In den nächsten Jahren erzählte sie anderen viel über ihren Glauben und begann, sich für China zu interessieren. In diesem riesigen Land hatten bisher die wenigsten Menschen von Jesus gehört. Gladys bewarb sich bei der China-Inland-Mission, doch nach einer dreimonatigen Probezeit schickte man sie nach Hause: Sie habe keine große Auffassungsgabe und werde nie die schwierige chinesische Sprache lernen können. Gladys war frustriert, aber sie gab nicht auf. Sie sparte eisern, um auf eigene Faust nach China zu reisen. Als sie von einer über siebzigjährigen Missionarin in Nordchina hörte, die sich Hilfe wünschte, kaufte sie das Zugticket. Richtig gelesen, ein Zugticket von England nach China! Mehr war nicht drin. Die Fahrt dauerte vier Wochen und brachte Gladys an den Rand ihrer Kräfte. Als der Zug wegen kriegerischer Kämpfe in Russland nicht weiterfahren konnte, musste sie stundenlang durch eisigen Schnee stapfen. Einmal wurde sie verhaftet, erhielt jedoch Hilfe und kam schließlich nach einer weiteren Schiffsreise und einem langen Ritt mit einer Eselkarawane bei der alten Missionarin Frau Lawson an.
Die kauzige Schottin lebte in einem heruntergekommenen Haus mit großem Innenhof, das Gladys erst einmal bewohnbar machen musste. Es lag an der Stadtmauer eines Ortes, an dem viele Eselkarawanen vorbeikamen. Als Gladys Chinesisch gelernt hatte, eröffneten sie und Frau Lawson hier eine Herberge für die Eseltreiber: Erst wurden die Esel und die Treiber versorgt, dann erzählten sie ihnen Geschichten aus der Bibel. Schließlich wurde Frau Lawson krank und starb. Daraufhin führte Gladys die Herberge allein weiter, aber sie wünschte sich auch, den Bewohnern der einsamen Bergdörfer ringsum die Nachricht von einem liebenden Gott zu bringen. Gott beantwortete diesen Wunsch auf überraschende Weise: Der Mandarin, der Regierungschef jener Gegend, kam eines Tages zu ihr, um sie zur »Fußinspektorin« zu machen.
Dazu muss man wissen, dass in China früher sehr kleine Füße als schick bei Frauen galten. Deshalb wurden – so unglaublich das heute für uns klingt – den Mädchen die Zehen umgebogen oder sogar gebrochen und mit Bandagen festgebunden. So verkrüppelten die Füße und den Frauen passten winzige Spezialschuhe, in denen sie nur noch trippeln konnten. Doch dieser grausame Brauch sollte nun endlich abgeschafft werden und das sollten alle erfahren, was in diesem großen Land gar nicht so einfach war. Weil Gladys gesunde Füße hatte und noch dazu mutig war, wählte der Mandarin sie aus, stellte ihr zwei Soldaten und einen Eseltreiber zur Seite und erlaubte, dass sie in die Dörfer ihr Buch mitnahm, für das sie mittlerweile berühmt war – die Bibel. So brachte Gladys den Mädchen die Freiheit für ihre Füße und allen Dorfbewohnern die Freiheit, die ein Leben mit Jesus bedeutet.
Eines Tages traf Gladys eine Frau, die ihr ein Mädchen zum Kauf anbot. Vermutlich gehörte sie zu einer Kinderhändler-Bande, die damals Mädchen entführten. Gladys tat das Mädchen so leid, dass sie das wenige Geld bot, das sie dabeihatte. So kam das erste Kind in Gladys‹ Missionsherberge. Chang, ihr chinesischer Koch, nannte es Ninepence nach dem Geld, das Gladys für das Kind bezahlt hatte. Wenig später brachte wiederum Ninepence einen kleinen Waisenjungen mit, den sie gefunden hatte, und kurz darauf zwei weitere Kinder. Gladys befreite viele weitere Kinder von einer Kinderhändler-Bande. So wurde sie ungeplant zur Leiterin eines Waisenhauses.
Doch die Zeiten in China waren damals sehr unsicher. Von Norden aus griff die japanische Armee an und drang immer weiter auf chinesisches Gebiet vor. China war aber selbst uneins. Zwei Strömungen kämpften gegeneinander: Nationalisten unter General Chiang Kai-shek und Kommunisten unter General Mao Tse-tung mit seiner Roten Armee. Sie kämpften gegen die Japaner, aber auch gegeneinander. Eines Tages kamen japanische Kriegsflugzeuge auch nach Yangcheng. Der Ort und die Missionsstation wurden von Bomben getroffen. Doch Gladys erwies sich als geschickt darin, die Hilfe und den Wiederaufbau zu organisieren. Sie kümmerte sich auch um Kriegsflüchtlinge in den Dörfern der Umgebung. Sogar japanischen Soldaten las sie aus der Bibel vor.
Doch das Kriegschaos zwischen Japanern, Nationalisten und Kommunisten wurde immer gefährlicher. Schließlich entschloss sie sich, mit den Kindern in den sichereren Süden zu fliehen. Zu Fuß wanderten sie über hohe Bergpfade, wo die Soldaten nicht hinkamen. Überall schlossen sich ihnen weitere Kinder an, sodass es schließlich über hundert wurden. Bald war die mitgenommene Nahrung verbraucht. Die Kinder weinten vor Hunger und schmerzenden Füßen. Dazu zog ein stürmisches Gewitter auf. Gladys brachte ihnen bei, auch jetzt auf Gott zu vertrauen. Gemeinsam knieten sie sich hin und beteten. Kurz darauf entdeckten sie eine große Höhle, in der sie alle immerhin einen trockenen und warmen Unterschlupf fanden. Den Hunger mussten sie vorerst versuchen zu vergessen. Um sich abzulenken, sagten sie zusammen Psalm 23 auf. Am nächsten Morgen entdeckten sie Felsen, die noch nass vom Regen waren, und konnten ihren Durst stillen; kurz danach fanden sie in einem verlassenen Dorf endlich einen Korb Hirse.
Nach über zwei Wochen Wanderung erreichten sie endlich den Gelben Fluss, den sie überqueren mussten, um in Sicherheit zu sein. Doch hier wartete der nächste Schrecken: Die Fährboote waren alle am anderen Ufer geblieben. Gladys war verzweifelt und hatte Angst. Sie betete und rief schließlich die Kinder zusammen, um für Gott Lieder zu singen. Sie hatte den seltsamen Eindruck, genau das würde ihre Rettung sein, und so war es tatsächlich: Ein einzelner Soldat, der noch am Ufer saß, um das Anrücken der Japaner zu melden, hörte ihren Gesang und half ihnen in den sicheren Süden.
Das Mädchen, das in England so fremd ausgesehen hatte, wurde für viele chinesische Kinder und Flüchtlinge zur großen Hilfe und Rettung. Mit ihrer Liebe zu Menschen, ihrem Mut und ihrer Hingabe inspirierte Gladys Aylward unzählige Menschen, Jesus nachzufolgen. Die vielen Christen und Hausgemeinden, die es heute in China gibt, gehen zu einem Teil auf diese couragierte Frau zurück, die oft einsam war, krank wurde und verzweifelte, aber auch immer wieder auf Gott vertraute.
MARTIN LUTHER KING
1929–1968
MARTIN WAR SIEBZEHN, als er seine erste Predigt hielt – in der großen Gemeinde seines Vaters in Atlanta, in den Südstaaten der USA. Da hatte er schon zwei Klassen in der Highschool übersprungen und mehrere Redner-Wettbewerbe gewonnen. Auf der Rückfahrt einer dieser Preisverleihungen hatte Martin ein einschneidendes Erlebnis: In dem Bus, in dem er nach Hause fuhr, verlangte ein Weißer, dass er ihm seinen Sitzplatz überließ, obwohl in dem Teil für Weiße noch Plätze frei waren. Auf der über hundertfünfzig Kilometer langen Fahrt musste Martin deshalb stehen. Schon als Kind hatte er die Verachtung für Menschen mit schwarzer Hautfarbe schmerzhaft erlebt: Sein bester Freund, ein Weißer, durfte plötzlich nicht mehr mit ihm spielen. Und das war leider trauriger Alltag. Durch die Gesetze der »Segregation« durften Afro-Amerikaner nicht dieselben Plätze im Bus besetzen, nicht dieselben Toiletten benutzen und nicht in denselben Restaurants essen wie hellhäutige Amerikaner.
Schon Martins Großvater und Vater hatten sich aktiv dafür eingesetzt, dass Schwarze mehr Rechte bekamen, und Martin tat es ihnen nach. Er beschloss, ebenfalls Pastor zu werden wie sie. Martin studierte in Pennsylvania und machte seinen Doktor in Boston, wo er auch seine Frau Coretta heiratete. Mit gerade mal fünfundzwanzig Jahren begann er als Pastor in Montgomery in Alabama. Zehn Monate später erregte in dieser Stadt die Afro-Amerikanerin Rosa Parks große Aufmerksamkeit. Sie weigerte sich,