„Aber Fräulein Brigitte hat doch gar kein Liebesverhältnis,“ wandte die Dame ein und drückte mechanisch ihr glattes, graues Haar an den Schläfen noch fester.
„Das können Sie nicht wissen, Frau Zinn,“ widersprach Sofie. „Eine, die so hübsch ist wie Fräulein Brigitte hat sicher auch ’nen Schatz. Aber einer wie der draussen, der sieht so unheimlich aus, dem traue ich einen Revolver in der Tasche zu ... vor dem hätte ich Manschetten.“
Die Chefin entschied: „Lassen Sie ihn hier eintreten. Ich will ihn mir ansehen.“ Sie war etwas ängstlich geworden, Sofie hatte sie bange gemacht. Sie widerrief deshalb sofort ihre Anordnung: „Nein, lassen Sie ihn nicht herein! Ich werde mich durch das Guckloch in der Korridortür erst selbst überzeugen, zu welcher Sorte von Menschen er gehört.“
Beide schlichen auf den Zehenspitzen hinaus und Frau Zinn hielt Ausschau nach dem Herrn, der ihr als gefährlich aussehend geschildert worden war. Sie musste Sofie recht geben. Einen ganz harmlosen Eindruck machte allerdings der draussen Wartende nicht. Er schien vor allem äusserst ungeduldig zu sein, und zwischen seinen starken Brauen stand eine steile böse Falte.
Frau Zinn öffnete selbst und grüsste kühl und kurz.
„Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit Sie Fräulein von Hahnendorf zu sprechen wünschen?“
Das lange Warten hatte Paul Harnisch reizbar gemacht, und er antwortete ebenso kühl und kurz: „In einer Angelegenheit, die nur die Dame und mich angeht.“
„Dann erledigen Sie das am besten ausserhalb meiner Wohnung,“ gab Frau Zinn in eisigem Ton zurück.
Er nahm sich zusammen: „Es eilt aber und lässt sich nicht aufschieben.“ Dann bat er: „Zehn Minuten würden genügen, ich will Fräulein von Hahnendorf nur um eine Aufklärung ersuchen.“
In diesem Augenblick trat Brigitte aus einer der Türen, die im Korridor einmündeten, und erkannte den vor der Tür Stehenden. Unwillkürlich stutzte sie einen Herzschlag lang, aber dann kam sie sofort näher, fragte langsam: „Sind Sie etwa meinetwegen hier, Herr Harnisch?“
So selbstverständlich klang das Sie und die förmliche Anrede, dass Frau Zinn erleichtert feststellte, einen Revolver, um Brigitte Hahnendorf damit zu bedrohen, trug der Fremde sicher nicht in der Tasche. Ehe Paul Harnisch Brigitte noch Antwort zu geben vermochte, mischte sich die Chefin ein: „Der Herr möchte Sie dringend sprechen, Brigitte. Ich stelle Ihnen zu dem Zweck mein Arbeitszimmer zur Verfügung.“
Sie machte eine einladende Handbewegung nach draussen und Paul Harnisch trat ein. Endlich! Er fühlte vor Ungeduld schon ein Zittern in allen Gliedern.
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