß keine schädlichen Nebenwirkungen entstanden. Sie haben an sich selber mindestens zwanzig Versuche gemacht. Selbst wenn diese Versuche Ihren Augen geschadet hätten, so besagt das ja noch lange nicht, daß das bei der Patientin der Fall sein muß. Im Gegenteil. Es ist so gut wie ausgeschlossen. In Ihrem Fall brauchte die Koagulation ja nur ein einzigesmal angewendet zu werden.“ Er schwieg, sah Professor Bergmeister erwartungsvoll an.

      Professor Bergmeister ging zum Fenster, öffnete es weit. Kalte Winterluft drang in den Raum, trieb den Rauch hinaus. „Sie wissen selber, daß das, was Sie da behauptet haben, unvertretbar ist“, sagte er müde, „sowohl vom ärztlichen wie vom wissenschaftlichen Standpunkt