Wenn das nicht geschehen wäre. Anny von Panhuys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anny von Panhuys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9788711592304
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dabei nur einen Teil seiner Liebe und seines Vertrauens aufs Spiel setzen, und so antwortete sie denn: „Du bist neunundzwanzig Jahre, also alt genug, dir deine Lebensgefährtin selbst zu wählen. Ich habe keine besonderen Gründe, dass du Elisabeth nicht nehmen sollst.“

      Eigentlich hatte sie doch besondere Gründe, aber die genügten nicht, denn er würde sie nicht beachten. Er hatte es ja nicht getan, als sie flüchtig darauf hingewiesen: Was Elisabeth verdiene, gehe für neue Kleider und hochhackige Schuhe drauf!

      Also hatte sich Paul Harnisch mit Elisabeth Römer verlobt, deren Eltern lange tot waren, und die bei einer Tante lebte, die in den Häusern der Bürger und daheim Wäsche ausbesserte und manchmal auch neue anfertigte.

      Als Elisabeth mit tränenfeuchten Augen vor dem Manne stand und ihn anklagend anschaute, kam er sich ganz erbärmlich vor.

      Er bat: „Hilf mir doch mit Güte und Zureden, wie es Mutter tut, Elisabeth.“ Dann fuhr er erregt fort: „Ich habe das Schlimme doch nicht mit Absicht getan, nicht wahr? Ich bin ja schon beinahe irrsinnig vor lauter Selbstvorwürfen, und das ist wahrhaftig Strafe genug.“ Er erhob sich mit einem Ruck. „Du lieber Gott, die Tatsachen ändern sich nicht, und wenn ich sie auch noch tausendmal von neuem erzähle. Ich war an dem Abend wie verblödet vor Übermüdung. Es hatte soviel zu tun gegeben, dazu ist mir vielleicht sogar die Freude etwas zu Kopf gestiegen, weil ein Tag hinter mir lag, den ich als einen besonders erfolgreichen für mein junges Geschäft buchen durfte. Vater war ein kleiner Klempnermeister und sein Lädchen nur winzig, und nun zeigte sich allmählich — an dem bewussten Tag aber ausnahmsweise deutlich — für mich die Aussicht, dass unser Name zu einer grossen Firma werden könnte.“

      Er lief quer durch das grosse, etwas altmodisch eingerichtete Zimmer.

      „Himmel, musste ich als letzter, der hinten die Werkstatt verliess, duselig und ermüdet, wie ich war, vergessen, den Stecker aus der Steckdose zu nehmen, so dass der verflixte kaputte Wärmestrahler sich noch immer betätigen konnte und den frisch gewickelten Anker weiter trocknete. Und der Sack, den ich über den Krimskrams gelegt hatte, damit keine Wärme fürs Trocknen verloren gehen sollte, ist dann verrutscht...“

      Elisabeth vollendete ungeduldig: „ ... und schliesslich hat die Heizspirale den verrutschten Sack berührt und entzündet. So entstand das Feuer. Aber das wissen wir ja alles, und du erzählst es ausserdem jedem, der’s hören will. Kein Mensch hätte vielleicht daran gedacht, wenn du dich nicht selbst angeklagt hättest — und mit der Feuerversicherung war’s natürlich nichts.“

      Frau Harnisch mischte sich ein:

      „Du sollst nicht so reden, Elisabeth, du beleidigst Paul damit. Er hat leichtsinnig und fahrlässig gehandelt und deshalb kein Anrecht auf eine Versicherung. Du darfst seine Ehrlichkeit aber nicht als Dummheit hinstellen.“

      „Mutter, Elisabeth meint es nicht so,“ entschuldigte der Sohn das zierliche Wesen, über dessen Gesicht ein Hauch von rosigem Puder lag, der verbarg, wie blass es darunter geworden war.

      Elisabeth tupfte ein paar Zornestränen fort.

      „Deine Mutter verkennt mich leider, Paul. Ich habe dich doch so lieb.“

      Die Rehaugen blickten zärtlich und scheu, die Grübchen waren plötzlich auch da, und ein verliebter Mann war trotz allem Pech — wenigstens ein paar Minuten lang — glücklich.

      Frau Harnisch entfernte sich, um in der Küche das Abendbrot vorzubereiten, und drinnen im Wohnzimmer drängte sich Elisabeth an Paul heran und liess sich von ihm wie ein Kind in die Arme nehmen. Er flüsterte ihr dabei ins Ohr:

      „Es wird ja alles, alles wieder gut werden. Wollen aber jetzt nicht mehr davon reden, ich möchte gar nichts denken ... als nur an dich.“

      Die Ladenklingel meldete Kundschaft an. Es fehlten nur noch ein paar Minuten an sieben Uhr.

      Elisabeth machte sich aus den Männerarmen frei, zupfte flüchtig und gewohnheitsmässig an ihrer Frisur herum und ging in den Laden. Sie kehrte gleich darauf zurück.

      „Die Wirtschafterin von Frau Gregorius war da. Du sollst, wenn’s dir irgend möglich ist, heute noch zu ihr kommen. Vor halb neun wäre es ihr am angenehmsten. Um neun pflegt sie schlafen zu gehen.“ Sie spöttelte: „Wahrscheinlich will sie etwas am elektrischen Licht in Ordnung gebracht haben, das darfst du umsonst und nebenbei tun. Dafür ist sie deine Patin, bloss fürs Berappen ist die Ollsche nicht.“

      Er schüttelte den Kopf.

      „Die ‚Ollsche’ ist eine liebe, alte Frau, und dass sie nicht viel Geld hat, dafür kann sie nichts. Wenn ich ihr einen Gefallen erweisen kann, tue ich’s sehr gern. Früher hat sie meinen Eltern oft ausgeholfen, und mir hat sie, als sie es noch konnte, auch manche Mark zugesteckt.“

      Elisabeth erwiderte nichts, und da es eben sieben Uhr schlug, meinte sie, dass sie jetzt wohl nach Hause gehen könne, sie wäre sehr müde vom vielen Bedienen.

      Er nickte und brachte sie bis vor die Tür. Das Gutenachtsagen bei Frau Harnisch vergass Elisabeth nicht nur heute, das hatte sie schon öfter vergessen.

      * * *

      2.

      Kurz nach acht Uhr — er hatte sehr schnell zur Nacht gegessen — sass Paul Harnisch seiner Patin gegenüber. Fünfundachtzig Jahre zählte die alte Dame, und ihr Gesicht war verschrumpelt wie ein Borsdorfer Apfel.

      Sie nahm seine Hand und begann zu reden. Ein bisschen heiser und brüchig. Sie sprach von seinem Pech, von dem man ihr erzählt, und wie sie nachgedacht hätte, um ihm beizustehen; denn die Werkstatt müsse allerschnellstens wieder aufgebaut werden. Ob sie ihm in allem helfen könne, wisse sie zwar nicht, aber etwas für ihn tun könne sie bestimmt.

      Sie lächelte, und dabei spielten zahllose Fältchen um Augen und Mund.

      „Weisst ja, Paulemann, dass die alte Gregorius, ehe sie den Pfarrer Gregorius heiratete, eine von der Bühne gewesen ist ... und keine ganz Unbekannte. Ein seltsames Paar, nicht wahr — der Gottesmann und die Schauspielerin. Ja, wo die Liebe hinfällt. Es war ein Roman, den ich nie bereute erlebt zu haben. Du weisst, ich besitze kein Vermögen, das Sparen lag mir früher ganz und gar nicht, und wenn ich nicht die Pension bekäme ...“ Sie brach ab. „Das heisst, — von Wert habe ich noch etwas, — ich wollte es aufheben bis zu meinem letzten Tag, weil ich mich so schwer davon trenne. Aber ich sehe nun ein, ich muss dir helfen. Meine drei Jungen sind tot, kein Verwandter von mir bleibt zurück, wenn ich für immer gehen werde. Und du hättest das, was ich meine, später doch bekommen.“

      Paul Harnisch, dessen Hände die alte Frau noch immer hielt, wehrte ab:

      „Sie sollen sich meinetwegen keine Sorgen machen, liebe Frau Gregorius. Ich möchte wirklich nicht, dass Sie sich deshalb auch nur mit einem einzigen schweren Gedanken belasten.“

      „So schlimm ist’s ja gar nicht, Paul. Lass gut sein, wir wollen das, was ich eben gesagt habe, und was sich vielleicht etwas feierlich anhörte, nicht so tragisch nehmen.“ Sie liess seine Hände los. „Jetzt hör zu, Paulemann, du ganz grosser Bengel. Weisst du, ich habe dich immer sehr gern gemocht, und so ein Altchen wie ich darf dir ja ruhig eine Liebeserklärung machen. Also, ich habe noch aus meiner Glanzzeit einen Brillantring mit einem reinen, dreikarätigen Solitär, und ausserdem einen losen Stein, einen Smaragd, der ziemlich wertvoll ist. Ein Maharadscha hat mich mal spielen sehen an einem kleinen Hoftheater, wo ich gastierte. Ein alter Herr war’s; wie der Gandhi hat er fast ausgesehen. Kein einziges Haar mehr hatte er, wie man sagte, auf dem Kopf. Aber der Turban tat da gute Dienste. Er war zu Besuch bei dem Landesfürsten und hat mir den Stein in einem Strauss Rosen geschickt. An dünner Goldkette hing er. Mein Mann konnte das Schmuckstück aber nicht leiden und ärgerte sich, wenn ich es trug. Er behauptete, es wäre Unheil damit verbunden. In Wirklichkeit schien ihm der Anhänger wohl zu prunkvoll für seine Pfarrersfrau.“

      Sie kicherte. So leise und fern klang das Kichern, als käme es hinter dem Rollschreibtisch hervor oder hinter dem Eckschrank mit dem sorgsam gepflegten Porzellan.

      Sie tat plötzlich geheimnisvoll.