Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Hyan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711468241
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Und ferner: wie und woher wußten die Einbrecher, daß dieser Luftschacht in den Tresor hineinführt? Man könnte glauben, der eine oder der andere von ihnen, elegant, wie sie stets gekleidet gehen, hätte sich im Bankhaus Lindström zu tun gemacht, hätte vielleicht sogar unter angenommenem Namen einen Safe bei Ihnen gemietet und hätte so die Stelle des Lufteinlasses herausgebracht ... Aber nein, auch das ist unmöglich. Seit Jahren schon steht vor dieser Luftklappe im Tresor ein Ständer, an dem eine Schifffahrtskarte der Cunard-Line aufgehängt ist. Allein können die Diebe vorher nicht im Tresor gewesen sein ... Es ist doch immer ein Bankangestellter dabei, wenn ein Kunde an seinen Safe will?“

      Der Konsul nickte mehrmals. Seine Lippen waren fest zusammengebissen, man sah, daß er in seinem Inneren schwere und furchtbare Gedanken wälzte. Aber er sprach vorläufig kein Wort.

      „Es muß also, verehrter Herr Konsul, schon aus diesem Grunde ein mit den Örtlichkeiten ganz eng vertrauter Mensch dagewesen sein, der den Einbrechern die ‚Annonce‘ brachte. Aber ich gebe zu, die bis jetzt angeführten Gründe brauchen Sie, Herr Konsul, nicht zu überzeugen. Und ich würde Ihnen nicht so etwas, das tief in Ihr menschliches Vertrauen einschneidet, gesagt haben, wenn ich nicht ganz andere und unwiderlegbare Beweise für meine Behauptung hätte:

      Ich sprach gestern — ich weiß nicht, ob Sie, Herr Konsul, zugegen waren? — schon mit Herrn Oberregierungsrat Henderson darüber:

      Der ‚Herzschlag‘ des Zalewski erschien mir vom ersten Augenblick an merkwürdig ... Nachher fand ich auf dem kleinen polierten Tisch unten im Tresor einen großen Wasserfleck ... Wie kam der dahin? ... Wo doch keine Wasserflasche, kein Glas im Tresor zu finden war ... Ich habe mich dann oben im Kundenraum ein bißchen umgesehen, und da bemerkte ich eine Wasserflasche mit zwei Gläsern auf einem gelben Tablett.“

      Herr Lindström lauschte gespannt.

      „Und in dieser Karaffe war noch ein kleiner Rest Wasser. Den habe ich heute morgen von dem Gerechtschemiker Doktor Westkorn untersuchen lassen.“

      „Na, und das Resultat, Herr Doktor?“

      „Das Wasser war mit einem starken Betäubungsmittel versetzt ... mit Skopolamin.“

      Der Doktor Splittericht hatte die letzten Worte langsam und mit Nachdruck gesprochen.

      Der Konsul wollte etwas fragen, aber er blieb auch jetzt schweigsam und sah den Detektiv nur mit weit geöffneten Augen an.

      Splittericht fuhr fort:

      „Ich habe nun noch einmal mit Doktor Rangower gesprochen und ihm die Analyse des vergifteten Wassers gezeigt. Er war sofort im Bilde Es sei noch ein dritter Täter im Spiel gewesen, meinte er, und dieser Dritte hätte den Zalewski betäubt. Zalewski hatte wahrscheinlich einen angeborenen Herzfehler. Für solche Leute sind Narkotika doppeltes Gift, besonders wenn man sie ihnen im Zeitpunkt großer Anstrengung beibringt.“

      „Und so, meint Doktor Rangower, ist Zalewski umgebracht worden?“

      Splittericht nickte:

      „Ja, und das gelbe Tablett — ich habe es inzwischen sichergestellt, ebenso wie die Gläser und die Flasche — dieses Tablett befand sich während des Einbruchs im Tresorraum ... es ist eigens zu dem Zweck der Vergiftung vor dem Einbruch in den Tresor hineingebracht, und nachdem es seinen Zweck erfüllt hatte, als der Einbrecher Anton Zalewski tot am Boden lag, ist es wieder von derselben Person aus dem Tresor hinausgetragen und an seinen alten Platz gestellt worden.“

      Dem Konsul wurde während des Gesprächs der Mund trocken. Er hielt den langen graumelierten Spitzbart mit der Rechten fest umspannt und leckte nervös die Lippen. Sehr blaß sagte er tief atmend:

      „Schauerlich ist das ... ganz furchtbar!“

      Der Detektiv machte, selbst erschüttert, eine Pause. Dann fuhr er fort:

      „Und außerdem: an dem zur Vergiftung gebrauchten Glase, das der Mörder wohlweislich ausgespült, gereinigt und abgetrocknet hat, fand ich noch eine andere Spur seiner Tötigkeit. Er hat nämlich dabei Handschuhe angehabt, wie das heute bei einem Einbrecher von Klasse selbstverständlich ist. Er wußte zwar, daß die Papillarlinien der menschlichen Hand sich am Glas abdrücken und eine für den Eingeweihten leserliche Schrift bilden. Was er aber nicht gewußt hat, das ist die ebenso unumstößliche Tatsache, daß ein mehrfach getragener Handschuh besonders an den Fingerkappen Linien aufweist, die ebenso wie die Papillaren zur Rekognoszierung dienen können.“

      „Und diese doch wohl für das bloße Auge kaum wahrnehmbaren Spuren, die haben Sie auch festgestellt, Herr Doktor?“

      „Ja. Ich habe sie sofort mit Argentol, einem Silberpräparat, bestreut und fixiert, sie dann fotografiert und diese Abdrücke nach einem sehr interessanten Verfahren zwischen feinen Zelluloidblättchen konserviert. Wenn es uns gelingt, den Mann zu finden, und er nicht etwa die Handschuhe fortgeworfen hat (woran ich nach meinen früheren Erfahrungen nicht glaube), werden wir ihn durch diese Abdrücke und Fotos überführen.“

      Der Konsul atmete hörbar.

      „Und Sie meinen, Herr Doktor“, fragte er und konnte nur schwer und mit Pausen, so aufgeregt war er, sprechen, „Sie meinen, daß der Mensch einer von meinen Angestellten ist?“

      Splittericht nickte mehrmals.

      „Jawohl, Herr Konsul. Das ist für mich eine unverrückbare Tatsache: Der zweite oder wahrscheinlich der dritte Mann war jemand, der in Ihrem Büro schon längere Zeit tätig ist.“

      „Ich habe hundertsechsunddreißig Angestellte“, sagte der Konsul eintönig, „hundertsechsundzwanzig sind davon dauernd in der Bank, zehn sind Vertreter und Außenangestellte. Aber sie können ebensogut wie die anderen sich jederzeit im Büro aufhalten —“

      „— und kommen ebensogut wie die übrigen für das Verbrechen in Frage“, vollendete der Doktor-Kommissar.

      „Wo soll man da ansetzen?“ fragte der Chef des Bankhauses mutlos. Er schwieg eine Weile und fuhr dann mit umflorter Stimme fort:

      „Das alles ist schrecklich, lieber Herr Doktor, und doch erregt es mich weniger und wühlt mich innerlich nicht so auf wie das, was ich Ihnen mitzuteilen habe. Wollen Sie mich, bitte, anhören?“

      Doktor Splittericht neigte den Kopf und vermied es, seinem Gegenüber ins Gesicht zu sehen, denn Konsul Lindström kämpfte mit den Tränen.

      7

      Hundert weiße Milchglaskugeln, die von der Decke der großen Halle in der Villa Lindström herniederhingen, beleuchteten eine Gesellschaft, die sich aus den Spitzen der Behörden, der Industrie, aus Gelehrten und Künstlern, lauter prominenten Persönlichkeiten, zusammensetzte.

      Man saß bei Sekt und Nachtisch an der hufeisenförmigen Tafel am oberen Ende des Festraumes, und die Kapelle, hinter Rosen und Lorbeer versteckt, spielte zum Tanz auf.

      „Wirklich, es ist ein ästhetischer Anblick“, sagte Oberregierungsrat Henderson zu der Baronin Korf, die gleich ihm das Zusehen beim Tanzen höher schätzte als das Tanzen selbst.

      „Aber was ist mit unserem Wirt?“ fragte die Dame dagegen, „ich habe Konsul Lindström noch nie in einer so gedrückten Stimmung gesehen.“

      „Wundern Sie sich darüber, gnädige Frau? .... Ich glaube, wenn mir anderthalb Millionen gestohlen würden, würde ich ganz anders lamentieren.“

      „Also ist es wirklich wahr, Herr Oberregierungsrat ... anderthalb Millionen? Ich habe gedacht, die Fama macht da auch wieder aus der Mücke einen Elefanten.“

      „Nein, da ist nichts übertrieben. Wir, meine Leute und ich, sind ja mit der Sache so eng befaßt, daß wir es schon wissen müssen.“

      „Ich bin wahnsinnig neugierig, Herr Oberregierungsrat! Haben Sie denn überhaupt einen Verdacht auf irgend jemanden?“

      „Bis jetzt nicht, leider! Wir wissen eigentlich noch so gut wie gar nichts. Und ich sitze hier wie auf Kohlen, gnädige Frau. Ich erwarte jeden Augenblick den Anruf eines meiner Herren, der heute abend mit