Als Margarete fünfzehn war, kehrten ihre beiden Schwestern nach Hause zurück und eröffneten eine Damenschneiderei mit Hutmacherwerkstatt. Statt Kleidung auszubessern oder zu besticken, fertigten sie nun eigene Kleider, Tischdecken und Hüte und waren ihre eigenen Chefinnen. Eines Tages fanden sie in einer Modezeitschrift eine Anzeige für Nähmaschinen, die erst zwanzig Jahre zuvor erfunden worden waren, und kauften sich eine. Dummerweise konnte Margarete das Schwungrad mit ihrem rechten Arm kaum bedienen. Doch sie gab nicht auf und fand heraus, dass sie die Maschine umdrehen und mit links antreiben konnte.
Schließlich heirateten ihre drei Geschwister und zogen aus. Ein wenig mulmig war Margarete schon zumute. Was würde aus ihr werden? Für unverheiratete Frauen war es damals nicht einfach, genug zu verdienen. Für sie, die nicht laufen konnte, galt das umso mehr. Doch sie hatte schon eine Idee. Statt nur mit Stoff zu nähen, wollte sie auch mit Filz arbeiten. Der Mann ihrer Patentante hatte vor einigen Jahren im Ort eine Filzfabrik eröffnet und Margarete schwebte vor, aus seinem Material Kleidung und Wohnutensilien herzustellen. Der Mann ihrer Cousine beriet sie in unternehmerischen Fragen und ermutigte sie, sich damit selbstständig zu machen. Auf eigene Rechnung kaufte sie Filz und anderes Material ein und nähte eine Kollektion – erfolgreich, wie sich bald herausstellte. Mit einem Geschäft in Stuttgart vereinbarte sie eine größere Abnahme von Unterröcken und daneben nähte sie Kindermäntel und andere Kleidung für Privatabnehmer. Bald konnte sie sogar mehrere Näherinnen beschäftigen, ließ eine Rampe an ihr Haus bauen und stellte eine Hausangestellte ein, die sich um alles Mögliche kümmerte. Um Werbung für ihre Kleidung und anderen Produkte zu machen, ließ sie einen Katalog drucken und schaltete Anzeigen.
Zwei Jahre nach Gründung ihres Filzgeschäfts entdeckte Margarete in einer Modezeitschrift ein Schnittmuster, das ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen und den Grundstein für ein riesiges Unternehmen legen würde. Dabei war das Schnittmuster ganz unscheinbar: ein kleiner Filzelefant. Entworfen worden war er wohl als Nadelkissen, in dem man Nähnadeln hübsch aufbewahren konnte, aber Margarete beschenkte damit ihre Neffen zu Weihnachten. Sie probierte auch gleich mehrere Größen aus, um sie für den Verkauf anzubieten. Auf dem in der Nähe gelegenen Heidenheimer Markt war das »Elefäntle« ihr erster Verkaufsschlager. Sechs Jahre später wurden schon über fünftausend Elefanten verkauft und Margarete nähte weitere Tiere: Affen, Esel, Pferde, Kamele und andere.
Nun wurde die Werkstatt im Haus von Margaretes Eltern endgültig zu klein. Zusammen mit ihrem Bruder Fritz plante sie ein neues Gebäude mit einem Ladengeschäft im Erdgeschoss und einer behindertengerechten Wohnung im ersten Stock. Immer wieder wohnten Mitglieder ihrer Großfamilie bei ihr, zu vielen ihrer Nichten und Neffen hatte sie eine gute Beziehung, nicht nur weil sie immer neue Kuscheltiere hatte und auch sonst gern Geschenke machte. Mit einigen ihrer Nichten und Neffen schrieb sie sich Briefe und ermutigte sie auch im Glauben. Als ihre Nichte Eva als Dienstmädchen arbeitete, erkundigte sie sich: »Gibt es auch Musik im Haus? Gibt es gemeinschaftliche Andacht? Wenn nicht, vergiss das Beten für dich allein nicht.«
Margaretes Qualitätsanspruch war hoch. Ihr Werbespruch lautete: »Für Kinder ist nur das Beste gut genug!« Nicht nur ihre Näherinnen und Stopferinnen suchte sie höchstpersönlich aus und wies sie in die Arbeit ein, auch alle Muster für die Tiere der neuen Kollektion nähte sie selbst. Es wurden nur die besten Materialien verwendet. Tiere mit kleinen Schönheitsfehlern sortierte sie aus. Schließlich verkaufte sie ihre Spielwaren sogar nach London und New York.
Auch mehrere ihrer Neffen stiegen in die Firma ein. Ihr kreativer Lieblingsneffe Richard hatte an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule und in England studiert, als er mit zwanzig bei ihr anfing. Er fertigte viele Skizzen von Tieren an, die zur Grundlage für neue Entwürfe wurden. Ein paar Jahre später entwarf er einen Plüschbären, dessen Arme und Beine man sogar bewegen konnte. Präsentiert wurde er bei der Leipziger Spielwarenmesse – und tatsächlich bestellte der Chefeinkäufer eines New Yorker Kaufhauses dreitausend Exemplare! Damit war der Grundstein gelegt für ein großes Wachstum des Familienunternehmens Steiff, das Margarete mit ihrem Mut und Schwung, mit ihrem Perfektionismus und Gottvertrauen gegründet hatte.
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