Jesus von Nazaret. Jens Schröter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jens Schröter
Издательство: Bookwire
Серия: Biblische Gestalten (BG)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783374050451
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zugleich Gott, den Vater (Joh 14,9). Jesus wird deshalb als das »Wort« bezeichnet, das schon vor der Erschaffung der Welt bei Gott war. Andere Schriften des Neuen Testaments nennen Jesus in ähnlicher Weise »Bild«, »Erstgeborener« oder »Abglanz« Gottes und bringen damit seine enge Verbindung mit Gott zum Ausdruck.3 Jesus ist demnach von allen anderen Menschen unterschieden. Er gehört auf die Seite Gottes und ist zugleich derjenige, der ihn unter den Menschen repräsentiert. Diese einzigartige Verbindung von Gott und Mensch in Jesus Christus ist das Zentrum des christlichen Glaubens.

      2) In Lk 12,8 f. (par. Mt 10,32 f.) heißt es: »Jeder der sich zu mir bekennt vor den Menschen, zu dem wird sich auch der Menschensohn bekennen vor den Engeln Gottes. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, der wird verleugnet werden vor den Engeln Gottes.«

      Hier wird eine Gerichtsszenerie entworfen: Am Ende der Zeit steht man vor Gott und seinen Engeln, Jesus, der Menschensohn, kann für einen eintreten oder auch nicht. Es hängt vom eigenen Bekenntnis zu Jesus vor den Menschen ab, ob er dies tut und man gerettet wird, oder ob man zu den Verurteilten gehört, weil man Jesus im irdischen Leben verleugnet hat. Der Text bringt demnach zum Ausdruck, dass mit der Stellung zu Jesus zugleich diejenige zu Gott auf dem Spiel steht und damit die Entscheidung über Leben und Tod, Heil und Unheil fällt.

      3) In 2Kor 5,14 f. schreibt Paulus: »Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben. Und er ist für alle gestorben, damit die Lebenden nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist und auferweckt wurde.«

      Paulus überträgt hier das Geschick Jesu Christi auf die Glaubenden: Sie sind ihrem alten Leben »gestorben« und haben jetzt Anteil am neuen Leben des auferweckten Jesus und sind durch die Zugehörigkeit zu ihm zu einer »neuen Schöpfung« geworden (V. 17). Tod und Auferweckung Jesu Christi werden also als ein Ereignis verstanden, an dem die Menschen teilhaben können und das ihnen die Möglichkeit eines neuen Lebens eröffnet. Der Text macht somit deutlich, dass die Zugehörigkeit zu Jesus Christus konkrete Folgen für das eigene Leben hat. Nach der Auffassung des Paulus wie auch aller anderen Autoren des Neuen Testaments muss der Glaube im Leben Gestalt gewinnen und zur Anschauung gebracht werden. Deshalb findet sich im Neuen Testament immer wieder die Aufforderung zu einem Leben, das dem Glauben an Jesus Christus entspricht. Die Evangelien beziehen sich dazu unmittelbar auf die Lehre Jesu selbst, etwa auf seine Auslegung der Tora.

      Die enge Verbindung von Gott und Mensch in Jesus Christus, die in den genannten Texten zum Ausdruck kommt – er ist »Wort Gottes«, himmlischer Fürsprecher im letzten Gericht, Vermittler neuen Lebens –, wurde in den frühen Bekenntnissen des Christentums – dem Apostolikum, dem Bekenntnis von Nicäa und Konstantinopel, dem Chalcedonense – in je eigener Weise festgehalten. Sie war für das Christentum, ungeachtet konfessioneller Unterschiede, lange Zeit die unhinterfragte Glaubensgrundlage. Erst dem neuzeitlichen Bewusstsein wurde die Vorstellung, Jesus sei in gleicher Weise Gott und Mensch gewesen, zum Problem. Die Aufklärung bestimmte die menschliche Vernunft zum kritischen Maßstab, der auch an die biblischen Schriften anzulegen sei. Das führte zur Unterscheidung von rational nachprüfbaren Berichten und »Mythen«, die vergangene Ereignisse deuten, von diesen selbst aber zu unterscheiden sind. Das im 19. Jahrhundert entstehende historische Bewusstsein machte zusätzlich den Abstand deutlich, der zwischen der Welt des Neuen Testaments und der eigenen Zeit liegt. Der Zugang zur Vergangenheit wurde in der Konsequenz an methodisch kontrollierte Quellenforschung gebunden, die zu einem möglichst vorurteilsfreien Geschichtsbild führen sollte.

      Aufklärung und historisch-kritische Geschichtswissenschaft nötigten demnach zu neuem Nachdenken über das Verhältnis von göttlicher und menschlicher Natur in Jesus Christus. Sicher erschien nunmehr nur, dass Jesus Mensch war, die Einheit von Gott und Mensch in seiner Person konnte dagegen nicht länger als unproblematisch vorausgesetzt werden. Das Interesse konzentrierte sich in der Folge darauf, was mit den Mitteln historischer Forschung über sein Wirken und Geschick herauszufinden ist. Damit war die Frage nach dem »historischen Jesus« geboren. Sie fragt nach Jesus, ohne dabei das Bekenntnis zu seiner Göttlichkeit vorauszusetzen. Die oben genannte, in seiner göttlichen Natur begründete Einzigartigkeit war damit in Frage gestellt. Lassen sich, so wurde nunmehr gefragt, die Erkenntnisse über den Menschen Jesus mit dem Bekenntnis seiner Göttlichkeit, lässt sich der »historische Jesus« mit dem »geglaubten Christus« vereinbaren? Die historische Jesusforschung gibt auf diese Frage zwei Antworten.

      Die erste Antwort besagt: Zwischen den Resultaten historischer Forschung und Glaubensüberzeugungen ist zu unterscheiden. Historische Forschung kann anhand der überlieferten Zeugnisse ein Bild von der Wirksamkeit Jesu entwerfen und nach den Ursachen für seine Hinrichtung fragen. Ob er in göttlicher Autorität wirkte, ob Gott ihn vom Tod auferweckte und ob er zum endzeitlichen Gericht wiederkehren wird, kann dagegen nicht mit den Mitteln historischer Kritik entschieden werden. Historische Jesusforschung urteilt deshalb auch nicht über die Wahrheit des christlichen Glaubens. Sie stellt vielmehr die Grundlage dafür bereit, seine Entstehung nachzuvollziehen. Sie macht deutlich, dass das christliche Bekenntnis eine Reaktion auf den Anspruch Jesu darstellt, die das Neue Testament als »Nachfolge« oder als »Glaube« bezeichnet, neben der es aber auch andere Möglichkeiten gibt, sich zu Jesus zu verhalten. Bereits die in den frühen Quellen berichteten Konflikte zeigen, dass die Autorität Jesu auf den Geist Gottes zurückgeführt oder als Bund mit dem Satan gewertet werden konnte.4

      Historische Jesusforschung zielt also auf das Verstehen des Zusammenhangs von Geschehnissen und ihrer späteren Deutung, von Ereignis und Erzählung.5 Sie befragt die Quellen daraufhin, ob sich das von ihnen Berichtete tatsächlich ereignet hat, warum gerade diese Dinge von Jesus berichtet werden, anderes dagegen nicht und wie sich Ereignis und Deutung zueinander verhalten. Historische Jesusforschung betrachtet die Quellen also mit einem kritisch-differenzierenden Blick.

      Die Bibelwissenschaften haben maßgeblich zur Ausprägung dieses kritischen Bewusstseins beigetragen, dessen Anfänge sich bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen lassen.6 In der Jesusforschung begegnet es zum ersten Mal in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einer Schrift mit dem Titel »Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes« des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus (1694–1768), von der Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) posthum sieben Teile als »Fragmente eines Ungenannten« publizierte. Seither ist die Unterscheidung zwischen den Ereignissen des Lebens und Wirkens Jesu einerseits, ihrer Darstellung in den Evangelien andererseits, eine Voraussetzung der Beschäftigung mit Jesus, deren Berechtigung niemand bezweifelt.

      Die zweite Antwort lautet: Historische Forschung stellt die Vergangenheit nicht so wieder her, wie sie sich einst ereignet hat. Sie befragt die Quellen vielmehr aus ihrer eigenen Zeit heraus, versteht die Vergangenheit also im Licht ihrer eigenen Gegenwart. Für die historische Jesusforschung bedeutet das: Sie entwirft Bilder der Person Jesu, die dem Kenntnisstand über die damalige Zeit entsprechen, die zudem geprägt sind von der jeweiligen Sicht auf die Wirklichkeit und denjenigen Annahmen, die bei der Interpretation der Texte stets – bewusst oder unbewusst – eine Rolle spielen. Historische Jesusforschung setzt den christlichen Glauben also der kritischen Prüfung durch geschichtswissenschaftliche Methoden aus. Dabei gelangt sie niemals zu sicheren, unrevidierbaren Resultaten über die Vergangenheit. Sie stellt aber ein Bild Jesu vor Augen, das in der jeweiligen Gegenwart vor den Quellen rational und ethisch verantwortet ist. Historische Jesusforschung ist also kein dem christlichen Glauben entgegengesetztes Unterfangen, wiewohl man auch ohne Christ zu sein sich mit Jesus als historischer Person befassen kann. Für den christlichen Glauben stellt die historische Jesusforschung dagegen die Herausforderung dar, ihr Bekenntnis zu Jesus angesichts der je aktuellen Erkenntnisse über Jesus und seine Zeit zu formulieren.

      Historische Jesusforschung stellt für die Verhältnisbestimmung von historischem Jesus und geglaubtem Christus also zugleich eine Herausforderung und einen Gewinn dar. Die Herausforderung besteht darin, das Bekenntnis zu Jesus der kritischen Prüfung durch wissenschaftliche Forschung auszusetzen und angesichts der dabei zutage geförderten Ergebnisse immer wieder neu zu durchdenken. Der Gewinn besteht darin, dass das Bekenntnis auf diese Weise den je aktuellen Erkenntnis- und Verstehensbedingungen korrespondiert und nicht zu einem abständigen und nur schwer vermittelbaren Inhalt wird. Auch das sei etwas näher erläutert.

      Die zahlreichen literarischen