Matsuda Osamu zufolge fühlte auch Mitsushige als Fürst sich seinem Urgroßvater und Großvater unterlegen, weil er sich nicht wie sie einen Namen im Krieg hatte machen können. Deshalb habe er es sich in den Kopf gesetzt, dass ihm in den Zeiten der ›Pax Tokugawa‹ nichts anderes übrigbleibe, als sich einen Namen als Kunstmäzen und Dichter zu machen. Zu diesem Zweck habe es ihn nach dem Kokin denju, einem geheim überlieferten Kommentar der klassischen Gedichtesammlung Kokin wakashū, verlangt.43 Darum wurde Jōchō am 20. Tag des 3. Monats 1696 mit dem persönlichen Auftrag Mitsushiges, in Kyōto das Kokin denju zu beschaffen, in die kaiserliche Hauptstadt berufen. Im gleichen Jahr wurde Tashiro Tsuramoto übrigens zum Sekretär des neuen Fürsten Tsunashige ernannt.
Während seiner fünf Jahre in Kyōto unternahm Jōchō acht Dienstreisen, um Mitsushige nach und nach die ihm von seinem Poesielehrer Sanjōnishi Dainagon Sanenori anvertrauten Teile des Kokin denju persönlich zu überbringen. Für seine Mühen erhielt er 1699 von Fürst Tsunashige eine weitere Gehaltserhöhung von zehn koku und ein Lehen von 125 koku zuerkannt. Viel wichtiger war für ihn aber vermutlich die Möglichkeit, seine enge, persönliche Beziehung zu seinem Lehnsherrn noch vertiefen zu können. In diesem Zusammenhang erscheint z. B. auch die in Paragraph II-64 beschriebene Schenkung einer Garnitur gebrauchten Bettzeugs durch Mitsushige an Jōchō symbolträchtig.44
Im Frühjahr des Jahres 1700 verschlechterte sich allerdings unversehens der Gesundheitszustand Fürst Mitsushiges in einer Weise, die ihn auf dem Krankenbett wiederholt nach Jōchō fragen ließ, weil er vor seinem Tod unbedingt die restlichen Teile des Kokin denju zu Gesicht bekommen wollte. Seine Nachfragen wurden derart drängend, dass die Mitglieder seines Leibgefolges erwogen, gefälschte Dokumente vorzulegen, falls Jōchō nicht rechtzeitig eintreffen sollte. Mit der Krankheit seines Lehnsherrn als Vorwand konnte Jōchō sich allerdings von Sanjōnishi den Auftrag geben lassen, seinem Fürsten wohlgemerkt nur einen Teil der verbleibenden Überlieferungen des Kokin denju zu überbringen. Er erreichte Saga am 1. Tag des 5. Monats, nachdem Mitsushige bereits seine letzten Worte an seine Familie und seine wichtigsten Vasallen gerichtet hatte. Mitsushige soll über Jōchōs Ankunft und die von ihm mitgebrachten Dokumente hocherfreut gewesen sein und belobigte Jōchō für seine treuen Dienste: Damit hatte dieser praktisch den Höhepunkt seiner Laufbahn erreicht. Dass Jōchō den größten Erfolg seiner Karriere durch die Beschaffung eines Poesiekommentars erzielte und auf diese Weise seine Loyalität bewies, stuft der Hagakure-Forscher Matsuda Osamu (1927–2004) jedoch als burlesk und ein wenig lächerlich ein.45
Weil sich Fürst Mitsushiges Gesundheitszustand aber immer mehr verschlechterte, kündigte Jōchō offiziell an, dass er mit dem fürstlichen Ableben Mönch zu werden gedenke, dies aber nur deshalb, weil es von Gesetzes wegen verboten sei, seinem Lehnsherrn in den Tod zu folgen. Mitsushige verschied am 16. Tag des 5. Monats 1700 im Alter von 69 Jahren. Einen Tag später wurde Jōchōs Ersuchen, Mönch zu werden, stattgegeben. Daraufhin erhielt er am 19. die Tonsur, wurde als Laienmönch ordiniert und nahm den von seinem Lehrer Tannen erhaltenen Totennamen Gyokuzan Jōchō an. Nachdem alle Beerdigungsriten beendet waren, zog Jōchō im 7. Monat in eine Einsiedlerklause namens Chōyōken am Fuße des Berges Kinryū in Raikōji-mura Kurotsuchibaru, etwa zehn Kilometer nördlich der Burgstadt Saga. Von hier aus pilgerte er fortan am 16. Tag eines jeden Monats, dem Todestag Fürst Mitsushiges, zum zwölf Kilometer entfernten Kōdenji, um für seinen verstorbenen Lehnsherrn zu beten.
Es wird immer wieder betont, das Mönchsgelübde habe Jōchō weder aus Enttäuschung darüber abgelegt, dass sein Lehnsherr gestorben und damit praktisch jede Möglichkeit zu Beförderung und Karriere dahingeschwunden war, noch deshalb, weil Sitten und Gebräuche ihn dazu gezwungen hätten, oder etwa, weil er endlich ein geruhsames Leben habe führen wollen.46 Vielmehr wird Jōchōs eigener Erklärung im Hagakure gefolgt, in der er darauf verwies, dass es sich um eine Art »lebendes junshi« gehandelt habe, er also gewissermaßen seinem Fürsten in den Tod gefolgt sei.47 Dennoch gab er es trotz dieses »symbolischen Todes« nicht auf, sich für die Belange seiner Familie einzusetzen und sich für die Umstände des Klans zu interessieren: So stellte Jōchō zum Beispiel 1707 eine Chronik seines Vaters Shigezumi und 1714 eine Chronik seines Großvaters Nakano Jin’emon Kiyoaki (Daten unbekannt) fertig, in denen ihre Verdienste und Leistungen für die Saga-Domäne im Mittelpunkt stehen. Darüber hinaus schrieb er 1708 das Gukenshū, die »Sammlung meiner bescheidenen Ansichten«, in dem 36 Verhaltensmaßregeln für »wahre« Samurai verzeichnet waren, und ließ 1715 dem späteren fünften Fürsten von Saga Nabeshima Muneshige sein »Vermächtnis« zukommen, in dem er seine Vorstellungen über das korrekte moralische Verhalten eines Feudalfürsten zum Ausdruck brachte.
Weiterhin widmete Jōchō 1715 seinem Adoptivsohn Yamamoto Gon’nojō (gest. 1715) einen Brief mit der Überschrift Senbetsu, wörtlich »Abschiedsgeschenk«, in dem er ihm in 17 Passagen Verhaltensmaßregeln und Ratschläge für dessen Arbeit mit auf den Weg nach Edo gab. Zu guter Letzt hinterließ Jōchō noch eine eigene Jahreschronik, in der er in erster Linie, wie auch in den Chroniken seines Vaters und Großvaters, Dokumente aufführte, in denen an seine eigenen Verdienste erinnert wurde. Darum handelt es sich dabei in erster Linie nicht um Memoiren, sondern um eine Geltendmachung seiner Person, in der er ausschließlich positive, vorteilhafte Dinge notierte und nachteilige Umstände unter den Tisch fallen ließ. So gesehen müsse man also, laut Matsuda Osamu, seine literarische Hinterlassenschaft als in einer Weise berechnet ansehen, die seinen eigenen, im Hagakure propagierten Idealen nicht entspricht.48 Andererseits darf man auch nicht verkennen, wie wichtig eine solche Einflussnahme für die fortgesetzte Bedeutung der eigenen Familie innerhalb der Domäne war.
All diese Manuskripte ließ er sowohl seinem Adoptivsohn Gon’nojō als auch Tashiro Tsuramoto zukommen. Tashiro Matazaemon Tsuramoto, der Protokollant oder Schriftführer des Hagakure, wurde 1678 geboren. Er zeigte früh literarisches Talent und wurde deshalb 1696 Sekretär Fürst Tsunashiges. Nach dessen Tod im 12. Monat 1706 setzte er seine Arbeit für den vierten Nabeshima-Fürsten Yoshishige fort, wurde aber im 5. Monat 1709 aus unbekannten Gründen seines Postens und seines Lehens enthoben. Weil es rōnin verboten war, in der Nähe der Burg Saga zu wohnen, zog er nach Gongenbaru im Dorf Kanadate, etwa anderthalb Kilometer von Jōchōs Einsiedelei entfernt. Dadurch kam es am 5. Tag des 3. Monats 1710 zum ersten Besuch Tsuramotos bei Jōchō: Die Notierung und Zusammenstellung des Hagakure nahm seinen Anfang. Im Verlauf der nächsten sechs bis sieben Jahre machte sich Tsuramoto Notizen von ihren Konversationen und fasste diese Notizen bis 1716 (also drei Jahre vor Jōchōs Tod) hauptsächlich in den ersten beiden Bänden des Hagakure zusammen.
Jōchō verstarb schließlich im Alter von 60 Jahren am 10. Tag des 10. Monats 1719. Seinem Wunsch gemäß wurden bei seiner Einäscherung keine rituellen Gebete gesprochen. Dies führt Koga Hideo (1917–2002) auf die religiöse Überzeugung zurück, dass solche Gebete die Seele ins buddhistische Paradies führen würden. Aber in der Einleitung zum Hagakure hatte Jōchō darauf bestanden, siebenmal als Samurai des Nabeshima-Klans wiedergeboren zu werden, um auch in Zukunft dem Fürstenhaus dienen zu können.49
Tashiro Tsuramoto dagegen wurde im 8. Monat 1731 zum Sekretär des fünften daimyō von Saga Muneshige ernannt, dem Jōchō 16 Jahre zuvor sein »Vermächtnis« überreicht hatte. Als offizieller Protokollant und geheimer Dokumentenbeschaffer wurde Tsuramoto dann in Edo stationiert: Dort wurde er für seine Verdienste belobigt und erhielt eine erhebliche Gehaltserhöhung. 1748 verstarb er im Alter von 70 Jahren.
Die Überlieferung des Hagakure
Bis heute konnte kein Originalmanuskript von Tashiro Tsuramoto gefunden werden, aber aus der Tatsache, dass über 40 handschriftliche Kopien existieren, geht klar hervor, dass das Hagakure bis zum Ende der Edo-Zeit unter dem Kriegeradel Sagas relativ verbreitet war.50 Dabei werden die verschiedenen Versionen des Hagakure in drei Zweige oder Strömungen unterteilt, nämlich in die Kashima-Fassung, die Koyama-Fassung und die Kōhaku-Fassung, die sich jeweils in einzelnen Details, wie z. B. der Zahl der Paragraphen, oder auch in einzelnen