»Das fehlte gerade noch«, sagt Randi, als Julie mit ihr darüber spricht. »Denkst du, ich bin hergekommen, um die feine Stadtdame zu spielen?«
Doch als nach dem Mittagsmahl abgeräumt und abgewaschen ist, deckt sie zum Nachmittagskaffee im Wohnzimmer. Auch die Leute vom Altenteil bittet sie dazu. Jetzt muss Randi alles erzählen, was an diesen furchtbaren Tagen in der Stadt passiert ist.
Es ist ruhig wie in der Kirche, während Randi von den Geschehnissen berichtet.
Am Sonntagmorgen sei sie zeitig aufgewacht, erzählt sie. Normalerweise bleiben sie an solchen Tagen länger im Bett, doch sie fühlte sich unruhig, konnte nicht mehr schlafen und stand auf. In der Stadt herrschte Sonntagsstille, prächtiges Wetter mit strahlendem Sonnenschein, ein klarer blauer Frühlingshimmel. Später am Morgen war das Brummen eines Flugzeuges zu hören, und gegen halb neun das Donnern gewaltiger Explosionen, die von Nordlandsiden zu kommen schienen. Gleich danach begann der Fliegeralarm. Zuerst stürzten sie auf die Straße, doch dann kam das Inferno über sie. Vorbei war es mit dem Sonntagsfrieden, Explosionen von Sprengbomben, Sirenen, Maschinengewehrrattern aus Jagdflugzeugen, das infernalische Heulen der Stukas, die im Sturzflug ankamen und über Häuser und Straßen jagten. Yngvar schickte sie in den Keller. Dort saßen sie zusammen mit anderen Bewohnern, älteren Leuten, Frauen und Kindern. Die Männer waren draußen in den Straßen, um zu helfen. Sie saßen dort, während das Haus unter den detonierenden Sprengbomben erbebte. Sie hörten die Geräusche von berstenden Fensterscheiben, und die meiste Angst hatten sie, dass das Haus über ihnen zusammenstürzen könnte. Jedes Mal, wenn sie hörte, dass eine Pause während der Bombardierung eintrat, stürzte sie auf die Straße. Diesen Anblick wird sie nie vergessen. Entlang den Kais brannte es und der ganze Kaiberg stand von oben bis unten in Flammen. Feuersäulen schossen hoch und dicker, schwarzer Rauch wälzte sich in den Himmel. Jedes Mal, wenn sie sich hinauswagte, bekam sie von Leuten, die sie traf, Informationen. Die Explosionen, die sie am Morgen zuerst gehört hatten, kamen von Dale, erfuhr sie. Vier Menschen waren dort umgekommen und mehrere verletzt worden. Eine der ersten Bomben, die die Stadt trafen, schlug in der Straße vor dem Gaswerk ein. Dort entstand ein Krater, der zu einem Bruch in der Hauptwasserleitung der Stadt führte, das Wasser stand in einer himmelhohen Säule in der Luft. Damit wurden Löscharbeiten fast hoffnungslos. Außerdem feuerten die Flugzeuge auf die Mannschaften. Einige der Projektile durchschlugen die Feuerwehrschläuche und machten sie unbrauchbar, und die Feuerwehrleute und die freiwilligen Helfer mussten ihre Arbeit ständig unterbrechen, um Schutz vor dem Beschuss durch die Flugzeuge zu suchen. Die ersten Stunden herrschte ein vollkommenes Chaos.
Die Leute versuchten, Inventar und ihre Habseligkeiten aus den brennenden Gebäuden und aus den Häusern, die noch nicht getroffen waren, zu retten. Jedes Mal, wenn Yngvar sich kurz sehen ließ, schafften sie gemeinsam etwas nach draußen auf die Straße.
»Gott weiß, was jetzt damit geworden ist«, sagt Randi.
Es fielen ja nicht nur Sprengbomben. Die Deutschen warfen auch Brandbomben, kleine zischende Teufel, die alles, was in ihre Nähe kam, anzündeten. Durch die Zeitungen waren die Leute davor gewarnt worden, und viele waren der Aufforderung gefolgt und hatten dafür gesorgt, dass sie Spaten und Sand im Haus hatten. Diese Bomben können nämlich mit Sand gelöscht werden. Sie sah mit eigenen Augen, wie Leute diese Bomben nahmen und sie von Hauswänden und Gebäuden entfernten, sie auf die Straße beförderten und Sand darüber warfen. Viele Häuser wurden dadurch vielleicht gerettet, doch zeitweise hagelte es von solchen Bomben auf die leicht brennbare Holzbebauung, die Übermacht war zu groß, und ständig flammten neue Brände in der Stadt auf.
»Ich kann das nicht beschreiben. Man muss selber dabei gewesen sein, um glauben zu können, dass das, was zu sehen war, auch wirklich passiert ist«, sagt Randi.
Gegen fünf Uhr morgens sah es so aus, als hätten sie alles unter Kontrolle. Seit Eintritt der Dunkelheit war es ruhig geblieben, und die meisten dachten, der Alptraum sei vorüber. Da war sozusagen die gesamte Bebauung in dem Gebiet zwischen der Nordmører Molkerei und dem Toldbodbakken, den Kais entlang und zur Hauggate hinauf in Asche gelegt. So gut wie alles war in Schutt und Asche gelegt, auch entlang dem Torvet und der Storgate. Die Gebäude, die kein Opfer der Flammen geworden waren, waren zerstört worden. Das Grand Hotel war abgebrannt, ebenso der altehrwürdige Knudtzongården. So sah es allein auf Kirchlandet, im Stadtkern, aus. Was in den anderen Stadtteilen los war, auf den anderen Inseln, auf denen die Stadt erbaut ist, weiß sie nicht genau. Die letzten Stunden in der Stadt hatte sie sich draußen aufgehalten. Es war unwirklich, durch die Straßen zu gehen, die nur durch die auflodernden Brände erleuchtet wurden, unwirklich und unheimlich. Schornsteine ragten schwarz aus Ruinen, übrig geblieben von dem, was tags zuvor eine friedliche und schöne Stadt gewesen war.
Auch sie selber konnte sich nichts anderes vorstellen, als dass es nun vorüber sei, und der größte Teil der Feuerwehr und der Hilfsmannschaften wurde abgezogen, um ihnen ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Dann erwachten sie am Montagmorgen zu einem Alptraum, der noch schlimmer war als am Vortag. Bombenladung auf Bombenladung, Sprengbomben und Brandbomben wurden über der Stadt abgeworfen. Das ganze Stadtzentrum auf Kirchlandet stand in Flammen. Das Dach des Festhauses fing Feuer und um die Mittagszeit brannte die Kirche nieder. Als die Glocken herabstürzten, hallte es wider wie die Verkündigung eines Strafgerichts, das über die Stadt gekommen war.
»Nie werde ich diesen unheimlichen Laut vergessen, niemals«, sagt Randi.
Die Hitze in der Stadt war so groß, dass es unmöglich war, sich einzelnen Quartieren zu nähern. Die anderen Stadtteile wurden ebenfalls von Brandbomben getroffen, überall schossen neue Brände empor. Ein unbeschreibliches Inferno.
Selbstverständlich gab es unter denen, die noch in der Stadt zurückgeblieben waren, Ansätze von Panik, doch sie wunderte sich, wie gefasst die meisten waren, trotz allem. Sie suchten Zuflucht in Kellern und provisorischen Schutzräumen. Wo sollten sie denn sonst Schutz finden in dieser kahlen Stadt? Wenn sie sich nach draußen auf die Straßen wagten, wurden sie von den Flugzeugen beschossen. Dennoch trotzten viele der Gefahr und versuchten, das Inventar aus den Häusern zu retten, und die Feuerwehr und die Hilfsmannschaften hielten stand, suchten nur Deckung, wenn das Maschinengewehrfeuer zu nahe kam. Solange es heller Tag war, war es unmöglich, aus der Stadt wegzukommen, weil die Flüchtenden von den Flugzeugen aus beschossen wurden. Diese Flugzeuge, bei der Erinnerung schaudert es Randi, die wie die Teufel vom Himmel gestürzt kamen und Straßen und Gassen mit Maschinengewehrfeuer belegten. Getötet wurde niemand, soweit sie weiß, was man nur als Wunder bezeichnen kann. Doch sie weiß, dass viele ältere Leute, Frauen und Kinder sich nach Karihola gerettet haben, nach Kvernberget und an andere Orte rings um die Stadt und Schutz unter Bergvorsprüngen und in Höhlen gesucht haben. Ein Wunder war es auch, dass das Wetter dieser Tage so ungewöhnlich schön war. Wenn es geregnet hätte oder kalt gewesen wäre, was im April häufig der Fall ist, wären viele an der Kälte zugrunde gegangen. Und was sollen die Leute machen, um sich mit Essen und anderen lebensnotwendigen Dingen zu versorgen? Was ist mit den Kranken, mit den Neugeborenen und was mit den Frauen, die vor der Entbindung stehen? Es gibt keinen Strom, kein Wasser, man darf gar nicht daran denken. Aber das Schlimmste von allem, das, was sich für immer in ihr festsetzen wird, das ist die Erinnerung an die Flugzeuge, die eine Kugelsalve nach der anderen auf unschuldige Menschen feuerten, auf Zivilisten, Frauen und Kinder. So etwas kann man wohl nie verzeihen.
»Was sind das für Menschen, die so etwas tun? Nein, es geht nicht an, dass man die Deutschen Menschen nennt, jedenfalls nicht für mich, nach all dem, was ich gesehen habe. Untiere sind sie, unzivilisierte Schweine.«
Jetzt fällt Randis Blick auf Helene, die stumm dasteht und sie anstarrt, weiß im Gesicht, dann den Raum verlässt. Randis Wangen färben sich rot.
»Ach,