»Bormann!« sagte dieser. »Alle Teufel, Sie? Wie geht es?«
»Gut!« lautete die Antwort.
»Hm! Das ist eine Seltenheit! Ihre Verwandtschaft ist sonst nicht sehr vom Glück begünstigt!«
»Zielen Sie auf meinen Bruder?«
»Auch mit. Wie steht es mit dem?«
»Irrenhaus! Er ist verrückt.«
»Ich hörte es. Und Sie? Was treiben Sie?«
»Jetzt noch nichts; aber ich fange nun an, zu arbeiten.«
»Unter welcher Direction?«
»Unter meiner eigenen.«
»Sie wollen wieder einmal selbst dirigiren?«
»Ja.«
»Und eine Truppe bilden? Haben Sie denn Geld dazu?«
»Wem geht das etwas an?«
»Richtig! Mich nicht. Aber, da fällt mir ein: Brauchen Sie vielleicht Personal?«
»Nein.«
»Schade. Ich hätte etwas für Sie.«
»Was?«
»Einen Jungen. Habe ihn erst kürzlich bekommen und ein Heidengeld bezahlt. Da stürzt mir der Bengel vom Pferde und bricht ein Bein. Er wird zwar wieder gesund, aber bis dahin habe ich ihn doch daliegen. Ich mag ihn nicht mehr sehen?«
»Wer sind seine Eltern?«
»Das geht Sie nichts an!«
»Zeigen Sie!«
»Kommen Sie!«
Er führte den Betrunkenen nach der hintersten Ecke des Stalles; dort lag auf Stroh der hübsche Knabe, den er durch den frommen Seidelmann erhalten hatte. Das Kind sah schrecklich bleich aus und wimmerte leise.
»Nun, wie gefällt er Ihnen?« fragte der Director.
»Will sehen!«
Bormann bückte sich nieder, um die Muskulatur des Knaben zu untersuchen. Dieser schrie vor Schmerz laut auf.
»Halte das Maul, Bube, sonst stopfe ich es Dir!« drohte der Betrunkene.
»Vater! Mutter!« wimmerte der Kleine in sich hinein.
»Hier hast Du eins!«
Die Hand des starken Mannes fuhr hernieder – das Kind war von jetzt an still.
»Nun?« fragte der Director.
»Nicht übel! Wie ist der Preis?«
»Ich habe ein Heidengeld gegeben; ich mag gar nicht daran denken. Es ist verloren. Was geben Sie?«
»Zehn Gulden.«
»Das ist doch ein Schundpreis! Nein!«
Bormann dachte nach.
»Hm!« brummte er. »Es ist mir lieb, daß der Junge das Bein gebrochen hat. Ich wollte, alle beide wären entzwei. Ich kann es nach meiner Weise kuriren; freilich, den Verband muß ich aufreißen. Man kann einen Kautschukmann aus ihm machen. Ich will zwanzig Gulden geben, aber keinen Kreuzer mehr!«
»Zwanzig Gulden? Wenig, verflucht wenig!«
»Der Teufel hole mich, wenn ich einen Heller mehr biete!«
»Na, ehe ich ihn so lange hier liegen habe und das Jammern anhöre, dann fort mit Schaden! Topp! Nehmen Sie ihn!«
»Topp! Heut Abend hole ich ihn ab. Das Wimmern will ich ihm schon abgewöhnen. Ich leide so etwas nicht. Bei mir heißt es arbeiten, aber nicht jammern!«
So war also dieser Handel abgeschlossen.
Unterdessen war Robert Bertram in das Haus Wasserstraße Nummer elf getreten und die Treppen empor gestiegen. Die Thür zu seiner früheren Wohnung war verschlossen. Er ging eine Treppe tiefer. Dort wohnte ja Wilhelm Fels, der Geliebte seiner Schwester Marie. Der Name stand nicht mehr an der Thür. Bertram klopfte. Es wurde geöffnet. Ein fremder Mann sah heraus und fragte:
»Was wollen Sie?«
»Ich suche den Mechanicus Fels.«
»Kenne ich nicht.«
»Er wohnte ja hier!«
»Geht mich nichts an.«
Damit machte der Mann die Thüre zu und schob den Riegel vor.
Bertram schüttelte den Kopf. Er wußte ja noch nicht, was hier geschehen war. Er stieg in das Parterre hinab zu dem Holzhacker Schubert. Das Bein desselben war noch immer nicht heil, und seine Frau, die Wäscherin, lag noch immer mit gelähmten Gliedern darnieder. Beide erkannten ihn sofort.
»Herr Bertram!« rief der Mann. »Ist's möglich? Was führt Sie denn in dieses Unglückshaus? Herrgott! Wer hätte das gedacht? Nicht wahr? Aber nun ist Ihre Unschuld erwiesen. Wir haben es gleich gesagt!«
»Ich suche Felsens.«
»Felsens? Lieber Gott! Wissen Sie das nicht?«
»Was?«
»Der Wilhelm hat gestohlen. Er hat sechs Wochen Gefängniß erhalten. Das hat er davon!«
»Gestohlen? Unmöglich! Er muß unschuldig sein!«
»Unschuldig? Man hat ja die Sachen bei ihm gefunden.«
Bertram bedurfte seiner ganzen Selbstbeherrschung.
»Wo ist denn da seine Mutter?«
»Die haben sie in das Bezirkshaus geschafft. Sie soll nicht recht bei Sinnen sein.«
»Gott erbarme Dich! Ist das wahr?«
»Ja. Wir wissen es genau. Nämlich zu uns kommt sehr oft der ehrwürdige Herr Seidelm – – – ah, da kommt er gleich! Da können Sie ihn selber fragen!«
Bertram blickte sich um. Seidelmann, der gerade jetzt eingetreten war, stand vor ihm.
»Herr, behüte mich vor unzüchtigem Gelichte!« sagte er im Tone des Abscheues. »Herr Schubert, was haben Sie da für Besuch!«
»Herr Bertram ist's!«
»Das weiß ich. Aber haben Sie noch nicht gehört, daß böse Buben gute Sitten verderben?«
Bertram blickte den Sprecher ruhig an. Dann sagte er:
»Mit dem Ausdruck Bube bezeichnen Sie doch wohl nur sich selbst; denn ein Bube sind Sie, und zwar der allerschlimmste, den ich jemals kennen gelernt habe. Ihre fromme Maske kann nur Blinde täuschen, mich aber nicht. Es kommt die Zeit, in welcher wir miteinander zusammenrechnen! Zur Seite! Machen Sie Platz!«
Er wollte gehen; aber Seidelmann stellte sich breitspurig vor die Thür und antwortete:
»O, Du gottloses Gezücht! Bereits schwebt Gottes Strafgericht über Dir! Du sollst hier bleiben und nicht eher gehen, als bis ich Dir gesagt habe, daß – – –«
»Machen Sie Platz!« unterbrach ihn der Jüngling drohend.
»Willst Du mich bange machen, Du Kind Belials? Einmal noch bist Du dem Grimme der Gerechtigkeit entgangen, doch hoffe nicht, daß dies zum zweiten Male geschehe. Das Gesetz hat bereits die Wurfschaufel in der Hand und wird – – Herr, mein Heiland – Himmelheiligesdonnerwetter!!!«
Bertram hatte ihm nämlich, um sich endlich den Weg frei zu machen, die Faust derart von unten herauf an die Nase gestoßen, daß aus derselben sofort das Blut herniederströmte und der Getroffene eine ganze Strecke zur Seite flog. Der junge Mann entfernte sich, während hinter ihm die Stimme des Heuchlers laut ertönte.
Er wollte