»Vierhundert Thaler. Diese Engländer müssen doch schrecklich reiche Leute sein. Oder gar noch mehr. Was thust Du mit dem vielen Gelde?«
»Komm her. Ich will Dir's sagen.«
Er zog ihr Köpfchen wieder zu sich heran, küßte sie auf die Lippen und flüsterte ihr dann in das Ohr:
»Heirathen.«
»Wen denn?«
»Meinst Du etwa, Dich?«
»Hm. Hübsch wäre es.«
»Na, so müssen wir es einmal für kurze Zeit versuchen.«
»Für kurze Zeit? Geh, Du Böser. Du wirst es bald soweit bringen, daß Dir kein Mensch mehr gut sein kann.«
»Das wird Dir sehr lieb sein.«
»Warum?«
»Nun, hast Du es vielleicht so sehr gern, daß mir alle Menschen, besonders aber alle Mädchen, gut sein sollten?«
»Das wollte ich mir stark verbitten. Aber, laß uns doch einmal ernsthaft sein. Wird Dein Engländer Dich denn auch gewiß und ehrlich bezahlen?«
»Gewiß. Wir haben ja Contract gemacht.«
»Wo wohnt er denn?«
»In Leeds. Aber er kommt ja alle Weihnachten nach hier.«
»Ich wünsche Dir sehr, daß Du Dich nicht täuschen mögest. Der Schmerz wäre doch gar zu groß.«
Sein Gesicht war plötzlich recht ernst geworden. Er blickte nachdenklich vor sich nieder, nickte mit dem Kopfe und sagte, wie zu sich selbst:
»Der Schmerz, die Enttäuschung und – noch etwas Anderes.«
»Noch etwas Anderes? Was könnte das wohl sein?«
»Laß das. Das ist nichts für Dich.«
»Aber dennoch möchte ich es sehr gern wissen. Magst Du es mir denn nicht mittheilen?«
»Es bringt Dir keinen Nutzen.«
Er sprach das so kurz. Sie blickte ihm in das Angesicht. Die Liebe hat scharfe, sehr scharfe Augen.
»Wilhelm, Du hast Sorgen?« fragte sie.
»Ja,« nickte er.
Da schlang sie ihre Arme um seinen Hals, legte ihre Wange an die seinige und schmeichelte mit bittender Stimme:
»Bitte, bitte, theile sie mir mit. Ich trage sie mit.«
»Dann sind sie ja doppelt.«
»Nein, nein. Ich muß meinen Theil davon haben, wenn es wahr ist, daß Du mich liebst!«
»Pst! Nicht so laut. Mutter darf nichts davon wissen.«
»So rede. Sonst schrei ich noch viel, viel lauter.«
»Wenn Du es partout nicht anders haben willst, so soll es sein. Also, sieh mich einmal richtig an, Marie. So! Grad in's Gesicht. Nun sage mir einmal, ob Du mich für einen ehrlichen Kerl hältst!«
»Natürlich! Natürlich!« antwortete sie im Tone innigster Ueberzeugung.
Er schüttelte den Kopf und sagte bei einem trüben Lächeln:
»Und doch bin ich es nicht.«
»Nicht?« fragte sie, beinahe erschrocken. »Nicht? Was denn?«
»Ein Spitzbube.«
»Herrgott! Was redest Du nur heute. Oder ist's nur Spaß?«
»Nein, kein Spaß. Du hast gewollt, daß ich reden soll, und so mag diese Last einmal vom Herzen herab.«
Da schlang sie die Arme noch fester um ihn, drückte ihn noch inniger an sich und sagte:
»Nein, nein und tausendmal nein. Du bist ein ehrlicher Mensch. Darauf schwöre ich tausend und hunderttausend Eide.«
»Höre mich erst an, und dann magst Du urtheilen.«
»Nun, so erzähle.«
»Als der Engländer die Maschine bei mir bestellte, war ich leider zu stolz, mir einen Vorschuß von ihm zu erbitten – –«
»Hätte er Dir einen gegeben?« fiel sie ein.
»Ich denke es; aber leider unterblieb es. Ich brauchte viel, sehr viel Material und hatte doch nicht die Mittel, es zu bezahlen. Mein Prinzipal hätte mir ausgeholfen, aber er darf ja von dieser Maschine gar nichts wissen. Darum habe ich mir unter diesem oder jenem Vorwand zuweilen ein Stück Stahl oder Messing von ihm erbeten, doch reichte das nicht zu. Ich sah mich also gezwungen, mir einstweilen ohne sein Wissen Das zu nehmen, was ich brauche.«
»Du wirst es ihm aber natürlich bezahlen.«
»Das versteht sich ganz von selbst. Aber wie nennst Du es denn, wenn Einer dem Anderen Etwas nimmt, ohne ihn vorher zu fragen?«
»Das ist doch nicht immer Diebstahl.«
»O doch!«
»Du hast es Dir ja nur geborgt.«
»Aber ohne Erlaubniß. Und wenn der Engländer mich nun nicht bezahlte. Das wäre schrecklich.«
»Käme es denn da sehr bald heraus?«
»Ja, bei der Jahresinventur. Was fehlt, muß ich haben. Außer dem Prinzipal kann Niemand zu den Vorräthen als ich allein.«
»So hast Du allerdings eine große, schwere Sorge, Du armer Wilhelm. Aber ich werde sie Dir tragen helfen. Ich denke doch gewiß, daß der Engländer Dir die Maschine bezahlen wird.«
»Wenn aber nicht?«
»So mußt Du ehrlich sein und Deinem Prinzipal den Sachverhalt, wie er ist, mittheilen.«
»Du hast Recht. Verzeihe mir, daß ich Dich mit so trüben Gedanken behelligt habe, da Du doch so schon genug Sorgen hast.«
»Ich habe nicht Dir zu verzeihen, sondern Dir zu danken, lieber Wilhelm. Ich freue mich sehr, daß Du Vertrauen zu mir gehabt hast, und werde darüber nachdenken, wie dieser Verlegenheit zu begegnen ist. Jetzt aber ist die Stunde vorüber. Ich muß wieder mit der Arbeit beginnen, wenn ich bis morgen fertig sein will.«
Sie erhob sich, und er that dasselbe. Da kam ihm ein Gedanke.
»Wann bist Du zum letzten Male ausgegangen, liebe Marie?« fragte er.
»Heut am Vormittage.«
»Lange Zeit?«
»Nur auf fünf Minuten.«
»Hast Du ihn gesehen?«
»Ihn? Wen meinst Du?«
»Nun, den vornehmen Herrn, welcher Dir so oft begegnet.«
»Ah, diesen. Nein, ich habe ihn nicht gesehen, aber vorgestern –«
»Vorgestern? Wo war er da?«
»Am Markte. Und da – da kam er mir nach.«
»Bis wohin?«
»Bis – bis – hm, Wilhelm, Du wirst mir vielleicht zürnen, aber ich kann wirklich nicht dafür.«
»Ich glaube das. Also bis wohin kam er Dir nach?«
»Bis in unser Haus.«
»Weiter nicht?«
»O, sogar bis an die Treppe!«
»Der Hallunke! Hast Du da mit ihm sprechen müssen?«
»Ja, denn er hielt mich am Arme fest.«
»Was sagte er?«
»Er sagte – sagte – – Wilhelm, es wird mir wirklich recht sehr schwer, es Dir genau zu sagen!«
»Und doch mußt Du grad das so genau wie möglich sagen! Also er kam Dir nach bis an die Treppe, und was sagte er?«