»Dann benötigen Sie meine Dienste also nicht länger?«
Sie lächelte. Das hatte Bond nicht erwartet. »Tja«, sagte er vorsichtig. »Wenn Sie Lust auf ein Abendessen hätten …«
»Liebend gern«, erwiderte sie grinsend.
Bond nahm sie im Saab mit. Sie fuhren nach Kensington, zum Trattoo in der Abingdon Road, wo Carlo erfreut war, seinen alten Gast wiederzusehen. Bond war seit einer ganzen Weile nicht mehr hier gewesen und wurde mit großem Respekt behandelt. Er bestellte für sie beide – ein einfaches Mahl: die zuppa di verdura gefolgt von fegato Bacchus und dazu ein leichter, junger Bardolino zum Nachspülen (ein ’79er, denn einen Bardolino sollte man immer jung und gekühlt trinken, selbst wenn er rot ist, so wie die Franzosen ihre Roséweine jung genießen, erklärte Bond). Danach machte ihnen Carlo einfache Crêpes mit Zitrone und Zucker, und sie tranken Kaffee an der Bar, wo Alan Clare am Klavier saß und spielte.
Ann Reilly war entzückt und sagte, dass sie für immer dasitzen und Clares flüssigem, leichtem Spiel lauschen könne. Doch das Restaurant wurde bald voller. Ein paar Schauspieler kamen herein, ein bekannter Filmregisseur mit krausem grauem Haar und ein berühmter Komiker. Alan spielte noch ein letztes Stück für Ann – sie hatte sich »As Time Goes By«, den sentimentalen Oldie aus Casablanca gewünscht.
Bond fuhr den Saab auf Ann Reillys Bitte hin zurück in Richtung Chelsea. Während sie ihm die Richtung angab, lachte sie viel und sagte, sie habe sich seit Langem nicht mehr so gut amüsiert. Schließlich hielten sie vor einem Reihenhaus im georgianischen Stil an und Q’utie verkündete, dass ihr der gesamte zweite Stock als Wohnung zur Verfügung stehe.
»Wollen Sie mit reinkommen und sich meine Apparate ansehen?«, fragte sie. Bond konnte ihr Lächeln in der Dunkelheit des Autos nicht sehen, aber er wusste, dass es vorhanden war.
»Das ist mal was anderes«, erwiderte er amüsiert. »Ich halte mich immer noch an die Briefmarkensammlung.«
Sie hatte die Beifahrertür geöffnet. »Oh, aber ich habe wirklich Apparate«, sagte sie und lachte wieder. »Ich bin eine leitende Angestellte der Q-Abteilung, erinnern Sie sich? Ich nehme meine Arbeit gern mit nach Hause.«
Bond schloss den Wagen ab, folgte ihr die Stufen hinauf und in den kleinen Aufzug, der im Zuge einer – wie Immobilienmakler es bezeichnen würden – »ausgiebigen Modernisierung« eingebaut worden war.
Vom kleinen Eingangsbereich in Q’uties Wohnung aus konnte Bond die Küche und das Bad sehen. Sie öffnete die Haupttür, und sie betraten den restlichen Teil der Wohnung – einen riesigen Raum. An den Wänden hingen zwei große zueinander passende Spiegel mit Goldrahmen, ein echter Hockney und ein ebenso echter Bratby, das Porträt eines Komponisten, dessen Musicals vor fünfzehn oder zwanzig Jahren ihre besten Zeiten gefeiert hatten. Die Ausstattung bestand hauptsächlich aus Designermöbeln der späten 1960er, und die Beleuchtung war passend dazu ausgewählt – schwedisches Design und auf erhöhten Leisten angebracht, die sich in ausgeklügelten Winkeln in den Zimmerecken befanden.
»Ah, Retrodekor«, kommentierte Bond mit einem Grinsen.
Ann Reilly erwiderte das Lächeln. »Es ist nicht alles so, wie es scheint«, sagte sie schmunzelnd, und für einen Augenblick fragte sich Bond, ob sie nicht daran gewöhnt war, Alkohol zu trinken. Vielleicht war ihr der Wein zu Kopf gestiegen. Dann sah er, wie sich ihre Hand auf eine kleine Konsole mit Tasten in der Nähe der Lichtschalter zubewegte. Ihre Finger tippten auf die Tasten, und innerhalb der nächsten paar Sekunden konnte Bond nur noch an die Verwandlungsszenen aus den Zirkusattraktionen seiner Kindheit denken.
Das Licht wurde gedimmt, und der Raum wurde in ein sanftes rotes Glühen getaucht, das von den Fußleisten ausging. Der große runde Milchglastisch, der den Mittelpunkt des Zimmers bildete, schien im Teppich zu versinken. Plötzlich ertönte das Plätschern von Wasser, und der Tisch glühte auf, um zu einem kleinen Teich mit sprudelndem Springbrunnen in der Mitte zu werden. Der Hockney, der Bratby und beide Spiegel schienen zu beschlagen, wurden dann wieder klar und verwandelten sich in Bilder, die Bond in ihrer Deutlichkeit beinahe schockierten.
Er nahm einen Geruch wahr: Ein moschusartiger Duft war um ihn herum aufgestiegen, während die Klänge von Klaviermusik sanft an Lautstärke zunahmen – ein langsames, sinnliches Saxophonsolo, so nah und natürlich, dass Bond umherstarrte, da er dachte, die junge Frau säße tatsächlich irgendwo an einem Instrument. Der Duft und die Musik begannen, seine Sinne zu verwirren. Dann trat er einen Schritt zurück und ließ den Blick zu einer Wand zu seiner Rechten wandern. Die Wand hatte angefangen sich zu öffnen, und von dahinter glitt ein großes hohes Wasserbett lautlos in den Raum herein – darüber hing ein verspiegelter Baldachin an scharlachroten Seidenkordeln.
Ann Reilly war verschwunden. Für eine Sekunde war Bond desorientiert, stand mit dem Rücken zur Wand und ließ die Augen über den außergewöhnlichen Anblick wandern. Dann entdeckte er sie hinter dem Springbrunnen. Ein kleines dämmriges Licht wurde stärker, um sie zu beleuchten, während sie nackt bis auf ein dünnes durchsichtiges Nachthemd dastand. Ihr Haar war offen und fiel bis zu ihrer Taille – das Haar und der dünne Stoff wehten und tanzten, als würde sie ein unsichtbarer Zephyr umspielen.
Dann veränderte sich der Raum plötzlich genauso schnell, wie die erste Verwandlung begonnen hatte. Das Licht kehrte zu seiner normalen Stärke zurück, der Tisch erhob sich aus dem Brunnen, der Hockney, der Bratby und die Spiegel waren wieder da, und Q’uties Abbild verblasste. Nur das Bett blieb, wo es war.
Hinter ihm ertönte ein Kichern, und Bond drehte sich herum, um Q’utie zu sehen, die immer noch ihre Kleidung aus braunem Samt trug und deren Haar nach wie vor ordentlich und streng frisiert war. Sie lehnte sich gegen die Wand und lachte. »Gefällt es Ihnen?«, fragte sie.
Bond runzelte die Stirn. »Aber …?«
»Oh, ich bitte Sie, James. Die Verwandlung ist leicht: Mikrotechnik und Elektronik, son et lumière. Ich habe das alles selbst gebaut.«
»Aber Sie …?«
»Ja.« Sie zog die Brauen zusammen. »Das ist das kostspieligste Element, aber ich habe auch das zum größten Teil selbst zusammengebastelt. Und das Modell bin ich. Ein Hologramm. Sehr effektiv, nicht? Alles 3D. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Einzelheiten …«
Sie wollte sich gerade in Bewegung setzen, als Bond sie packte, nah zu sich heranzog und stürmisch küsste. Sie ließ ihre Hände auf seine Schultern gleiten und schob ihn sanft von sich weg. »Mal sehen.« Sie sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. »Ich dachte, Sie hätten verstanden, worum es geht. Sie sagten, das hier sei Retrodekor – 1960er. Alles, was ich getan habe – und ich habe viele glückliche Stunden damit verbracht, es richtig hinzubekommen –, war das Zusammenstellen einer Fantasie aus den Sechzigern: Musik, Beleuchtung, das Wasserbett, der Duft und eine willige, sehr leicht bekleidete Dame. Ich dachte, dass gerade Sie, James Bond, die Botschaft verstehen würden. Fantasien sollten sich mit der Zeit ändern. Zweifellos sind wir heutzutage alle realistischer. Besonders was Beziehungen angeht. Das Wort, das darauf zutrifft, ist, glaube ich, Reife.«
Ja, dachte Bond, während sie umherhuschte, und ihm die ganzen elektronischen Spielereien ihres Fantasiezimmers zeigte, Q’utie war ein guter Name für Ann Reilly. »Es mag eine Illusion sein«, sagte er, »aber es hat trotzdem eine tödliche Wirkung.«
Sie drehte sich zu ihm um. »Tja, James, das Bett ist noch da. Das ist es für gewöhnlich immer. Wir sollten Kaffee trinken und einander ein wenig besser kennenlernen.«
Bond wachte am nächsten Morgen vor halb sieben in seiner eigenen Wohnung auf. Ich wurde mit meinen eigenen Waffen geschlagen, dachte er mit einem ironischen Lächeln. Wenn jemals jemand den Bluff eines Mannes durchschaut hatte, dann war es die geniale Q’utie. Er machte sich gut gelaunt an seine Fitnessübungen, nahm ein heißes Bad und eine kalte Dusche, rasierte sich, zog sich an