Mord im Bankhaus Lindström. Hans Hyan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans Hyan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788711468241
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der damals in ihr kaum achtzehnjähriges Leben trat, ja noch gar nicht kennengelernt! Hatte ihn für einen feinen Menschen gehalten, dem sie helfen sollte. Dann, nach jenem Tage, an dem er plötzlich alle Hüllen abwarf von seiner grenzenlosen Schlechtigkeit, als tödlicher Abscheu gegen ihn in ihr aufwuchs, da war es zu spät. Seitdem hatte er sie in der Hand und ließ sie nicht wieder los..

      „Wenn du mir auch deinen Körper nicht gibst, deine Seele habe ich, und die halte ich fest! Die lasse ich nicht wieder!“ hatte er einmal gesagt. Und er hatte Wort gehalten. Mit der Zeit aber war die Kraft, sich gegen ihn zu wehren, immer mehr von ihr gewichen.

      Als sie Stefan kennenlernte, hatte sie geglaubt, jetzt würden seine Liebe und die ihre stark genug sein, diese Sklavenkette zu sprengen. Aber auch das war nur ein schlimmer Irrtum gewesen. Ganz das Gegenteil war eingetreten. Dieser Erbärmliche hatte mit ihrer Liebe zu Stefan eine neue Zange, mit der er sie festhielt und peinigte.

      Aber heute, wo aus der freien Wahl ihrer Liebe zu Stefan ein Verlöbnis, ein Verspruch fürs Leben werden sollte — heute mußte sie sich wehren ...! Sie mußte alle ihre Kraft zusammennehmen und die Kette zerreißen, an der der erbärmliche Mensch sie festhielt ... Wie sie das anfangen sollte, wußte sie noch nicht ... Sie fühlte nur die Unmöglichkeit, ihren Liebsten weiter zu belügen, als Braut und bald als seine Frau an seiner Seite zu leben, immer gepeinigt von der abscheulichen Furcht, daß Stefan eines Tages alles erführe.

      Aber sie fand nicht die Kraft, dem Liebsten ihr Herz zu öffnen. Sie fürchtete, Stefan in dem Augenblick zu verlieren, in dem sie offen zu ihm redete. Denn er war ein seltsamer Mensch. Er hatte oft genug gesagt, daß er ihr schrankenlos und bis zum Letzten vertraue, aber daß er eine Täuschung von ihr auch nicht ertragen könne ... konnte sie ihm trotzdem die Wahrheit eröffnen?

      Marion drehte sich um und sah ins Zimmer. Sie hatte in ihrem Rücken ein Räuspern gehört; die Zofe war wieder da und meldete, daß ein paar Lieferanten Fräulein Marion durchaus selbst sprechen wollten.

      „Ja, Annette, ich komme!“

      Das klang froh und zuversichtlich. Marion ging hinüber in den hohen Festsaal. Sie traf mit einigen Geschäftsleuten notwendige Dispositionen, half bei der Aufstellung der Blumen, ordnete an und sah überall nach dem Rechten. Schließlich war sie ganz eifrig dabei, und am Ende kam’s ihr vor, als müsse sie mit dem Mut und der Kraft ihrer Jugend das Schicksal meistern, als könne keine Niedertracht ihrer Liebe etwas anhaben.

      6

      In dem Privatbüro des Konsuls, einem großen, viereckigen Raum, der ganz in dunkler Eiche getäfelt und möbliert war, lag die Dämmerung des Winternachmittags, gleich jener grauen Angst und Sorge, die des reichen Mannes Herz umklammert hielten.

      Der Konsul hatte in tiefem Nachdenken hinter dem Ebenholzschreibtisch gesessen. Jetzt ging er dem Doktor Splittericht entgegen, wobei er die starken Deckenlichter einschaltete.

      „Ich habe Sie zu mir gebeten, Herr Doktor, weil ich das größte Vertrauen zu Ihnen habe ...“

      Splittericht wollte etwas erwidern, aber der Konsul hob leicht die Hand ...

      „Das ist keine Floskel! Ich kenne Sie aus Ihren Arbeiten, und ich weiß, daß Sie, was ich für unendlich schwer halte, bei all der ernsten Unnachgiebigkeit, die Ihr Beruf nun einmal erfordert, daß Sie dabei immer menschlich fühlen und Mensch bleiben. Das führt mich zu Ihnen, Herr Doktor, das gibt mir den Mut und das Vertrauen, mich an Sie in einer schlimmen Angelegenheit zu wenden ... Vielleicht hätte ich das heute noch gar nicht getan, obgleich ...“, der Konsul zögerte, „obgleich gerade heute etwas eingetreten ist, was ich, ich will nicht sagen, erwartet, nein, vor dem ich mich schon lange geängstigt habe.

      Und da ist nun heute diese schreckliche Diebstahlgeschichte noch dazugekommen. Der tote Mensch da unten im Tresor ... das war ein Anblick ... ich kann Ihnen nicht sagen, Herr Doktor, wie mich das erschüttert hat ...“

      Der Konsul bot aus einem getriebenen Silberkasten, der auf der schwarzen Ebenholzplatte stand, dem Detektiv eine Zigarre an.

      „Sie rauchen nicht, Herr Doktor ...? Ich leider desto mehr ... Wir Geldmenschen müssen ewig hetzen und jagen ... ganz ohne Stimulans halten da die Nerven nicht durch.“

      Er zündete die Zigarre an dem elektrischen Apparat an und tat ein paar lange Züge.

      „Ich möchte Sie vorerst einmal fragen, Herr Doktor, ob Sie inzwischen etwas herausbekommen haben, was irgendwie Licht in die Angelegenheit bringen kann?“

      Doktor Splittericht antwortete nicht gleich Es wurde ihm schwer, diesem sowieso gequälten Manne noch mehr und besonders das zuzumuten, was er selbst auf dem Herzen hatte.

      „Herr Konsul, ich muß und will Ihnen das Ergebnis meiner Untersuchungen gleich zu Anfang sagen. Ich glaube, wenn jemandem etwas für ihn schwer, sehr schwer zu Ertragendes gesagt werden muß, dann soll man ihm diesen bitteren Trank sofort, mit einem Male, nicht tropfenweise, geben.“

      Der Konsul richtete sich in seinem Sessel hoch empor, als wollte er dem Stoß, der ihn treffen sollte, die Brust zur Abwehr bieten:

      „Ich bitte Sie, Herr Doktor, ohne jede Rücksicht auf mich oder irgendwelche andere Personen die volle Wahrheit zu sagen oder wenigstens das, was Sie dafür halten.“

      Splittericht nickte und sprach klar und mit langsamer Betonung:

      „Der Einbrecher, den wir unten im Tresor gefunden haben, ist nicht am Herzschlag gestorben. Er ist das Opfer eines Komplicen ... der hat ihn vergiftet ..“

      Herr Lindström blickte überrascht auf:

      „Wieso ...? Woher wissen Sie das, Herr Doktor?“

      Der Detektiv antwortete nicht, er fuhr fort:

      „Und der den Zalewski vergiftet hat, der ist zweifellos ein Mitglied Ihrer Bank, Herr Konsul!!“

      Das hatte Konsul Lindström nicht erwartet.

      Er nahm sich sehr zusammen, aber er konnte das Zittern seiner Lippen und das nervöse Spiel der Hände nicht verbergen. Seine Stimme klang mühsam, als er fragte:

      „Und darf ich Sie bitten ...“

      Der Doktor-Kommissar nickte:

      „Jetzt, da Sie das Wichtigste wissen, Herr Konsul, möchte ich Ihnen der Reihe nach erzählen, was ich bei meinen Untersuchungen festgestellt habe.

      Es fiel mir vor allen Dingen das auf, was wir Kriminalisten, dem Rotwelsch der Verbrecher folgend, die ‚Annonce‘ nennen. Die ‚Annonce‘ ist das Auskundschaften der Gelegenheit zum Diebstahl, die genaue Beobachtung von Zeit, Ort und Menschen und insbesondere der Plan der internen Örtlichkeit, wo der Einbruch verübt werden soll.

      Das war in unserem Falle von besonderer Wichtigkeit. Von außen sieht ein Haus wie das andere aus, das Gebäude Ihrer Bank unterscheidet sich nicht wesentlich von den Nachbarhäusern. Aber es hat zwei Eingänge von verschiedenen Straßenseiten. Der eine Eingang liegt auf der Seite, die gleichzeitig den Publikums-Eingang Ihrer Bank enthält Der andere Eingang geht von der Straße am Harlemer Platz in Ihr Haus hinein.“

      Der Konsul nickte.

      „Und zwar“, fuhr Splittericht fort, „führt dieser zweite Eingang über einen kleinen Hof zur Hintertreppe. Diese führt hinauf zu den Wohnungen. Die Bank hat zu ihr einen zweiten Ausgang in der ersten Etage. Wesentlich ist die Treppe für unsern Fall, weil sie auch hinabführt in den Heizkeller, den die Einbrecher als Operationsbasis benutzt haben. Von dort haben sie die Hauswand durchstemmt, so daß sie in der Flinsburger Straße unter dem Trottoir herauskamen. Dann haben sie einen vier Meter langen Gang unter dem Straßenniveau gegraben und sind nun in der Flinsburger Straße abermals durch die Hauswand gedrungen, und zwar ausgerechnet da, wo der wenig mehr als mannsbreite Luftschacht sich befindet, der durch eine Luftklappe Ihren Tresor ventiliert.

      Wie konnten die Einbrecher diesen von außen in keiner Weise erkennbaren und so kleinen Luftschacht herausfinden? Ich habe mich genau erkundigt, irgendeinen Grundriß der inneren Baulichkeiten gibt es nicht. Das Haus ist etwa zwanzig