Der Frauenarzt - Unterhaltungsroman. Marie Louise Fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marie Louise Fischer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788726444803
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Dr. Ott, empfangen.

      „Gut, daß Sie da sind, Herr Professor!“ sagte er aufatmend.

      Jürgen Ott war Anfang vierzig, ein erfahrener Arzt, der sich so leicht nicht aus der Ruhe bringen ließ. Aber jetzt zeigte sein verstörtes Gesicht, daß er der Situation nicht ganz gewachsen war. Seine Stimme klang belegt.

      „Also, was gibt’s?“ fragte Professor Hartwig nicht gerade freundlich.

      Dr. Ott schluckte. „Querlage. Ich habe das Kind von außen her gewendet. Aber bei jeder Wehe rutscht es wieder mehr in diese verdammte Querlage zurück!“

      „Na, dann machen Sie doch eine Sectio!“

      „Das wollte ich ja, Herr Professor. Aber Frau Baumann weigert sich. Sie will nicht. Auf keinen Fall. Ich habe alles versucht.“

      „Angst?“ fragte Professor Hartwig.

      „Ja“, sagte Dr. Ott gepreßt. Er warf Dr. Berg, der hinter dem Professor stand, einen Blick zu.

      Professor Hartwig war schon zum Kreißbett getreten. Er nickte der Hebamme, die beruhigend die Hand von Frau Baumann hielt, kurz zu, wandte sich dann an die Patientin:

      „Na, meine Liebe“, sagte er väterlich, „was machen Sie denn für Geschichten?“

      Er kannte Frau Evelyn Baumann als eine hübsche, sehr gepflegte junge Frau. Aber jetzt, da sie vor ihm lag, wirkte sie weder gepflegt noch hübsch.

      Ihr helles blondes Haar war von Schweiß verklebt, ihr zartes Gesicht verzerrt, und ihre hellen Augen zeigten panische Angst.

      „Ich will nicht, Herr Professor!“ rief sie hysterisch. „Ich will nicht! Lassen Sie mich fort, rufen Sie meinen Mann an! Ich will hier raus, ich kann nicht mehr!“ Sie bäumte sich unter einer neuen Wehe auf.

      „Aber, aber“, sagte Professor Hartwig, „Sie müssen doch Ihr Kindchen zur Welt bringen . . . oder wollen Sie es etwa gar nicht mehr haben?“ — „Ich will leben!“ schrie die Patientin.

      „Das sollen Sie doch auch! Sie sollen leben, und Ihr Kindchen soll leben!“

      „Nein, Sie wollen mich töten . . . Sie werden mich umbringen wie . . .“

      „Wir haben hier noch niemanden umgebracht, Frau Baumann“, sagte Professor Hartwig, „nun nehmen Sie sich mal zusammen!“ Er winkte der Hebamme. „Frau Weber wird Ihnen jetzt eine schmerzstillende Spritze geben . . .“

      „Nein! Nein!“ schrie die Frau. „Sie wollen mich einschläfern . . . ich will nicht!“ Sie schrie gellend auf, schlug der Hebamme die aufgezogene Spritze aus der Hand. Sie fiel zu Boden, zerbarst.

      Professor Hartwig bewahrte eiserne Ruhe. „Na schön“, sagte er, „wenn Sie so eigensinnig sind, müssen Sie eben leiden. Dann kann ich Ihnen auch nicht helfen!“ Er richtete sich auf.

      Die Frau klammerte sich an ihn. „Bitte, bestellen Sie einen Krankenwagen! Bitte, lassen Sie mich fort!“

      „Aber selbstverständlich, wenn das wirklich Ihr Wille ist“, sagte Professor Hartwig, „aber erst darf ich Sie doch noch untersuchen, ja?“

      „Ich will keinen Kaiserschnitt!“

      „Das ist mir durchaus klar. Aber vielleicht geht es auch ohne Sectio!“

      Professor Hartwig betastete behutsam den geschwollenen Leib der Patientin mit beiden Händen — der kindliche Kopf stand rechts, eine Querlage, kein Zweifel. Trotzdem horchte er zwischen zwei Wehen mit dem hölzernen Stethoskop die kindlichen Herztöne ab. Sie waren kräftig, aber ihr Ausgangsort bestätigte seine Diagnose.

      „Ihrem Kindchen geht es gut“, sagte der Professor, „es scheint kräftig und gesund zu sein.“

      Für Sekunden ließ die Anspannung der Patientin nach.

      Professor Hartwig setzte sich an den Rand des Kreißbettes, nahm die zuckende, von kaltem Schweiß bedeckte Hand der Patientin zwischen seine warmen Hände. „Nun sagen Sie mal ganz ehrlich, Frau Baumann . . . haben Sie denn gar kein Vertrauen zu mir?“

      „Doch“, flüsterte die Patientin.

      „Raten Sie mal, wie oft ich schon einen Kaiserschnitt durchgeführt habe . . . nein, geben Sie sich keine Mühe . . . viele hundert Male, und immer ist es gutgegangen.“

      „Das glaube ich Ihnen ja . . .“

      „Eine Sectio“, fuhr Professor Hartwig, immer mit der gleichen gelassenen Stimme, fort, „ist heutzutage doch kein Problem mehr. Viele gesunde junge Frauen bitten mich darum, obgleich gar keine Indikation gegeben ist . . . sie wollen einen Kaiserschnitt, um sich die Wehen und die Schmerzen der Geburt zu ersparen.“

      Eine neue Wehe packte den Körper der Patientin. „Tief durchatmen“, mahnte der Professor, „sehen Sie, das ist ja ganz gut gegangen . . . Sie waren sehr tapfer!“

      Die Patientin zwang sich ein Lächeln ab.

      In diesem Augenblick sah sie Oberarzt Dr. Berg, der hinter den Professor getreten war. Ihr Lächeln erstarb, blankes Entsetzen trat in ihre Augen.

      „Da ist er“, keuchte sie, „da, sehen Sie!“

      „Wen? Was haben Sie denn?“

      „Den Mörder!“

      Die ungeheuerliche Anklage gellte durch das Zimmer.

      Dr. Berg stand wie erstarrt. Es war ihm, als wenn alle ihn anblickten, als wenn alle dieses schreckliche Wort wiederholten — aber es war sein eigenes Gewissen, das wie ein Echo den Schuldspruch wiederholte: Mörder! Mörder! Du bist ein Mörder!

      „Schicken Sie ihn weg!“ schrie die Patientin. „Er ist es, der diese Frau umgebracht hat . . . lassen Sie nicht zu, daß er mich anrührt!“

      „Geh!“ sagte Professor Hartwig mit einer Kopfbewegung zu seinem Oberarzt. „In den Waschraum“, fügte er leiser hinzu.

      Er drückte die Patientin auf das Kreißbett zurück. „Aber, aber“, sagte er. „Er ist ja schon fort! Und jetzt beruhigen Sie sich, bitte. Denken Sie doch an Ihr Kindchen! Es bekommt ihm ganz und gar nicht, wenn Sie sich so aufregen.“

      „Dieser Arzt, der . . .“

      „Es geht jetzt nur um uns beide, Frau Baumann! Sehen Sie mich an, und beantworten Sie mir meine Frage: wollen Sie mir vertrauen?“

      „Ihnen schon!“

      „Na sehen Sie, das ist ein Wort. Ich will Ihnen doch nur helfen, begreifen Sie doch. Noch ist Ihr Kind gesund und lebt. Aber es kann nicht aus Ihrem Leib heraus . . .“

      „Ich“, stammelte die Frau, „aber die Wehen . . . ich tue doch alles.“

      „Es liegt nicht an Ihnen, Frau Baumann! Ihr Kind ist in eine falsche Lage gerutscht. Es liegt mit dem Rücken zum Muttermund, verstehen Sie?“

      „Ich habe Angst“, sagte Frau Baumann kaum hörbar.

      „Das brauchen Sie nicht. Ich werde den Eingriff selbst durchführen, ich habe es hundertmal gemacht. Das Risiko ist nicht größer als bei einer Blinddarmoperation.“ — „Wann?“

      Professor Hartwig stand auf. „Jetzt sofort! Sie sollen doch nicht sinnlos leiden. In einer Viertelstunde wird alles überstanden sein. Sind Sie einverstanden?“

      Eine Wehe, stärker als die vorhergegangenen, durchfuhr den Leib der Gebärenden. „Ja“, schrie sie, „ja! Ich kann nicht mehr! Machen Sie mit mir, was Sie wollen!“

      Zehn Minuten später lag Frau Baumann auf dem Operationstisch. Der Anästhesist hatte die Narkose eingeleitet. Als Professor Hartwig, gefolgt von Dr. Berg und Dr. Ott, den OP betrat — alle drei in ihren grünen Kitteln, durch Mundschutz und Schiffchen fast unkenntlich gemacht —, führte er den Trachealkatheter in die Luftröhre ein.

      Noch einmal überprüfte Professor Hartwig mit dem hölzernen Stethoskop die kindlichen Herztöne.

      Dann