„Karrel, ick wollte dir bloß bitten“, sagte Tante Marie, „wennste jehst, paß’ ’n bißken uff, det deene Töle nich an den Oljanda kommt!“
„Merk’ dir det, Nulpe“, sagte Onkel Karl unter den Tisch hinunter, „du bist ’ne Töle, und det draußen is ’n Oljanda! Vorleifij jeh’ ick aba nich, ick jedenke sojar hier noch Abendbrot zu essen – wat sajste nu?“
Herr Krause, der in seiner langen Weichselrohrpfeife gestochert hatte, erhob sich. „Ja, ich muß nun wieder mal ’rüber in meinen Laden, vielleicht komm ich nachher noch mal – adje solange!“
„Adje, adje“, sagte Onkel Karl, aber als sich nun Tante Marie ebenfalls erheben wollte, wandte er sich hastig zu ihr: „Ick muß dir wat sehr Wichtijes sajen!“
„Wat’n?“ Tante Marie sah ihn böse und mißtrauisch an.
„Mir hat wat Furchtbares jetreimt!“
„Is dir recht“ – und Tante Marie wandte sich ab.
„Und denn hatt’ ick ooch ’ne janz seltsame Ascheinung“, sagte Onkel Karl feierlich.
„Det kann man sich ja denken, bei dein’ ruheloset Leben!“
„Det war sicherlich Lemkes Selje“, sagte Onkel Karl.
„Jott sei Dank, det se nu bei dir anjelangt is, villeicht macht se noch’n ordentlichen Menschen aus dir – Karrel, Karrel, wo bist du hinjeraten!“
Onkel Karls Augen schielten plötzlich, und er mußte ein paarmal krampfhaft schlucken. Tante Marie sah ihn lange prüfend an und sagte seufzend: „Man wird aus dir eben nich kluj – denkste, ick weeß nich, dette det Jesichte ooch uff Kommando machen kannst! Damit haste schon imma als Junge standjehalten, wenn die andern Lausejungens wejjeloofen sind.“
„Na, denn nich“, sagte Onkel Karl und rollte die Augen wieder zurück, „nu ha’ ick’s ibawunden, et war bloß ’n Schwächeanfall, wie er iba die stärksten Rollkutscha kommen kann. Ihr stoßt mir von eich – jut – jut, jetz jeh’ ick unta die Vabrecha, nu sollt ihr aba wat von mir aleben, nu komm’ ick in die Zeitung!“
„Karrel, ick sage dir, denk’ an unse Eltern!“
„Nee – tu’ ick nich!“ – Er schüttelte energisch den Kopf und sagte mit erstickter Stimme: „Die Behandlung heite hier hat mir den Rest jejeben. Ihr könnt eich ja nachher später jejenseitij die Vorwürfe machen, denn det kann ick dir jleich sagen, liebe Marie – eh’r mir eena fängt, schieß’ ick’n ibern Haufen!“
„Wa’m wollen se dir denn fangen?“
„Det möcht’ ick alleene wissen – wat se wirklich nu schon von mir haben, wenn se mir haben! Wascheinlich is keen annrer da, den se steekern können!“
„Det Unjlick is, dette dir kenne ordentliche Frau jenommen hast“, sagte Tante Marie, „die hätte dir zusammenjehalten, hätte dir jekocht und die Kneppe anjenäht, aba du hast von kleenuff schon imma so’n unsoliden Eindruck uff alle Leite jemacht!“
„Und dabei hat mir Vata doch so jedroschen“, sagte Onkel Karl „und mir die untajelejten Pappdeckel imma aus die Hosen jezojen. Und darum jloob’ ick doch, det ick zu wat Besseres jeboren bin – sonst wär’ ick doch schon längst vaheirat’t!“
„Wenn du nu Kinda jekriejt hätt’st – wat wirdest du die for’n schlechtet Beispiel jejeben haben!“
„Och –“, sagte Onkel Karl, „wenn ick Kinda kriejen könnte, denn wird’ ick mir for Jeld sehen lassen, und die jroßen mißten mir anähren, und die kleenen wird’ ick vakoofen!“
„Fui Deibel – mit dir derf man wahaftij keen Mitleid nich haben“, sagte Tante Marie, „du bist da draußen uff die Wiesen janz und jar vakommen. Mir tut bloß der arme Hund leid, wat der bei dir so ausstehen mag!“
„Wi’sten koofen – der is uff alle Sorten Jeister dressiert ...“
„Spotte du man – du wirst schon in die Hölle an mir denken!“
„Wenn ick man erst drinne wäre, alle Deibels wirden sich freien. Denn führ’ ick se an nach’n Himmel, und denn machen wir eenen furchtbaren Krach!“
„Watte man, watte man“, sagte Tante Marie, weeßte denn nich mehr, wie’t in die Bibel steht: ‚Ihr werdet Rechenschaft ablejen missen for jegliches unnütze Wort!‘?“
„Da kämen wa aus det Jerechne ja janich mehr ’raus“, sagte Onkel Karl, „und denn wär’ die Ewijkeit um, und wat wär’ denn dann?“
Tante Marie sah ihn starr an, sagte: „Fuih, du bist een Jotteslästera, fuih und nochmals fuih!“ – und wandte sich entrüstet ab.
„Det tuste bloß, weil du mir keen Jeld jeben willst, aba watte man, et kommt noch janz anners mit mir!“
Sie wandte sich nochmals um und sagte: „Mach’s man wahr, Vata hat et ja noch uff’n Totenbett jesajt, det du Schande uff unsan ehrlichen Namen bringen wi’st!“
„Schande is janischt jejen, und uff’n Totenbett hat Vata ja janich mehr reden können!“
Aber Tante Marie hörte nicht mehr, was er sagte, sie ging zu Frau Lemke und sagte ihr etwas ins Ohr. Frau Lemke schüttelte sich und rief ihren Mann, und als er kam, erzählten sie ihm gleichzeitig Onkel Karls Lästerungen.
Da hielt es Onkel Karl für angebracht, „Nulpe“ am Halsband zu packen, dem widerstrebenden Tier den Maulkorb anzumachen und sich zu entfernen, ohne auch nur Lebewohl zu sagen.
Ein bißchen Bildung
In den nächsten Tagen ereignete sich etwas, das Tante Marie mit Grauen und Mitleid erfüllte. Es geschah – bald mittags, bald abends oder morgens –, daß ein bis aufs Skelett abgemagerter großer, zottiger Hund keuchend und abgehetzt durch die Landsberger Straße jagte, in Lemkes Restaurant und Bierlokal stürzte, dort mit aufgeregtem Winseln jeden Winkel abschnüffelte und dann wieder davonraste, ohne sich von jemand halten zu lassen.
„Nulpe – Nulpe –“ schrien die Straßenjungen hinterher und warfen ihm Steine nach. Und kaum eine halbe Stunde später wurde das abgehetzte Tier draußen in Schöneberg bei den alten Lemkes und dann – später wieder – im Fischerviertel bei Onkel August gesehen. Und überall sagten die Leute: „Et is angebunden jewesen, det arme Tier, und hat sich losjerissen, det sieht man ja noch an det Seil, dettet mitschleeft. Wascheinlich sucht et sein Herrchen, wenn’t man nich der Schinder kriejt!“
„Paßt ma’ uff, mit Onkel Karrel is wat“, sagte Tante Marie, der es über den Rücken lief, „den werden se wo finden, starr und steif, oda von’n Ast abschneiden!“
Die junge Frau Lemke meinte jedesmal: „Na, da missen wir uns ’n bißken kimmern, wa können ihn doch nich janz und jar in Stich lassen, zu det Bejräbnis muß doch eener mitjehen. Willem, zieh’ dir ma’ die Stiebeln an und jeh’ los und kimmere dir ’n bißken!“
Wenn Herr Lemke dann nach ein paar Stunden zurückkam, konnte er nur immer sagen: „Keene Spur – et jloobt ooch keener an den sein’n Tod, in’t Jejenteil, se sajen, er hat sich bloß dinne jemacht. Und wat man da allet zu hören kriejt: Vatan in Schöneberj hat er anpumpen wollen, Tante Liese hat er det Klavier fänden wollen! Ach – und nu erst in seene Wohnung oder uff’n Bau und in ‚Nei-Kalifornien‘, da stehen die Leite Taj und Nacht und warten. Der hat sich ’rinlejen lassen, dunnawetta – und dabei, wenn man jenau hinhört, merkt man, det er eijentlij ganz unschuldij ist, und det die Leite ihm man bloß so nachloofen, weil man sie uff ihn jehetzt hat.“
„Wo wird sich denn der ooch uffbammeln“, hatte Frau Lemke gesagt, „da kennt ihr Onkel Karreln schlecht! Der hat längst ’n jroßet, neiet Untanehmen vor – eenes Tajes wird er schon wieda ufftauchen und so tun, a’s wenn er ibahaupt nich wejjewesen is!“
Diese